EU-Gipfel stolpert erneut über Griechenland

Trotz Schuldenschnitt muss die Nothilfe 2.0 ausgeweitet werden und gestritten wird darüber, ob Griechenland die Budgetkontrolle abgeben soll

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Eigentlich sollte der EU-Gipfel am Montag Wachstum und Beschäftigung auf die Tagesordnung setzen, denn in der EU steigt die Arbeitslosigkeit und der Euro-Raum rutscht in die Rezession ab. (Auch die Weltbank erwartet eine Rezession in der Euro-Zone). Erneut wird der Sondergipfel aber von der Griechenland-Debatte bestimmt. Obwohl der Schuldenschnitt der Banken, Versicherungen und Rentenfonds offenbar steht, muss die zweite Nothilfe aber um weitere 15 Milliarden Euro aufgestockt werden. Gestritten wird derweil auch über den Vorschlag, einen europäischen Sparkommissar nach Griechenland zu schicken.

Zum üblichen Gipfel-Getöse in der EU gehört inzwischen, dass die Ratingagenturen mit Abstufungen der Kreditwürdigkeit im Vorfeld für weiteren Druck sorgen. Doch es hat sich längst ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt. So richtig ernst wurde an den Finanzmärkten nicht einmal der großen Rundumschlag von Standard & Poor's (S&P) genommen, als die Ratingagentur Frankreich und Österreich die Bestnote aberkannte und insgesamt neun Länder zum Teil um zwei Stufen abstufte.

Ähnlich verhält es sich nun damit, dass auch Fitch am Freitag vor dem Sondergipfel die Bonität von fünf Staaten herabgestuft hat. Die Agentur senkte die Kreditwürdigkeit Italiens und Spaniens ebenfalls gleich um zwei Stufen. Das gilt auch für Slowenien, Belgien und Zypern wurden dagegen nur um eine herabgestuft, während die Agentur an den Bestnoten für Frankreich und Österreich nichts geändert hat. Wie schon nach dem Rundumschlag vom S&P reagierte man an den Finanzmärkten eher gelassen. Der Eurokurs stieg am Freitag sogar auf ein neues Tageshoch von 1,32 US-Dollar.

Für mehr Wirbel sorgt im Vorfeld des Gipfels ein neuer Generalstreik in Belgien. Seitdem das Land wieder eine handlungsfähige Regierung hat, wurde auch in Belgien damit begonnen, die üblichen Sparpläne aufzulegen. Durch den Generalstreik bleibt der Flughafen Charleroi bei Brüssel heute ganz geschlossen, weshalb die Gipfelteilnehmer wohl auf einer Luftwaffenbasis landen müssen und auch Umwege zum Gipfeltreffen in Kauf nehmen müssen, da Straßenblockaden erwartet werden. Der sozialistische Premierminister Elio Di Rupo soll das Verteidigungsministerium aufgefordert haben, einen Notfallplan zu erstellen.

Das öffentliche Leben im Land war schon am Morgen weitgehend lahmgelegt, wie lokale Medien berichten, denn Züge, Straßenbahnen, Metro und Busse fahren nicht. Mit dem Ausstand protestieren die Beschäftigten erneut gegen die geplante Erhöhung des Rentenalters und die Kürzung der Renten und des Arbeitslosengeldes.

Griechenland bleibt eine Zeitbombe

Doch auch auf dem Sondergipfel ist nicht mit Friede, Freude, Eierkuchen zu rechnen, wenn die Teilnehmer den Tagungsort in Brüssel erreichen sollten. Obwohl Griechenland offiziell nicht auf der Tagesordnung steht, wird auch dieser Gipfel von der Pleite des südeuropäischen Landes bestimmt werden. Obwohl sich offensichtlich die Banken, Versicherungen und Rentenfonds auf einen Schuldenschnitt von 50% geeinigt haben, wie auf dem EU-Gipfel im vergangenen Oktober vereinbart worden war, werden die geplanten Entschuldungsziele damit erwartungsgemäß nicht erreicht.

Beschlossen hatte man, dass über die Umschuldung die Verschuldung des Landes bis 2020 auf weiterhin hohe 120% des Bruttosozialprodukts (BIP) gesenkt werden soll. Der Bankenverband IIF hat offenbar einen Zinssatz akzeptiert, der unter 3,5% liegt, wie der Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker und EU-Währungskommissar Olli Rehn bestätigten. Die Banken würden etwa 50% der insgesamt 205 Milliarden Euro abschreiben und der Rest der Verbindlichkeiten würde zum Großteil in 30-jährige Anleihen umgetauscht, die zu diesem Satz verzinst werden sollen. Doch ganz offensichtlich reichen auch dann die geplanten 130 Milliarden Euro nicht mehr aus, um das Verschuldungsziel 2020 zu erreichen. Denn nach Angaben von Rehn habe sich die Lage im Land weiter verschlimmert.

