Fast all WM-Titel haben in den letzten 50 Jahren die neun teuersten Mannschaften erzielt

Abb. 4: FIFA-Ranking (Stand 2010) versus Transferwert der Nationalmannschaften. Daten von transfermarkt.de.

Nur Geld schießt Tore - Teil 2

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Teil 1: Der Transferwert eines Fußballteams entscheidet über die Anzahl seiner Meistertitel.

Im Fußball entscheidet nicht allein der Marktwert über Sieg oder Niederlage. Der Transferwert ist jedoch ein Indikator für die Güte eines Teams und die Leistung ihrer Spieler. So gesehen lohnt sich ein Blick in die Tabelle des Marktwertes der neun teuersten Mannschaften, die bei der WM-2010 in Südafrika auftraten (Tab. 2).

Es sind die üblichen Verdächtigen: Spanien, England, Frankreich, Brasilien, Argentinien, Italien, Deutschland, Portugal und die Niederlande. Auf diese wenigen Länder fallen bis heute alle WM-Titel minus zwei (vor der Globalisierung des Fußballs war Uruguay zweimal Weltmeister). Seit 1966, d.h. seit fast 50 Jahren, haben sich nur Teams aus dieser Neuner Gruppe am Endspiel beteiligt - mit der Ausnahme von Portugal, das regelmäßig enttäuscht.

Man könnte sogar Zeit sparen, wenn man die Weltmeisterschaft ausschließlich unter diesen neun Teams austragen würde. Wegen der vielen Spiele im Turnier ergeben sich bei der WM meistens keine großen Überraschungen wie bei der Europameisterschaft, wo kleine Länder wie Dänemark oder Griechenland auch mal gewinnen können.

Die Korrespondenz des Marktwerts einer Nationalmannschaft mit dem FIFA-Ranking bietet interessante Einblicke. Das Ergebnis ist in Abb. 4 zu finden. Das FIFA-Ranking läuft von links nach rechts von 200 zu 1, während der Transferwert zwischen 0,10 Millionen und bis zu 650 Millionen (Spanien) beträgt. Man beachte den logarithmischen Maßstab des Transferwertes. Dies bedeutet, dass der Transferwert exponentiell steigt, je näher ein Team zu der Spitze ist.

Bei der WM-2010 war deutlich zu beobachten, dass man, abgesehen von Neuseeland und Südkorea, keine wirklich "kleinen" Mannschaften mehr gesehen hat. Jeder WM-Spieler war im Durchschnitt mindestens eine Million Euro Wert, da die besten afrikanischen und asiatischen Spieler ihr Geld längst in Europa verdienen.

Die Europameisterschaft 2012

In den letzten zwei Jahren hat sich der Transferwert der Nationalmannschaften geändert, deren FIFA-Ranking ebenfalls. Möchte man die verschiedenen Mannschaften vergleichen, bieten sich hierfür zwei Möglichkeiten: Man kann den Transferwert der Nationalmannschaften oder die Anzahl der FIFA-Punkte vergleichen. Am besten ist es, beides zu tun, wie Tab. 3 zeigt:

Diese Daten habe ich zweidimensional in Abb. 5 aufbereitet. Spanien steht isoliert oben rechts (teuerste und besser gerankte Mannschaft), aber zwei klare Gruppen sind auszumachen: die "Kernländer" des Fußballs und der Rest. Griechenland und Dänemark sind overachievers. Mit relativ preiswerten Mannschaften haben beide ein sehr gutes FIFA-Ranking und konnten vor nicht allzu langer Zeit je einen EM-Titel gewinnen.

Abb. 5: Transferwert versus FIFA-Punkte für die an der EM-2012 teilnehmenden Mannschaften

Benutzt man beide Kriterien (Transferwert und FIFA-Ranking) ist es klar, dass die Gruppe B (Deutschlands Gruppe) sehr schwer ist. Diese sind die Marktpreise für die Teams in den jeweiligen Gruppen und die Summe derer FIFA-Punkte:

Nach beiden Kriterien ist Gruppe B eindeutig die schwierigste. Da aber Gruppe B weiter gegen Gruppe A spielt, ist die Hälfte AB eigentlich die einfachste (deutlich nach Transferwert, weniger nach FIFA-Punkten). So gesehen ist die "Todesgruppe" nicht so furchtbar.

Simulationsmodelle und Wetten

Das System der FIFA-Punkte ist rein heuristisch und ohne viel Aufklärung eingeführt worden. Die Idee ist, dass Mannschaften in Turnieren immer um Rankingpunkte kämpfen. Gute Mannschaften gewinnen Punkte, wenn sie schwächere Teams schlagen, aber nicht so viele, als wenn ein schlechtes Team eine Fußballpotenz übertrifft. Der Grund dafür ist, dass wir eigentlich den Sieg der stärkeren Mannschaft erwarten. Teams, die über sich selbst hinauswachsen, werden mit mehr FIFA-Punkten belohnt.

Eine andere Art von Ranking wird mit ELO-Punkte erstellt. Das ist das System, das beim Schach verwendet wird. Das ELO-Ranking eines Schachspielers ist ein sehr guter Indikator für dessen Spielstärke. Die Differenz der ELO-Punkte bei zwei Schachspielern ist außerdem eine gute Messlatte für die Gewinnwahrscheinlichkeit des stärkeren Spielers. Beim Fußball gibt es seit 1997 ELO-Rankings und diese kann man für eine Berechnung der Gewinnwahrscheinlichkeit verwenden.

