Ungeschützter Verkehr mit Freunden, Google und Europol

Über das Teilen von Daten

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"Divide et impera!" - "Teile und Herrsche!" - soll Niccolò Machiavelli (1469-1527) gepredigt haben. Die damit verbundene Hoffnung: Man soll eine (gegnerische) Partei in Untergruppen aufspalten, damit sie leichter zu beherrschen und zu besiegen ist. Im Informationszeitalter ist jeder potentielle Kunde seine eigene Untergruppe; seine Behandlung lässt sich somit personalisieren - jedem seine eigene Schublade!

So orakelte ein Verantwortlicher bei Vodafone vor einem Jahr im Handelsblatt: "Langfristig sind auch Plattformen denkbar, über die das Navigationssystem Informationen über einen Stau auf dem täglichen Weg zur Arbeit direkt an den Wecker leitet, der dann eine Stunde früher klingelt." Einzige Voraussetzung dafür: Er muß bereit sein, seine Daten mit Vodafone zu teilen - wo sein Arbeitsort ist, wer ihm monatlich Lohn überweist, welchen Navi er auf welcher Wegstrecke nutzt und welche täglichen Routinen er so pflegt. Ähnliche Angebote lassen sich sicher auf Basis des Medienkonsums, der "Freunde" und Freizeitbeschäftigungen stricken.

Das Gängige allerdings ist mittlerweile schon langweilig. Jetzt kommt die "Selbst-Quantifizierung": Künftig sollen wir zusätzlich Herzfrequenz, Blutzucker, Schrittzahl, Kalorienverbrauch und Schlafverhalten messen, wie uns golem.de wissen lässt. Wem das noch nicht genug ist, kann sich mit einer Kamera beim Schlafen filmen. Wie aber ziehe ich jetzt tatsächlich sinnvolle Schlüsse aus meinen Bewegungen während meiner Tiefschlaf-Phase, meinem Kalorienverbrauch zu dieser Zeit und meinen Träumen? Da wird uns sicher Google beim Ordnen behilflich sein (kostenlos natürlich!) - die Suchmaschine will jetzt diensteübergreifende Benutzerprofile anlegen und bis 2020 "Gedanken lesen" ("2020 wird Google Gedanken lesen") können.

Der Autor Peter Bihr ist nun unter der Überschrift "Die Pflicht, Daten zu teilen" außerdem der Ansicht:

Wer Verhaltensdaten sammelt, sollte sie auch teilen. Große Datensätze ermöglichen uns, mehr Bedeutung, mehr Wert zu schaffen. Skalierung ist der Schlüssel zu wahrhaft interessanten Erkenntnissen.

Zur Begründung führt Bihr an:

Wenn man bedenkt, was die medizinische Forschung mit all unseren Körper- und Verhaltensdaten anstellen könnte, führt an dieser Frage kein Weg vorbei: Falls durch unsere Quantified-Self-Daten auch nur die Behandlung einer einzigen Krankheit möglich würde, wäre das allein nicht schon das Teilen wert?

Ob Google dann auch unsere gelesenen Gedanken mit anderen teilen wird?

Teilen läßt sich bei Facebook künftig sógar "frictionless" - so die Werbung: Es wird mir ganz warm ums Herz, wenn ich mir vorstelle, dass ich alle jemals bei Yahoo gelesenen Nachrichten und sämtliche bei Foodily aufgerufenen Rezepte "reibungslos" mit allen meinen Freunden teilen kann.

"Freunde" - das ist ein wenig unspezifisch. Peter Bihr rät: "Bevor wir persönliche Daten erheben und öffentlich teilen, sollten wir uns fragen: Wer interessiert sich für unsere Daten?" - Zu den besten Freunden könnten sich Bihr zufolge womöglich Markenartikler, Krankenkassen, Wissenschaftler "aller Coleur", Regierungen und Geheimdienste zählen. Allerdings bleibt Bihr die Frage schuldig, wie er das Teilen der Daten einerseits mit dem Datenschutz andererseits unter einen Hut bringen will.

"Reibungsloses Datenteilen"

"Reibungsloses Datenteilen" - das ist eine Vokabel, die wie Musik in der Europäischen Union klingen muß: In ihrer Entscheidung 2009/934/JHA haben die europäischen Regierungschefs die Beziehungen der europäischen Polizeibehörde Europol zu Partnern "einschließlich des Austauschs von personenbezogenen Daten" definiert.

