Verfassungsschutz bespitzelt linke Abgeordnete keineswegs nur mit Informationen aus offenen Quellen

Die tausendseitige Akte von Gysi wurde, so der Spiegel, nur stark bearbeitet und geschwärzt dem Bundestagsabgeordneten zugänglich gemacht

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Eine "schwere Meise" hat Gregor Gysi, der Fraktionschef der Linkspartei, dem Verfassungsschutz bescheinigt, der ihn und mindestens 26 andere linke Abgeordnete beobachtet.

Vehement wurde die Bespitzelung von Alexander Dobrindt, dem CSU-Generalsekretär, noch am Sonntagabend bei Jauch verteidigt, auch wenn Einseitigkeit und Versagen des Inlandsgeheimdienstes auf der Hand liegen, der die NPD nicht nur unterwandert hat, sondern sie wohl auch nicht unerheblich finanziell durch Bezahlung von V-Männern unterstützt. Dobrindt forderte auch schon mal die Beobachtung aller Abgeordneten der Linkspartei, um womöglich einen Verbotsantrag vorzubereiten.

Selbst die neuen ausländer- und besonders islamfeindlichen Rechten, meist Rechtspopulisten genannt, waren viele Jahre nicht in den Blick der Schlapphüte gefallen. Bundesinnenminister Friedrich, bekanntlich auch CSU, gab sich überrascht, dass es so etwas wie einen Rechtsterrorismus in Deutschland gibt, obgleich in den letzten 20 Jahren mehr als 190 Ausländer getötet wurden.

Noch im September erklärte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage nach dem Massaker von Breivik, es gebe zwar eine "Reihe von deutschsprachigen Internet-Präsenzen mit islamkritischen, bisweilen auch islamfeindlichen Beiträgen", die aber "in ihrer Gesamtbetrachtung nicht die Schwelle einer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebung erreichen". Daher würden sie auch nicht systematisch vom Verfassungsschutz beobachtet. Erklärt wurden islamkritische und -feindliche Äußerungen verharmlosend als "Ausdruck von Ängsten vor Überfremdung" (Vom Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus). Erst mit den Morden des NSU scheint man nun allmählich auch hier beobachten zu wollen bzw. zu müssen (PI im Visier des Verfassungsschutzes). Die Zögerlichkeit ist nicht verwunderlich, liebäugeln doch Teile der Unionsanhänger auch mit dem Rechtspopulismus (Wenn Teile der CDU mit dem Rechtspopulismus liebäugeln).

Einen schlechten Dienst hat auch Peter Frisch, ein ehemaliger Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, seiner Behörde erwiesen. Auf so säuselnd-unschuldige Weise, wie er die Arbeit des Geheimdienstes rechtfertigen wollte, wird er wohl wenig überzeugt haben, dazu stritt er auch noch ab, dass der Verfassungsschutz auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln, also nicht nur durch Beobachtung von offenen Quellen, die Abgeordneten der Linkspartei im Visier hatte, was allerdings schon Hans-Werner Wargel, Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, eingeräumt hatte.

Wie der Spiegel berichtet, versuchen offenbar Bundesinnenministerium und Verfassungsschutz das Ausmaß der Beobachtung herunterzuspielen und üben sich im Wulffen. Wie Wargel ja schon angedeutet, wenn auch nicht ausgeführt hat, werden die Linksabgeordneten keineswegs nur über offene Quellen beobachtet, so enthalte die über Gysi angelegte Akte sehr viel mehr als Zeitungsausschnitte und andere Medienberichte. Gysi darf die Akte, immerhin tausend Seiten stark, so gefährlich ist der Mann, nur teilweise einsehen, was über Dutzende von Seiten begründet wird.

Das Ergebnis ist, dass von den fast tausend Seiten, 130 Seiten dem Bundestagsabgeordneten nicht zugänglich gemacht wurden, während weitere "500 Seiten teilweise geschwärzt und noch mal rund 200 ausgetauscht" wurden. Also hochgeheim, wie es sich für einen Geheimdienst gehört. Es würden von einigen Landesämtern, dem bayerischen wohl allzumal, wohl aber auch dem baden-württembergischen und niedersächsischen, nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt, man habe so viel schwärzen müssen, damit keine Rückschlüsse auf die "Arbeitsweise und Ziele der Beobachtung" möglich werden. Das wird man gerne glauben, in die Karten schauen lassen will man sich nicht.

Nach Parteichef Klaus Ernst werden nicht nur 27 Abgeordnete, sondern allein mindestens 42 Bundestagsabgeordnete bespitzelt. Die Verfassungsschutzämter Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg hätten eingeräumt, dass sie Abgeordnete aus diesen Ländern ausforschen. Auch Ernst selbst werde beobachtet. Er forderte gegenüber dem Tagesspiegel Bundesinnenminister Friedrich auf, schnell zu klären, welche Abgeordneten seit wann, mit welchen Mitteln und warum ausgeforscht wurden, und drohte einen Untersuchungsausschuss an. Der personell und thematisch kriselnden Linkspartei kommen die Attacken der CSU und des Verfassungsschutzes gerade recht, was deren Unverhältnismäßigkeit nicht schmälert.