Kriminalisierung der Linkspartei schreitet voran

Union, FDP, Verfassungsschutz und Justiz schießen sich auf die Linkspartei ein

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Die Bundesrepublik ist eine wehrhafte Demokratie. Jedem Schüler, der hierzulande den Sozialkundeunterricht besucht hat, ist das ein Begriff. Eine wehrhafte Demokratie schränkt die Möglichkeiten der politischen Tätigkeit ein - immer dann, wenn diese darauf abzielen, die Demokratie selbst abzuschaffen. Doch wirklich wehrhaft erscheint die bundesrepublikanische Demokratie derzeit nicht zu sein: Jahre lang kann der Nationalsozialistische Untergrund vor den Augen des Verfassungsschutzes morden, zugleich erhalten die braunen Kameraden über V-Männer finanzielle Unterstützung vom Verfassungsschutz. Doch während das Versagen der "wehrhaften Demokratie" im Kampf gegen Rechts immer offenkundiger wird, schießen sich Union, FDP, Verfassungsschutz und Justiz auf die Linkspartei ein.

Der vorerst letzte Akt in diesem Spiel ist die Aufhebung der Immunität der beiden Fraktionsvorsitzenden der Linken im hessischen Landtag, Janine Wissler und Willi van Ooyen. Diese wurde mit den Stimmen von CDU und FDP beschlossen, die Opposition im Landtag sprach sich dagegen aus.

Den Antrag auf Aufhebung der Immunität stellte die Dresdner Staatsanwaltschaft bereits im März vergangenen Jahres, wie ein Sprecher gegenüber Telepolis erklärte. Den beiden Abgeordneten der Linken wird vorgeworfen, sie hätten dazu aufgerufen, "eine nicht verbotene Demonstration" zu vereiteln. Gemeint ist der alljährliche Neonazi-Aufmarsch in Dresden am 13. Februar 2010. Die Immunität des sächsischen Linken-Fraktionschefs André Hahn und des Thüringer Fraktionschefs Bodo Ramelow wurde auf Antrag der Dresdner Staatsanwaltschaft bereits im Oktober 2011 von den jeweiligen Landtagen aufgehoben.

Pikant: die Staatsanwaltschaft beschäftigt sich ausschließlich mit den Fraktionsvorsitzenden der Linken

Bundestags- und Landtagsabgeordnete anderer Parteien, die ebenfalls bei der Blockade des Neonazi-Aufmarschs 2010 dabei waren, wie etwa Claudia Roth, werden nicht belangt. Roth zeigte sich gegenüber Telepolis empört über die Entscheidung von Union und FDP in Hessen:

Die Aufhebung der Immunität der hessischen Linken-Abgeordneten ist absurd und nicht nachvollziehbar. Der Kampf gegen und die Blockade von Rechtsextremisten sollten nicht staatlich verfolgt, sondern müssen unterstützt und gefördert werden.

Claudia Roth

Dass die Staatsanwaltschaft Dresden ihre Ermittlungen offenbar vom Parteibuch abhängig macht, zeigt das Beispiel des sächsischen Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi von den Grünen. Auch er war bei der Gegendemonstration 2010 dabei. Lichdi stand auf dem Albertplatz, um dort die Neonazis zu stoppen.

Nachdem er erfuhr, dass die Staatsanwaltschaft gegen die vier Linken genau deswegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte, zeigte er sich selbst an - und bekam prompt eine Abfuhr. Er hätte nicht blockiert, habe ihm die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, weil die Nazis nicht über den Albertplatz, sondern die Hansastraße aus dem Bahnhof Dresden Neustadt herausgeführt werden sollten. "Das halte ich für eine kühne Rechtsauslegung, weil wir alle drei Enden zugemacht haben, nämlich eben die Hansastraße, Albertplatz und die Hainstraße. Und damit gab es überhaupt kein Rauskommen mehr. Also das ist eine seltsame Rechtsinterpretation gewesen", erklärt Lichdi gegenüber Telepolis. Die Entscheidung, nur gegen die Fraktionsvorsitzenden der Linken vorzugehen, könne er sich nur damit erklären, dass man gegen die Linkspartei "ein Exempel statuieren" wolle.