Die bei ELO-Rankingdifferenzen benutzte Berechnungsvorschrift ist eine sogenannte logistische Funktion. Bei ELO-Differenz von Null kann jeder der Spieler mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% gewinnen. Ist die ELO-Differenz sehr groß, steigt die Gewinnwahrscheinlichkeit asymptotisch gegen 1, während für den schwächeren Spieler die negative ELO-Differenz seine Gewinnwahrscheinlichkeit gegen Null drückt.

Wozu braucht man solche Gewinnwahrscheinlichkeiten? Etwas naiv und idealistisch gedacht, könnte man sie in einer mathematisierten Welt benutzen, um den Gewinner eines Spieles im Voraus zu ermitteln. Das Stadion wäre voll, man würde dann nur nach den ELO-Wahrscheinlichkeiten würfeln und den Gewinner bekanntgeben können. Die Zuschauer würden jubeln und die Spieler würden sich an den Hals fallen. Nach vielen Spielen mitteln sich alle Ergebnisse aus und wir erhalten dieselben Gewinnwahrscheinlichkeiten, als ob die Spiele wirklich stattgefunden hätten.

Ich übertreibe natürlich. In der realen Welt sind jedoch die Gewinnwahrscheinlichkeiten für die Betreiber von Wettbüros wichtig und interessant. Die Gewinnquote für Sieg oder Niederlage ergibt sich zunächst einmal aus diesen Wahrscheinlichkeiten. Allerdings interessieren sich die Betreiber und Wettprofis eher für die Metaebene, für das was das Publikum denkt, wer wohl am Ende gewinnen wird. Ist das lokale Publikum zu optimistisch und wettet zu viel auf das eigene Team, könnte bei niedrigem Einsatz für das andere Team vielleicht ein guter Gewinn eingefahren werden.

Damit treffen wir die etwas unterbeleuchtete Unterwelt des Sports: die Wettbüros, vor allem jene in Asien. Die Premier League z.B. wird dort so intensiv verfolgt, weil bei dieser Liga große Wetteinsätze getätigt werden. In Singapur verliert jeder Erwachsene pro Jahr durchschnittlich 1.174 US-Dollar bei Wetteinsätzen. In Hong Kong sind es 503 Dollar. Während Barcelona auf seinem Trikot für UNICEF wirbt, ziert das Trikot von Real Madrid das Logo der Wettbetreiber "bwin". Andere Wettbüros haben zusätzliche Teams und Sportfiguren unter Vertrag.

Eine solche Erscheinung aus der Unterwelt des Sports habe ich vor Jahren am Rande einer Tagung über Zeitreihenanalyse kennengelernt. Bei Zeitreihen versucht man, ökonomische Prognosen mathematisch zu begründen, z.B. zukünftiges Wirtschaftswachstum. Der Wettanalyst war aber da, um die neuesten Verfahren zu verstehen und für seine Zwecke zu verwenden. Wie er erzählte, wollte sein Unternehmen immer "innovativere Wettprodukte" an den Mann bringen, sodass am Anfang des Spiels nicht allein auf Sieg oder Niederlage gewettet wurde.

Das Ziel ist, über 90 Minuten immer neue Wetten anzubieten. Liegt Bayern 2 Tore zurück, kann man wetten, dass in den letzten 15 Minuten der Ausgleich erzielt wird. Hat Cristiano Ronaldo noch nicht getroffen, kann man wetten, dass dies in der zweiten Hälfte geschieht. Man kann auf Tordifferenzen, Torzeiten, und alles Mögliche wetten (man braucht nur eine der Webseiten der Wettbetreiber am Spieltag zu erspähen). Der Glücksspieler soll am Fernsehen (oder Bildschirm) kleben und ständig neue Wetten einreichen können. Die Quoten für solche sehr speziellen Wetteinsätze müssen aber berechnet werden. Für Wettbüros ist ein Fußballspiel letztlich nur eine Zeitreihe über 90 Minuten, bei der die Gewinnwahrscheinlichkeit eines jedes Teams laufend ab- oder zunimmt und die Wahrscheinlichkeit von seltenen Ereignissen (und solche sind die Tore) berechnet werden muss. Dafür scheuen Wettbüros keine Kosten und haben Helfer, die laufend die Partie, die verteilten gelben und roten Karten, die Schüsse aufs Tor usw. erfassen, um die Algorithmen mit den neuesten Daten am Laufen zu halten.

Fußball ist ein Sport, ist aber wie der Rest der Gesellschaft, nicht schlechter aber auch nicht besser. Am Ende bestimmen große Investitionen den Verlauf der Turniere, angefangen mit den nationalen Ligen und endend mit Welt- bzw. Europameisterschaften. Jeder, der als Kind Fußball gespielt hat, kann sich bei einem guten Spiel begeistern. Man sollte aber nicht außer Acht lassen, das Geldflüsse auf alle Ebenen (bei der FIFA, zwischen den Vereinen, und sogar bei Wettbüros, die als Sponsoren auftreten) das Spiel maßgeblich beeinflussen. Nur wenige Mannschaften schaffen Wunder bzw. haben einen Rehhagel, der von sich selbst meinte: "Wozu braucht meine Mannschaft Doping? Sie hat ja mich." Die anderen müssen sich mit Geld dopen.