Die moralische Pflicht zur Bewaffnung?

Syrien: Warum militärische Unterstützung von außen keine gute Lösung ist

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Sind Waffen in größeren Mengen in einem Land im Umlauf, werden sie selten wieder an eine Regierung zurückgegeben, nur weil sie Legitimität beansprucht. Das ist an sich eine banale Einsicht, aber angesichts der gegenwärtigen Debatte um die Bewaffnung des syrischen Widerstands gegen Baschar al-Assad, ist der Verweis auf Erfahrungen in Afghanistan und Libyen angebracht. Denn, was in den 1980er und 1990er Jahren unter zivilisierten Ländern als - offizieller - Konsens galt, keine Waffen in Krisengebiete zu schicken, wird derzeit als Verstoß gegen moralische Pflicht durch Medien, Kommentare und Talkshows neu gerahmt. Der auf die Unterscheidung zwischen Gut und Böse fixierte Blick blendet jedoch einiges aus.

Man kann sich etwa vor Augen halten, welche Folgen die großzügige Ausstattung der Mudschahedin in Afghanistan und in den Grenzgebieten zu Pakistan mit Waffen hatte: Die etablierten Herrschaftsverhältnisse wurden damit auf Dauer verändert, wie dies 2009 der damalige Gouverneur der pakistanischen Nord-West-Grenzprovinz, Owais Ahmed Ghani, in einem Interview darlegte.

Als großes Problem benannte Ghani die seit den 1980er Jahren entstandenen "Zwischenspieler", die sich in das zuvor bestehende Machtarrangement zwischen Regierung und Stämmen gedrängt haben: Dutzende von militanten Gruppen, deren Ursprung und Förderung auf den Dschihad gegen die Sowjetununion zurückgehen. Diese seien geblieben und wurden weiterhin großzügig mit Geld und Waffen ausgestattet. So sehr, dass sie die traditionellen Lokalchefs, die Maliks, bald aus deren angestammten Machtpositionen verdrängt hätten - "out-gunned, out-funded" und "out-organized".

However, post the 1979 Soviet invasion of Afghanistan, we were supported by the West and the United States and we used the tribal areas ... Federally Administered Tribal Areas [FATA] ... as the launching pad for the Afghan jihad against the Soviet army.

Whatever happened after that is the fallout of an unintended consequence of that conflict. Those jihadi organizations morphed into militant organizations [at the end of the Afghan jihad in 1989] and therefore a third power emerged and the old equilibrium was disturbed.

Man mag sich darüberhinaus daran erinnern, welche Schwierigkeiten die afghanische Zentralregierung damit hatte, die Forderung nach der Rückgabe von Waffen durchzusetzen. Ob es überhaupt gelungen ist?

In Libyen ist man davon jedenfalls weit entfernt. Über 125.000 Waffen sind durch nach Angaben der International Crisis Group in Umlauf. Dem Überangebot an Waffen stehe ein Vertrauens-Defizit gegenüber, stellt der Bericht fest. "The surplus of weapons and deficit in trust" wird in einem Land beobachtet, dessen Regierung Legitmitätsprobleme hat, deren Macht nicht weit reicht und in dem bewaffnete Milizen, die einander mit mehr oder weniger großen Rivalitäten gegenüberstehen, das augenblickliche Bild beherrschen (Libyas New Government unable to control militias):

Von der internationalen Öffentlichkeit wenig beachtet fanden in den letzten Monaten unter anderem in Tripolis immer wieder Kämpfe zwischen Milizen statt, die nicht daran denken, ihre Waffen abzugeben

Libyscher Bürgerkrieg geht weiter

Die Nachrichten, die zuletzt aus Libyen kamen, bezichtigen Milizen der Folter und dass sie eigene Gefängnisse unterhalten.

Die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen waren laut einer Presseerklärung von Ende Januar "immer öfter mit Patienten konfrontiert, die Verletzungen als Folge von Folter während Verhören aufwiesen".

Diese Befragungen wurden außerhalb der Internierungszentren durchgeführt. Ärzte ohne Grenzen hat insgesamt 115 Patienten behandelt, die Verletzungen durch Folter aufwiesen, und hat alle Fälle an die zuständigen Behörden in Misrata gemeldet. Seit Januar wurden Patienten, die in die Verhörzentren zurückgebracht wurden, sogar erneut gefoltert. Die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen wurden außerdem gebeten, Patienten direkt in den Verhörzentren zu behandeln, was die Organisation kategorisch abgelehnt hat.

Im übrigen liefern auch die syrischen Nachbarländer Libanon und Irak genug Beispiele dafür, dass Waffengewalt, die auf Gut-Böse-Analysen aufgestülpt wird - die, wie z.B. Elliott Abrams beweist, im amerikanischen politischen Establishment fröhliche Runden ziehen - , kein Weg ist, der die Landesbewohner zu dem führt, was sie sich wünschen: Frieden und Sicherheit und anständige Verhältnisse.