Dabei hatten die hessischen Linken ihre Proteste vorher sogar angemeldet, wie van Ooyen erklärt. Morgens um 8 Uhr seien sie zum Neustädter Bahnhof gegangen, wahrscheinlich von der Hansastraße aus, erinnert er sich. Der eigentliche Veranstaltungsort war zu diesem Zeitpunkt aber schon nicht mehr erreichbar gewesen, die Polizei hatte den Weg dorthin abgesperrt. Deshalb sind die Linken van Ooyen zufolge vor der Polizeiabsperrung stehen geblieben, um wie angemeldet eine öffentliche Fraktionssitzung unter freiem Himmel abzuhalten. Diese habe bis 16 Uhr gedauert. In der gesamten Zeit habe die Polizei keine Aufforderung gegeben, den Platz zu räumen oder gar einen Platzverweis ausgesprochen. Noch nicht einmal Personalien habe sie aufgenommen.

Für van Ooyen und seine Fraktion wäre es demnach nicht möglich gewesen zu erkennen, dass er rechtswidrig handelt. Ohnehin habe damals niemand gewusst, welche Route für die Neonazis genau vorgesehen gewesen sei, berichten mehrere Teilnehmer der Demonstration übereinstimmend. Die Dresdner Staatsanwaltschaft möchte auf Nachfrage diese Schilderung nicht kommentieren, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt.

Kritiker der Aufhebung der Immunität der Linken wie der Landtagsabgeordnete Karl Nolle (SPD) müssen in Sachsen schon damit rechnen, dass ihnen ihre Abgeordnetenkollegen von CDU und FDP über die Junge Freiheit, ein Sprachrohr der Neuen Rechten, antworten. Die Junge Freiheit hat den Aufmarsch der Rechten, der dazu dient, den Deutschen eine Opferrolle im Zweiten Weltkrieg anzudichten und so die Geschichte zu relativieren, verharmlosend als "NPD-nahen Trauermarsch" bezeichnet.

Die Zeitschrift bedient sich dabei auch unumwunden der Sprache der Rechtsextremen, bezeichnet die Bombardierung Dresdens als "Terrorangriff", spricht vom "Dresdner Massenmord" - und lobt die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) dafür, dass sie mit ihrem Trauermarsch das "diktierte Geschichtsbild der Bundesrepublik" durchbricht.

Das sächsische Versammlungsgesetz ist nicht anwendbar

Dabei ist Kritik an den Ermittlungen gegen die Demonstranten durchaus angebracht, denn weder 2010 noch 2011 gab es in Sachsen ein gültiges Versammlungsgesetz, nach dem die Betroffenen angeklagt werden können. Das sächsische Verfassungsgericht hatte es im April vergangenen Jahres wegen eines gravierenden Fehlers gekippt. Die Fassung, die den Abgeordneten damals zur Abstimmung vorlag, entsprach nicht der, die anschließend im Gesetzblatt verkündet wurde. Das Gericht monierte, dass für die Abgeordneten daher nicht klar war, worüber sie eigentlich abstimmten. Die Staatsregierung war damals der Auffassung, dass das auch gar nicht nötig sei, weil in der Verfassung ja kein Transparenzgebot existiere.

Da das sächsische Versammlungsgesetz aufgrund des Urteils aber nicht anwendbar ist, ist nach der Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages gar kein Versammlungsgesetz anwendbar. Der Grund dafür ist, dass das Versammlungsgesetz des Bundes, auf das normalerweise zurückgegriffen werden kann, ein höheres Strafmaß vorsieht. In einer Ausarbeitung vom 27. September 2011, die Telepolis vorliegt, kommt der Wissenschaftliche Dienst daher zu dem Schluss, dass

nach alledem nach der Nichtigerklärung des Sächsischen Versammlungsgesetzes die Einleitung eines Strafverfahrens für Taten für den Zeitraum zwischen Verkündung und Nichtigerklärung wegen der dargestellten Strafbarkeitslücke nicht möglich sein. Mag die Straflosigkeit dieser Taten vielleicht auf den ersten Blick unbillig erscheinen, weil die Handlungen für die Betroffenen wegen des Rechtsscheins bzw. der tatsächlichen Wirkung des § 21 SächsVersG zur Tatzeit schließlich erkennbar strafbewehrt waren, so erscheint doch aus allgemeinen bzw. besonderen rechtsstaatlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf § 21 SächsVersG - wegen der Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG - und in Bezug auf § 21 VersG Bund - wegen des Rückwirkungsverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG - eine andere Bewertung verfassungsrechtlich problematisch.