Der "Spiegel" berichtet mit Bezug auf Quellen innerhalb der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), dass weitere 15 Milliarden Euro nötig sind, um auch nur das bisherige Verschuldungsziel 2020 zu erreichen. Als Begründung wird nun angegeben, dass die griechische Wirtschaft nicht anspringe und die harten Strukturreformen nicht griffen. Dabei ist eher erstaunlich, auf welcher Basis die Wirtschaft in einem Land anspringen soll, dass längst in die Depression gespart wurde.

Allerdings ist mit einem Schuldenstand von 120% des BIP bis 2020 nicht viel gewonnen. Diese Staatschulden sind weiterhin kaum beherrschbar. Griechenland ist das beste Beispiel dafür. Ende 2008, kurz bevor das Land die erste Nothilfe beantragt hatte, lag der Schuldenstand bei 113% des BIP. Auch wenn die Nothilfe 2.0 nun um weitere 15 Milliarden Euro aufgestockt wird, bleibt Griechenland eine Zeitbombe.

Anstatt vom irrwitzigen Kurs abzuweichen, der allein auf Sparen setzt, werden immer absurdere Ideen produziert, um nicht zuzugeben, dass man in eine Sackgasse gesteuert ist. So hat die Bundesregierung nun vorgeschlagen, dass Griechenland praktisch seine Souveränität vollständig an die EU-Kommission abgeben soll. Das Land soll die Budgetkontrolle an Brüssel abgeben und ein Sparkommissar der EU soll den Sanierungsprozess im Land überwachen. In Griechenland ist man dagegen entsetzt und spricht davon, dass aus dem Land ein deutsches Protektorat gemacht werden soll. Der griechische Finanzminister Venizelos warnte: "Wer das Volk vor das Dilemma Finanzhilfe oder nationale Würde stellt, ignoriert historische Lehren."

Für die schwer durchzusetzende Idee werben sowohl Führungsmitglieder der Union wie der FDP. Das Land müsse seine Spar- und Reformzusagen konsequent umsetzen, wird gefordert. "Wenn Griechenland dabei allein nicht ausreichend vorankommt, muss dem Land von der EU jemand zur Seite gestellt werden, der die notwendigen Fortschritte unterstützt, überwacht und notfalls auch eingreift", wirbt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe für weitgehende Durchgriffsrechte.

Fixierung auf Sparen war ein Irrweg

Ähnlich populistisch äußerte sich auch der FDP-Chef Phillipp Rösler. Auch er meint, es müsse "Führung und Überwachung stärker von außen kommen, zum Beispiel durch die EU", wenn es den Griechen nicht selbst gelinge, bei der Umsetzung des Reformkurses voran zu kommen. Die Geduld mit dem Lande neige sich Ende entgegen, meinte Rösler. Doch wie das Land in dieser tiefen Rezession saniert werden könnte, sagte weder er noch Gröhe. Und letztlich ist ein EU-Gipfel, der angesichts der drohenden Rezession nun plötzlich eine Orientierung auf Wachstum und Beschäftigung setzen sollte, ein Eingeständnis dafür, dass die Fixierung auf Austerität ein Irrweg ist.

Denn nun rutschen sogar große Euroländer wie Italien und Spanien in die Rezession. Spaniens Wirtschaft ist nach einer Stagnation im vierten Quartal 2011 wieder um 0,3 Prozent geschrumpft, hat die nationale Statistikbehörde (INE) heute geschätzt. Praktisch ist das Land nun wieder zurück in der Rezession, weil niemand damit rechnet, dass im laufenden Quartal ein Wachstum erreichbar sein könne. Der weiter abstürzende Arbeitsmarkt, es sind 5,3 Millionen Menschen ohne Job, weist als Indikator schon deutlich darauf hin. Die damit verbundenen Kosten und Steuerausfälle machen eine Sanierung des Landes noch schwieriger. Damit wird es praktisch unmöglich, die von der EU gesteckten Defizitziele zu erreichen. Die neue konservative Regierung hofft deshalb darauf, dass auf dem EU-Gipfel in Brüssel Gelder freigemacht werden, um im Land Beschäftigungsprogramme auflegen zu können.

