Adieu, Kindle

Von den Gefahren, die lauern, wenn man sich von Printprodukten verabschieden und auf eBooks umsteigen will

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Letztes Jahr war ich beruflich sehr viel auf Reisen, und da ich im Handgepäck nur sehr wenig Platz für die Reiseliteratur hatte, schaffte ich mir nach einigen Recherchen im Frühsommer einen Kindle 3 (mit Tastatur und WLAN) an. Technisch wirkte das Gerät am ausgereiftesten, und mit Calibre sollte man damit auch EPUB und andere Formate ins interne Mobi-Derivat umwandeln können, sodass ich annahm, dies würde ausreichen.

Zu der Zeit war für meine Lieferadresse Amazon USA zuständig, also bestellte ich dort das Gerät, das auch relativ zügig geliefert wurde. In der Folgezeit sparte ich schon einiges an Bücherregalplatz ein - eine Tatsache, die auch meine Frau sehr erfreulich fand.

Im Sommer entdeckte ich dann, dass es für den Kindle auch "2600 - The Hacker Quarterly" als Abonnement gibt, und nach einem Insektenbefall, der mich zwang, große Teile meiner papierbasierten Bücher gleich komplett in den Umzugskisten zu entsorgen, war ich eigentlich entschlossen, komplett auf eBooks umzusteigen.

In der Zeit kamen bei mir erste Zweifel auf, ob der Kindle die richtige Plattform für meine Zwecke war, als sich herausstellte, dass ich viele der Bücher und Zeitschriften, die im deutschen Amazon-Store erhältlich sind, im US-Laden, an den mein Kindle gekettet war, nicht erwerben durfte.

Ende November bestellte ich dann noch probeweise ein eBook-Abonnement von Analog SF, da ich nach dem Wegwerfen des Kartons mit den 10 letzten Jahrgängen, inklusive einer Ladung Insekteneier und Larven, nicht mehr so enthusiastisch war, was das physische Aufbewahren von Papier anging.

Kurz darauf öffnete Amazon seinen Shop in Spanien, wo ich auch relativ schnell ein paar spanischsprachige Werke fand, die mich interessierten und die es bei Amazon.US nicht zu kaufen gab. Wenn man mit einem in den USA registrierten Kindle in einem der anderen nationalen Amazon-Läden etwas kaufen will, dann bekommt man als erstes eine Dialogbox serviert, die einen darüber aufklärt, dass man zum Kauf irgendwelcher eBooks dort seinen Kindle zu eben diesem Laden umregistrieren muss. Wenn man dem zustimmt, sieht man eine zweite Informationsbox, die einen darüber informiert, dass man damit sämtliche vorhandene Subskriptionen beendet - und zwar einschließlich des Rechts, auf zurückliegende Ausgaben zuzugreifen. Das fand ich einen geradezu haarsträubenden Eingriff in meine informationelle Freiheit - und das habe ich natürlich abgelehnt.

Probe aufs Exempel

Daraufhin schrieb ich dann an den Amazon-US-Kundendienst, um zu erfahren, was sie sich denn wohl dabei gedacht haben, mich mit ihrem Ladenkonzept von einem Großteil der verfügbaren Bücher abzuschneiden - und zwar egal, bei welchem Laden ich mein Gerät registriere. Die Antwort war höflich, aber leider keine Hilfe. Daraufhin erläuterte ich in einer Rückantwort noch einmal etwas eindringlicher, dass eine solche Beschneidung meines Zugangs zu weltweit vorhandenen Informationsquellen für mich überhaupt nicht akzeptabel ist. Schließlich setzt sich im worst case dieses Geschäftsgebaren durch und am Ende wird es unmöglich sein, irgendwelche Bücher zu kaufen, die außerhalb der eigenen Landesgrenzen auf den Markt kommen - die Horrorvorstellung einer intellektuell parzellierten Welt, in der es womöglich ein ernstes Vergehen sein wird, Bücher zu schmuggeln. Ansätze dafür sind ja vorhanden und werden stetig ausgebaut.

