Geplante Obsoleszenz

Stefan Schridde will Unternehmen zum Herstellen langlebigerer Produkte bewegen

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In den letzten Jahren äußern immer mehr Verbraucher in Foren und anderswo den Eindruck, dass Produkte sehr viel schneller kaputt gehen, als es den Käufern recht ist. Auch teure Marken sind von diesem Phänomen namens "Obsoleszenz" nicht ausgenommen. Der Berliner Betriebswirt Stefan Schridde will sich des Problems mit seinem Portal Murks? Nein danke! annehmen, in dem Verbraucher demnächst ihre Erfahrungen mit Produkten melden können, die nicht lange halten. In einem dynamischen Balkendiagramm sollen dort dann die Namen der Hersteller gezeigt werden, zu denen die meisten Obsoleszenzmeldungen vorliegen.

Herr Schridde, Sie bauen grade ein Portal gegen Obsoleszenz auf. Seit wann gibt es dieses Wort?

Stefan Schridde: Folgt man dem Programm Ngram von Google, dann ist es in der deutschen Literatur erstmals um 1885 nachgewiesen.

Demnach treten Obsoleszenzprobleme also nicht erst seit Kurzem auf?

Stefan Schridde: Man muss zunächst unterscheiden, zwischen Obsoleszenz und der so genannten "geplanten Obsoleszenz". Die geplante Obsoleszenz kam in den 1920ern in die Diskussion um Wege aus der Weltwirtschaftskrise aufzuzeigen.

Wurde die geplante Obsoleszenz als Weg aus der Wirtschaftskrise damals nur theoretisch debattiert oder auch schon praktisch eingesetzt?

Stefan Schridde: In den Produktentwicklungen kam es damals zu ersten bewussten Verkürzungen der Lebenszyklen. Das bekannteste Beispiel sind die Nylonstrümpfe aus den 1940er Jahren.

Gibt es Firmen, die geplante Obsoleszenz offen zugaben?

Stefan Schridde: Nein. Aber in Spanien sind kürzlich angeblich interne Dokumente aus der dortigen HP-Produktion aufgetaucht. Auf der Facebookseite zum Film Kaufen für die Müllhalde erfuhr man am 07.02.2012 in diesem Zusammenhang von einer "geplanten Obsoleszenz mehrerer Druckermodelle". Konkret geht es dabei um eingebaute Zähler.

Ganz allgemein: Haben Sie Angst, dass ihr Portal bald mit Firmenanwälten und Abmahnungen konfrontiert wird?

Stefan Schridde: Nein eigentlich nicht, solche Aufmerksamkeit würde mich sogar freuen. Ich bin ein juristisch gebildeter BWLer mit genügend befreundeten Anwälten.

Doch wäre es natürlich ärgerlich, wenn dieses wichtige Thema von den Herstellern nicht als Gelegenheit genutzt werden würde, um mit ihren Kunden in ein kreatives Gespräch über die Verbesserung einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Produktentwicklung zu kommen. Ein modernes Kundenbeschwerdemanagement sollte so ausgerichtet sein.

Gegen welche anderen Firmen gibt es noch Planobsoleszenzvorwürfe?

Stefan Schridde: Es gibt zahlreiche Schilderungen im Netz, bei denen leider oft die konkreten Produktbezeichnungen und Hersteller fehlen. Daher habe ich auf meinem Portal eine Seite zum Melden solcher Beispiele eingerichtet und bereite zurzeit durch aufwändige Recherchen weitere auf. Im Film "Kaufen für die Müllhalde" werden ebenfalls einige Beispiele benannt.

Wo verläuft die Grenze zwischen billiger Herstellung und einem gewollten Defekt innerhalb eines bestimmten Zeitraums? Gibt es eine Form der legalen und der illegalen Obsoleszenz?

Stefan Schridde: Eigentlich ist "geplante Obsoleszenz" nach geltendem Recht in vielen Fällen legal - wenn man nicht Arglist nachweisen kann. In dieser Hinsicht gilt es, das Gewährleistungsrecht anzupassen. Zwar lassen sich Unternehmen in ihrem Qualitätsmanagement zertifizieren, jedoch werden dabei keine Fragen zu "geplanter Obsoleszenz" geprüft.

Bei diesem Thema geht es aber letztlich nicht alleine um rechtliche Fragen. Es geht vielmehr darum, in einem Wertschöpfungskreislauf zwischen Ressourceneffizienz und nachhaltigem Konsum die Lücke in der Produktentwicklung zu schließen.

Das heißt, was früher zur Konjunkturbelebung legitim wirkte, kann man sich mit dem Wissen von heute nicht mehr leisten?

Stefan Schridde: Genau. Heute diskutieren wir in vielen Wirtschaftsbereichen das Problem der Ressourcenverknappung. Daraus folgt eigentlich logisch auch eine Verlängerung der Nutzungszeiten für Produkte oder eine Schließung der materiellen Kreisläufe im Sinne eines "Cradle-to-Cradle"-Prinzips, wie es von Michael Braungart oder Gunter Pauli vertreten wird. Allerdings liegt dies anscheinend zunächst nicht im wirtschaftlichen Interesse von Unternehmen, die an einem schnellen Umschlag ihrer Produkte im Markt interessiert sind.