Dem Ratsbeschluß zufolge dienen personenbezogene Daten der Identifikation einer natürlichen Person. Zu dieser Identifikation könnten sowohl eine Ausweisnummer oder "eines oder mehrerer Merkmale" genutzt werden, "die spezifisch für ihre physische, physiologische, geistige, ökonomische, kulturelle oder soziale Identität sind". Zur "Verarbeitung personenbezogener Daten" gehören "die Sammlung, Aufnahme, Ordnung, Speicherung, Anpassung, Veränderung, Suche, Beratung, Gebrauch und Bekanntgabe durch Übertragung, Weitergabe, oder in anderer Weise Verfügbarmachung, Abgleich oder Kombination, Blockade, Löschung oder Zerstörung".

Auch an die Verwendung personenbezogener Daten haben Angela Merkel und ihre Amtskollegen gedacht: Die Europäische Polizeibehörde Europol kann diese an Dritte übertragen, soweit der Direktor der Behörde "die Übertragung für absolut notwendig hält, um die essentiellen Interessen der betroffenen Mitgliedsstaaten zu schützen [...]". Da ist dem Verdächtigen zu wünschen, dass der Herr bzw. Frau Direktor gerade mal in einer Stimmung ist, in der die Daten nicht weitergegeben werden.

Die Mächtigen in Europa sind mittlerweile dabei, ihre Absichten mit Hilfe des Bevölkerungsscanners mit Namen "indect" in die Praxis umzusetzen: Dabei soll "abnormes Verhalten" mit Hilfe "intelligenter" Kameras erkannt und Personen identifiziert werden. Diese Erkenntnisse sollen mit Internet-Daten verglichen werden.

Bisher reden wir hier nur von Polizeibehörden. Das bedeutet aber nicht, dass andere leer ausgehen. Der Bundesverfassungsrichter Johannes Masing sorgt sich um die EU-Datenschutzverordnung, die den Datenaustausch zahlreicher Behörden zentral regeln soll:

Insbesondere umfasst sie (die Verordnung, Anm. d. Autors) den gesamten innerstaatlichen Umgang mit Informationen aller Behörden, unabhängig von grenzüberschreitenden Bezügen. Unter ihren Anwendungsbereich fallen damit die Datenverwaltung im Finanz-, Ausländer- und Umweltrecht ebenso wie im Bereich der Sozialversicherungen, Krankenhäuser, Universitäten oder Schulen.

Das schafft neue Möglichkeiten, der Zielperson auf die Schliche zu kommen: Wie reagieren Blutdruck und Herzfrequenz auf ein bestimmtes Youtube-Video, wenn dieses einmal einen fetten Burger oder im anderen Fall nationalsozialistisches Gedankengut enthält? Und ab wann sind die Veränderungen als abnorm zu bezeichnen und beobachtungswürdig? Welche Behörde oder Krankenkasse sollte darauf Zugriff erhalten?

"Handlungsfeld Identifikation"

Kein Wunder, dass die Bundesregierung das "Handlungsfeld Identifikation" als attraktive Spielwiese entdeckt hat: Diesem Handlungsfeld "liegt das übergeordnete Ziel der Bereitstellung einer eindeutigen, ortsunabhängigen, elektronischen Identifizierungslösung für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Verwaltung sowie einer Möglichkeit zur rechtsverbindlichen elektronischen Willenserklärung zugrunde".

Gebe ich eine solche "rechtsverbindliche elektronische Willenserklärung" zum reibungslosen Datenteilen mit allen ein, sobald ich den jeweiligen Dienst in Anspruch nehme? Gottwald Thiersch mußte unfreiwillig Daten mit einigen unserer Freunde (und Helfer) von der Polizei während einer Personenkontrolle teilen. Jahre später ist ihm die erzwungene Teilung vor die Füße gefallen (@Leistungsträger, Pflaumen, Gewinnertypen, Terroristen: Wir finden Euch!) - wenn seine Erzählung stimmt, kam er unschuldig in den Verdacht, mit Drogen zu handeln. Wegen dieses Verdachts wiederum wollte ein Staatsanwalt in einem Verfahren wegen Fahrerflucht angeblich keinen Sachverständigen bestellen. Ich vermute, Thiersch würde einen gewissen Reibungsverlust bestätigen.

Viel interessanter aber ist: Ist das Teilen von Daten überhaupt reibungslos möglich? Oder bedeutet "reibungslos" tatsächlich nur die unmittelbare Herrschaft Anderer über das eigene Ego? Niccolò Machiavelli jedenfalls hätte bestimmt seine helle Freude bei dieser Vorstellung gehabt.