Auch in Italien sieht die Lage dramatisch aus

Die Wirtschaft Itaaliens soll 2012 sogar noch stärker schrumpfen als die spanische. Allerdings ist die Arbeitslosigkeit in diesem Land nach Angaben von Eurostat mit 8,6% noch vergleichsweise niedrig. Doch Italien ist extrem verschuldet und zahlt weiterhin recht hohe Zinsaufschläge für seine Staatsanleihen.

Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi wirft Deutschland "Egoismus" vor. "Italien hat seine Hausaufgaben gemacht, die uns die verschiedenen Lehrer erteilt haben", sagte er im Interview mit der Tageszeitung Il Messaggero. Die schweren Opfer würden das Land auch in der Zukunft weiterhin belasten, sagte Prodi. "Jetzt haben wir das Recht, zu wissen, wann und ob sich die positiven Auswirkungen dieser Opfer zeigen werden."

Seine Hoffnungen darauf, dass der EU-Gipfel nicht erneut mit "ungenügenden und vagen Maßnahmen" beendet wird, dürften enttäuscht werden. Denn Prodi hofft darauf, dass die "Spekulationen" gebremst werden, also eine Finanztransaktionssteuer beschlossen wird, und es "Hoffnungen auf einen europäischen Neubeginn" geben könne. Das dürfte genauso enttäuscht werden wie seine Erwartungen auf eine Politik, "die mit stärkerer Solidarität das Ende der Krise begünstigt und dem Aufschwung den Weg ebnet".

Sparen und Wachstum fördern?

Während erwartet wird, dass der Fiskalpakt von Bundeskanzlerin Angela Merkel verabschiedet werden kann, sind die Vorstellungen zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung vage. Wie sie sich mit der verstärkten Finanzdisziplin im Euro-Raum vertragen, die nun unter anderem durch nationale Schuldenbremsen und verschärfte Defizitverfahren gestärkt werden soll, bleibt fraglich. Die Deutsche Presse-Agentur zitiert aus einem Entwurf für eine Gipfelerklärung: "Wir müssen aktiv Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit stärken, um Arbeitsplätze zu schaffen, unsere Sozialmodelle zu bewahren und das Wohlergehen unseres Volkes sicherzustellen." Vor allem wird auf nicht ausgeschöpften Mitteln aus EU-Fonds geschielt, um den Mittelstand zu fördern und die Jugendarbeitslosigkeit einzudämmen, die in Spanien schon die Hälfte aller jungen Menschen trifft.

Doch ob über die Förderung von Wachstum und Beschäftigung überhaupt ausführlich gesprochen werden kann und nicht weiterhin leere Sprachformeln verabschiedet werden, bleibt abzuwarten. Denn neben der Griechenland-Debatte ist da auch noch der Streit um diese Aufstockung des dauerhaften Rettungsmechanismus (ESM). Ausgegangen wird davon, dass der ESM beschlossen wird, der nun auf Juli vorgezogen und mit einer halben Billion Euro ausgestattet wird. Die Debatte um die Aufstockung ist schon voll entbrannt, soll aber auf den März verschoben werden. In Berlin hofft man, dass der ESM aufgehebelt werden kann, um eine höhere Rettungssumme zu erhalten. Doch bestenfalls könnte dann das viertgrößte Euroland Spanien aufgefangen werden, wenn die Hebelung in diesem Fall gelingt. Das angeschlagene Italien mit seiner Staatsverschuldung von zwei Billionen Euro ließe sich damit nicht stützen, dessen Lage sich mit der Rezession aber weiter genauso zuspitzt wie die Spaniens.

Erwartet wird zudem, dass demnächst der Name Portugal wieder in den Vordergrund drängt. Denn die Spatzen in Lissabon pfeifen es längst von den Dächern, dass auch der spanische Nachbar mit der ersten Nothilfe nicht auskommt und angesichts der nie dagewesenen Rezession weitere Milliarden benötigt. Zuletzt hatte auch der bekannte Wirtschaftswissenschaftler Nouriel Roubini prophezeit, dass Portugal das griechische Schicksal ereilen dürfte. Während sich die Lage an der Zinsfront für Spanien und Italien wieder etwas entspannt hat, sind die Risikoprämien auf portugiesische Staatsanleihen auf neue Rekordhochs geklettert. Sie lagen für zehnjährige Anleihen am Freitag bei 14,8%. Damit ist es mehr als unwahrscheinlich, dass Portugal 2013 wieder an die Finanzmärkte zurückkehren kann.