Besser nicht nach der Bildzeitung fragen

Vor 40 Jahren erhielt der Münchner Mediensoziologe Horst Holzer Berufsverbot

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Warum applaudieren die Unterdrückten auch noch ihren Unterdrückern? Und lesen Bild-Zeitung oder sehen fern? Oder anders gefragt: Was sind die Gebrauchswerte, die die Menschen aus dem Nutzen von Medien ziehen? Eine der Antworten, die Horst Holzer gab, war: Die Menschen nutzen Medien, um so gegenüber den Belastungen und Zumutungen ihrer sozialen Lage eine Entlastung zu finden. Dieser Befund wäre an sich noch nicht so schlimm gewesen. Schlimmer waren Sätze wie: "Das vorliegende Buch unternimmt den Versuch, gesellschaftliche Kommunikation und deren spezifische Erscheinungsform im Gesellschaftssystem der BRD historisch-materialistisch zu bestimmen." Das waren Sätze, angesichts derer man im weißblauen Freistaat in den 1970er Jahren längst rot sah. Als sie 1976 auf dem Umschlag des Buches "Kommunikationssoziologie" gedruckt wurden, war der Sozialwissenschaftler und DKP-Mitglied Horst Holzer bereits eines der prominentesten Opfer der Berufsverbote geworden.

"Solidarität mit Prof. Horst Holzer. Die Münchner Bürgerinitiative gegen Berufsverbot lädt ein. Schwabingerbräu, 1. Dez., 19.30 Uhr", war Ende 1976 in München auf einem Flugblatt zu lesen. Den Schwabingerbräu gibt es nicht mehr, damals beherbergte er einen großen Saal an der Münchner Freiheit, in dem auch Faschingsbälle stattfanden. Man rechnete also mit großem Andrang zur Solidaritätsveranstaltung, auf der dann unter anderen Prof. Frank Deppe aus Marburg, Prof. Klaus Holzkamp aus Westberlin und Prof. Salvatore Sechi aus Bologna sprachen.

Auf der Rückseite des Flugblattes war zu lesen: "1974: CSU-Kultusminister Maier lässt sämtliche Bücher von Prof. Holzer aus der Universitätsbibliothek entfernen." Vergangenen Juni brachte die "Süddeutsche" ein langes Interview mit dem ehemaligen Staatsminister Hans Maier zu dessen 80. Geburtstag - kein Wort findet sich darin über die Praxis der Berufsverbote.

Im Januar 1972 trat in der Bundesrepublik unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) der sogenannte Radikalenerlass in Kraft, wonach eine aktive Verfassungstreue Voraussetzung für die Einstellung in den öffentlichen Dienst wurde. Wer Lokomotivführer, Postbeamter, Lehrer oder Universitäts-Professor werden wollte, wurde auf diese Verfassungstreue hin überprüft. Die Mitgliedschaft in angeblich "verfassungsfeindlichen" Organisationen reichte aus, um ein Berufsverbot zu verhängen, auch wenn es jeweils um die Prüfung des Einzelfalls ging. Der Radikalenerlass richtete sich vor allem gegen Linke und Kommunisten, allen voran die Deutsche Kommunistische Partei (DKP).

Die DKP hatte sich 1968 in Essen gegründet und verstand sich als Nachfolgerin der 1956 in der Bundesrepublik verbotenen KPD. Sie war bis zum Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus" 1989 in Westdeutschland die größte Partei links von der SPD mit mehreren zehntausend Mitgliedern (Maximum: 1978 mit 46.480 Mitgliedern nach Parteiangaben, 42.000 nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz). Der Partei nahe standen Nebenorganisationen wie die Kinderorganisation "Junge Pioniere" (1988: 3.000 Mitglieder), die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ), die in den 1970er Jahren zwischen 13.000 und 15.000 Mitglieder zählte, und die Studentenorganisation "Marxistischer Studentinnen- und Studentenbund Spartakus" (MSB) mit 3500 bis 6000 Mitgliedern.

Dieser DKP schlossen sich in den 1970er Jahren eine ganze Reihe von Intellektuellen und Künstlern an, zum Beispiel der Schriftsteller Franz Xaver Kroetz oder der Liedermacher Franz-Josef Degenhardt. Gar Dieter Bohlen soll Mitglied gewesen sein.