Da ich gesehen habe, dass es absolut nichts bringt, die Entscheidung hinauszuzögern, habe ich also die Probe aufs Exempel gemacht und im spanischen Amazon-Laden die Kindle-Version eines Buchs über die Gründung von Kooperativen gekauft - was nur möglich war, indem ich meinen Kindle in Spanien registrierte. Daraufhin entzog Amazon mir - und den Herausgebern - meine Subskriptionen des 2600 Magazins und des gerade frischen Analog SF&F. In Spanien gibt es beide einfach nicht, und somit für mich keine Möglichkeit, sie neu zu bestellen. Das mehrmalige Wechseln ist ebenfalls versperrt:

When you migrate from Amazon.com to Amazon.es, your kindle subscriptions on Amazon.com will be canceled as the subscriptions are bound to the device you register on our website. Since the subscriptions won't get delivered to the device, they get canceled automatically.

I wanted to let you know that once you migrate from Amazon.com to Amazon.es and if you migrate back to Amazon.com, you won't be able to migrate to Amazon.es again.

Aus der letzten Antwort des Amazon Kundendienstes

Seitdem stand es um meine Kundenzufriedenheit mit Amazon nicht gerade rosig. Vorgestern passierte dann etwas, was "dem Faß die Krone ins Gesicht schlug": Amazon schickte mir Werbung für Kindle-Bücher im US-Shop, die ich nicht mehr kaufen darf!

Was passiert beim Schließen des Amazon-Accounts?

Daraufhin deregistrierte ich den Kindle von meinem Account und schrieb nochmals an den Amazon Kundendienst, dass ich nunmehr mein mehr als zehn Jahre altes Nutzerkonto bei Amazon weltweit schließen will. Heute kam nun die Antwort, dass sie das machen würden, aber ich sollte doch bedenken, dass ich dann auch den Zugang zu all den Zusatzdiensten verlieren würde:

Here are some things to keep in mind:

-- If you use your Amazon.com log-in on other sites (e.g., Endless.com, Audible.com, etc.), you'll also lose access to those accounts.

-- Any open orders you have will be canceled.

-- If you have a remaining Amazon.com Gift Card balance, you won't have access to use the funds.

-- Returns and refunds can't be processed for orders on closed accounts.

-- You won't be able to re-download the Kindle content purchased on this account.

-- Your Amazon Payments account will be closed and can't be reopened.

-- You'll no longer have access to your Associates, Amazon Web Services, Corporate, Seller, Author Central, and/or Mechanical Turk accounts.

-- If you have an Amazon Web Services account, please contact AWS customer support for assistance with closing your AWS account [...]

Nun, einiges davon ist ja durchaus verständlich, aber insgesamt macht das wohl deutlich, in welche Gefahren man sich begibt, wenn man sich auf dieses Geschäftsmodell einlässt. Ich habe lediglich so etwas über 20 Bücher verloren, die ich mir neu kaufen müsste, wenn ich sie noch mal auf einem freien eBook-Reader lesen wollte, ansonsten habe ich keine Verflechtungen bei Amazon genutzt.

Wenn ich in einer Welt, die durch Amazon mit eBooks versorgt würde, all meine Interessengebiete abdecken wollte, müsste ich mir ein halbes Dutzend Kindles unter konspirativen Adressen in allen betreffenden Läden registrieren und müsste statt Büchern meine internationale Kindle-Sammlung auf Reisen mitschleppen.

Nicht auszudenken, wenn ich nach vielleicht 20 Jahren intensiver Kindle-Nutzung einen Grund hätte, mein Konto bei Amazon zu schließen - Dagegen nähme ich doch gerne immer wieder mal eine kleine Insektenplage in Kauf. Zur Zeit bin ich allerdings doch noch mal auf der Suche nach einem technisch geeigneten EPUB-Reader ohne Vendor-Lock-in mit irgendeiner Buchkette.

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