Viele ältere Menschen kaufen mittlerweile ein neues Produkt lieber nicht, weil sie den Ärger damit scheuen. Geht die Obsoleszenz-Strategie von Unternehmen auf die Dauer vielleicht sogar nach hinten los? Oder gewöhnen sich Konsumenten daran, dass Produkte nach zwei oder drei Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit kaputt sind?

Stefan Schridde: Nicht nur älteren Menschen geht es so. Wir erleben heute beide Tendenzen. Einerseits beschleunigt sich in unserer Gesellschaft alles, was nur irgendwie mit Tausch zu tun hat, durch die sich insgesamt durch die digitalen Technologien wie Internet und mobile Kommunikation beschleunigenden Dialoge miteinander. Die Hersteller reduzieren darüber hinaus durch ihre Marketingkampagnen immer mehr die so genannte psychologische Obsoleszenz.

Andererseits entsteht in unserer Gesellschaft ein zunehmendes Bewusstsein für eine wertorientierte Lebensweise, die sich auch an Werten wie Treue und Verbundenheit orientiert. Dies führt auch zu dem Wunsch, sich wieder mehr (und auch persönlich) mit Produkten zu verbinden, indem man diese länger behalten will - sie selbst repariert oder selbst bestimmt, welcher nachträglichen Nutzung sie zugeführt werden sollen.

Kollidiert eine längere Lebensdauer nicht mit Energiesparzielen? Neuere Produkte brauchen ja meist weniger Strom als alte.

Stefan Schridde: Es gibt Produktbereiche, in denen technologische Innovationen zu relevanten Verbesserungen führen. Wenn solche innovativen Elemente jedoch nicht modular in das Produktkonzept integriert werden, erzwingt man damit einen Komplettaustausch. Ziel muss es also sein, zu einer Plattformstrategie in der Produktentwicklung zu kommen, die modular ausgerichtet ist und zu einer weitestgehenden Standardisierung von Teilkomponenten findet.

Das heißt also zum Beispiel ein neuer Motor oder Prozessor im alten Gehäuse?

Stefan Schridde: Genau. Doch auch bei Kleinteilen wie Kondensatoren kann dies relevant sein.

Hat in der Politik schon irgendjemand das Problem erkannt und Lösungsvorschläge parat?

Stefan Schridde: Bei den Grünen und der Linken gibt es Vorschläge in Richtung auf einen Wandel vom Kaufen zum Leihen. Doch dies wird sich nur in bestimmten Bereichen umsetzen lassen. Weitere Ansätze in der Politik sind mir nicht bekannt.

Und haben sich die Verbraucherzentralen und Test-Magazine schon auf das Problem eingestellt?

Stefan Schridde: Dort scheint man noch nicht auf das Thema aufmerksam geworden zu sein. Zumindest habe ich bei meinen bisherigen Recherchen dort keine Hinweise finden können.

Wie können Verbraucher (abgesehen vom zukünftig möglichen Melden auf ihrer Seite) noch reagieren, wenn Sie den Verdacht haben, dass ein kaputtes Produkt absichtlich mies hergestellt wurde?

Stefan Schridde: Murks melden geht schon jetzt. Bisher können Verbaucher nur auf die Kulanz des Herstellers hoffen. Um mehr erreichen zu können, ist es erforderlich, mehr öffentliche Transparenz für das Thema herzustellen. Bisher wird die Debatte zu sehr vom Problem der Nachweisbarkeit geprägt. Mit dem von mir initiierten Portal setzen wir jedoch auf mehr Öffentlichkeit dafür, dass Kunden tatsächlich "geplante Obsoleszenz" erleben - und zwar in großer Zahl. Diese Zahl durch Sammlung offenkundig zu machen, ist das zentrale Ziel des Portals. Denn die Frage ist ja nicht, ob und in welcher Form "geplante Obsoleszenz" vorliegt, sondern, dass die Kunden zunehmend das Vertrauen in die nachhaltige Produktentwicklungskompetenz der Hersteller verlieren.

Zum Schluss noch einmal zu der von Ihnen angesprochenen Gewährleistung: Die Firma Brother gibt zwar Garantie, nimmt neben dem Toner aber zusätzliche "Verschleißteile" davon aus, die fast so viel kosten wie ein neuer Drucker (und in einem Telepolis bekannten Fall ständig erneuert werden mussten). Sind rechtliche Regelungen denkbar, die von Unternehmen nicht mit Tricks ausgehebelt werden können?

Stefan Schridde: Ja, solche rechtlichen Regelungen sind denkbar und werden durch eine von mir zurzeit in Vorbereitung befindliche Petition beim Bundestag auch angestrebt.

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