Und Mitglied war auch Horst Holzer. 1935 geboren, hatte er in Frankfurt Soziologie studiert und arbeitete 1964 bis 1970 als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Soziologie der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU). Hier promovierte er auch 1966 bei Prof. Martin Bolte mit einer mediensoziologischen Arbeit ("Illustrierte und Gesellschaft"), 1970 folgte die Habilitation. 1971 wurde er Wissenschaftlicher Rat und Professor an der LMU, formal zunächst als Beamter auf Probe. Es war die Zeit des massiven Ausbaus des Hochschulwesens und der Neugründung von Universitäten, darunter in der Hansestadt Bremen. 1971 erhielt der damals 35-jährige Holzer einen Ruf als Professor für Kommunikationswissenschaft an die neue Uni, die ihm "herausragende wissenschaftliche Qualifikationen" bescheinigte und erklärte, er habe sich in zahlreichen Publikationen ausgewiesen.

Freilich alles ein Trugbild. Politische Querelen zwischen SPD und FDP im Bremer Senat um die Berufungen an die "Reformuniversität" vereitelten zunächst die Einstellung Holzers. Eine beamtenrechtliche Überprüfung ergab schließlich, dass Holzer auch Mitglied der DKP war. Am 27. Juli 1971 lehnte der Senat die Ernennung Holzers ab, man sei nicht bereit, "Mitglieder von rechts- oder linksradikalen Gruppierungen als Beamte nach Bremen zu holen".

Der Ablehnung folgten Proteste von Hochschullehrern, Gewerkschaft und Studierenden. Holzer, der bereits seine Münchner Wohnung gekündigt hatte, klagte vor dem Bremer Verwaltungsgericht. Ein Jahr später bestätigte das Gericht die Nichteinstellung aus politischen Gründen. Im Urteil hieß es, in das Beamtenverhältnis dürfe nur berufen werden, wer die Gewähr dafür biete, für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten. Und es gehe darum, präventiv darauf hinzuwirken, dass es gar nicht zu beamtenrechtlichen Verstößen käme.

Politische und wissenschaftliche Ächtung

Für Holzers wissenschaftliche Karriere im Universitätsbetrieb war dieses Urteil auf der Grundlage seiner DKP-Mitgliedschaft verheerend. 1972 wurde sein Ruf an die neugegründete Universität Oldenburg vom niedersächsischen Kultusminister verhindert, gleiches ein Jahr später in Marburg und in Berlin. Der Schatten politischer Ächtung fiel auch auf Holzers wissenschaftliche Arbeit auf dem Felde der Kommunikationswissenschaft. Diese Disziplin, hervorgegangen aus der "Publizistik" - ein Fach, das im Dritten Reich sich gerne prostituierte - hatte wenig mit dem materialistischen Ansatz Holzers gemein. Ein gesellschaftskritischer Ansatz, der klassenspezifisch nach Mediennutzung fragte, war den konservativen Fachvertretern fremd. Heute ist die materialistische Medientheorie von Holzer und anderen längst zu einer "vergessenen Theorie" - so der Titel einer Dissertation - geworden.

In München hatte Holzer seine Professur (auf Probe) behalten. Als 1974 nun die Verbeamtung auf Lebenszeit anstand, entließ der bayerische Kultusminister Maier ihn unter Berufung auf das Bremer Urteil aus dem Staatsdienst. Holzer ging erneut vor das Verwaltungsgericht, das Verfahren sollte sechs Jahre dauern. 1980 kam er einem Urteil, das seinen finanziellen Ruin bedeutet hätte, zuvor und ersuchte selbst um eine Entlassung aus dem Staatsdienst. Im Falle eines Richterspruchs hätte er womöglich seine Beamtenbezüge seit seiner Entlassung zurückzahlen müssen. Holzer war an der LMU weiter als Privatdozent tätig, 1994 wurde ihm auch die formale Ehre der Ernennung zum außerplanmäßigen Professor vom Kultusministerium verweigert. Horst Holzer starb im Jahr 2000 im Alter von nur 65 Jahren.

In seinem Nachruf schrieb der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang R. Langenbucher - er hatte lange in München gelehrt, ebenso wie übrigens der SPD-Intellektuelle Peter Glotz -, die berufliche Karriere und das persönliche Schicksal Holzers seien durch die damalige "intellektuellenfeindliche" Politik geprägt worden und die Fakten sagten "nichts Gutes über die Wissenschaftsfreiheit im damaligen Deutschland aus".

Das damalige (West-)Deutschland Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre - das ist nicht zu vergessen - war auch das Land, in dem Mitglieder von SS und Gestapo im Bundesnachrichtendienst untergekommen und wohlversorgt mit Pensionen waren. Und es war das Land der Kontinuität von NS-Funktionären in Justiz, Polizei und Universität. Demgegenüber wurde mittels des Radikalenerlasses an Horst Holzer ein Exempel statuiert, kritischen (linken) Geist von den Hochschulen fernzuhalten.