Hervorhebungen durch den Wissenschaftlichen Dienst

Wegen "Sprengung" der Dresdner Neonazi-Demo im Februar 2011 hat die Staatsanwaltschaft Dresden auch eine Aufhebung der Immunität der linken Bundestagsabgeordneten Caren Lay und Michael Leutert eingeleitet. Lay ist zugleich Bundesgeschäftsführerin der Linkspartei. Dabei achtet die Staatsanwaltschaft offenbar mittlerweile darauf, künftig auch andere Demo-Teilnehmer zu verfolgen. So soll Lichdi zufolge auch seine Immunität wegen seiner Teilnahme an der Gegendemonstration 2011 aufgehoben werden.

Dabei sind Sitzblockaden auch gegen Demonstrationen von Nazis vom Bundesverfassungsgericht gedeckt: Ein entsprechendes Verfahren gegen Wolfgang Thierse (SPD) wegen einer Blockade in Berlin ("Herr Thierse ist die personifizierte Ansehensschädigung des deutschen Parlaments") wurde mit Verweis auf ein Urteil des höchsten Gerichts eingestellt, wonach eine Sitzblockade eben keine Gewaltanwendung sei (Stärkung des Demonstrationsrechts). Auch Rechtswissenschaftler Uwe Wesel sieht in Sitzblockaden allenfalls einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Für die Vorgänge bei der Staatsanwaltschaft in Dresden hat er wenig übrig: "Die Dresdner Staatsanwaltschaft ist meiner Meinung nach ein bisschen bösartig."

Ablenkungsmanöver?

So kann das Vorgehen von Union und FDP gegen die Fraktionsvorsitzenden der Linken im hessischen Landtag nur als Versuch gesehen werden, die Linkspartei, aber auch Zivilcourage gegen Faschisten, gezielt zu kriminalisieren. Letztlich läuft dies auch auf die Gleichsetzung von rechtsextremen Gruppierungen mit der Linkspartei hinaus - beide sollen als gefährlich, verfassungsfeindlich und in gleichem Maße beobachtenswert gelten.

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) betreibt diese Gleichsetzung, wenn er behauptet, dass die Überwachung von Funktionären der NPD im Landtag ebenfalls eingestellt werden müsse, wenn die Abgeordneten der Linken nicht mehr überwacht würden. Und auch Erika Steinbachs (CDU) historisch absurde Äußerung auf Twitter, die NSDAP sei eigentlich eine Linke Partei gewesen, zielt in diese Richtung. Nicht beachtet wird bei dieser Gleichsetzung, dass von der Linkspartei kein Gewaltpotential ausgeht, während man dies von der NPD nicht behaupten kann.

Wenn aber mittlerweile, wie von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt zu hören, ein Verbot der Linkspartei gefordert wird, dann erfüllt dies vor allem zwei Funktionen: Zum einen soll so von den bisherigen Versäumnissen im Kampf gegen die wirklichen Verfassungsfeinde abgelenkt werden, die sich seit dem Auffliegen des NSU in eklatanter Weise zeigen. Zugleich aber findet ein Angriff auf die Linkspartei statt, der sie effektiv am Arbeiten hindert und sogar dazu führen kann, dass sich verunsicherte Wähler möglicherweise zumindest vorerst von der Partei abwenden. Zumal auch die Befürchtung von Petra Pau (Linke), dass Bürger künftig verunsichert sind, welche Anliegen sie ihren Abgeordneten noch anvertrauen können, nicht unberechtigt erscheint.