NYPVTT steht für BERLIN

Kryptos, eine Skulptur des US-Künstlers Jim Sanborn, besteht aus gewölbten Kupferplatten und versteinertem Holz. In die Platten ist ein verschlüsselter Text eingelassen. Dieser ist nach über 20 Jahren noch immer nicht vollständig gelöst. Bild: Jim Sanborn/CC-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported

Die US-Kryptologieexpertin Elonka Dunin über die berühmte Kryptos-Skulptur, deren verschlüsselte Inschrift bisher allen Entzifferungsversuchen getrotzt hat

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Sie gelten als die weltweit führende Expertin für die Skulptur "Kryptos" des Künstlers Jim Sanborn. Warum ist der vierte und letzte Teil der darauf angebrachten Inschrift nach über 20 Jahren immer noch nicht entschlüsselt?

Elonka Dunin: Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist der vierte Teil recht kurz - er besteht aus nur 97 Zeichen. Normalerweise haben Codeknacker deutlich mehr Geheimtext zur Verfügung, den sie analysieren können. Ginge es um eine Nachricht aus der Zeit der Verschlüsselungsmaschine Enigma, dann hätte man eine Nachricht mit 97 Buchstaben vermutlich unter der Rubrik "Mehr Material benötigt" abgelegt. Beim Lösen von Enigma-Funksprüchen hatten die Briten seinerzeit deutlich mehr Text zur Verfügung - ansonsten hätten sie wohl keinen Erfolg gehabt.

Es gibt noch einen zweiten Grund dafür, dass der vierte Kryptos-Teil noch ungelöst ist: Die Skulptur steht auf dem Gelände der CIA und ist nicht öffentlich zugänglich. Falls auf dem Gelände Hinweise versteckt sind, kommt man an diese nicht heran. Kryptos war übrigens nie als Rätsel für die Allgemeinheit gedacht, sondern sollte lediglich den CIA-Angestellten als Denksportaufgabe dienen.

Möglicherweise gibt es noch einen dritten Grund. Der Kryptologe Ed Scheidt, der das verwendete Verschlüsselungsverfahren entwickelt hat, sagte, die Kryptos-Lösung sei ein englischer Text. Aber, wer weiß, vielleicht hat Scheidt uns in eine falsche Richtung gelockt. Vielleicht haben wir es in Wirklichkeit mit Lateinisch, Griechisch oder gar mit ägyptischen Hieroglyphen zu tun. Viele Arbeiten würden dann ins Leere laufen. Andererseits kann es natürlich auch sein, dass Kryptos-Schöpfer Jim Sanborn beim Verschlüsseln einen Fehler germacht und uns dadurch die Aufgabe erschwert hat. Sanborn hat immerhin zugegeben, dass er im bereits gelösten Teil 2 ein "A" vergessen hat. Das hat für einige Verwirrung gesorgt.

Auf dem letztjährigen NSA-Crypto-History-Symposium haben Sie einen Vortrag über Kryptos gehalten. Konnten Sie etwas Neues verkünden?

Elonka Dunin: Durchaus. Im November 2010, also 20 Jahre nach der Fertigstellug von Kryptos, hat Jim Sanborn über die New York Times einen Tipp gegeben. Er hat verraten, was sechs Buchstaben im vierten Teil bedeuten. Der Geheimtext zwischen dem 64. und dem 69. Buchstaben - er lautet NYPVTT - steht demnach für BERLIN. Zunächst wussten wir nicht, ob damit wirlich die Stadt Berlin gemeint war oder ob es sich um eine auf andere Art entstandene Buchstabenfolge handelte. Nach dem Symposium hat Sanborn aber klargestellt, dass er die Stadt meinte.

Was meinen Sie, wie lange wird es noch dauern, bis die Lösung gefunden ist?

Elonka Dunin: Ed Scheidt, der sich, wie gesagt, die Verschlüsselungsmethoden ausgedacht hat, ging ursprünglich davon aus, dass die ersten drei Teile schnell gelöst sein würden. Für den vierten Teil veranschlagte er zehn Jahre. Inzwischen sind aber über 20 Jahre vergangen, und wir haben immer noch keine Lösung.

Wie oft haben Sie Sanborn und Scheidt schon getroffen? Haben die beiden Ihnen einen Tipp gegeben?

Elonka Dunin: Ich habe beide schon mehrfach getroffen. Ed Scheidt hat einmal folgendes gesagt: Der vierte Teil ist lösbar, der Klartext ist auf Englisch verfasst und jeder Buchstabe hat eine Bedeutung. Und er gab an, dass er in Teil 4 ein bisschen Steganografie verwendet hat. Andererseits hat er sich noch nie klar geäußert, ob er die Lösung von Teil 4 überhaupt kennt oder ob diese nur Sanborn bekannt ist - mal sagt er so, mal so. In letzter Zeit gab er zu verstehen, dass er es Sanborn überlassen würde, Informationen über Kryptos bekannt zu geben. Und Sanborn hat schon vieles über Kryptos gesagt - unter anderem, dass die in den ersten beiden Teilen enthaltenen Fehler (IQLSUION statt ILLUSION und UNDERGRUUND statt UNDERGROUND) Absicht sind. Er meinte allerdings, dass nicht die Fehler an sich, sonderen deren Position entscheidend sind.

Kommt es öfters vor, dass jemand behauptet, die Lösung gefunden zu haben?

Elonka Dunin: Ja, durchaus. Manchmal bekomme ich sogar mehrere angebliche Lösungen pro Monat zugeschickt - je nachdem, wie Kryptos gerade in den Medien vertreten ist. Die Leute rufen mich an, schicken mir E-Mails oder sprechen mich persönlich an, um mir mitzuteilen, dass sie Teil 4 gelöst hätten. Viele haben aber keine vollständige Lösung, sondern nur einen Ansatz - beispielsweise ein Wort, das sie angeblich im Text gefunden haben. Meist suchen sie dann nach jemandem, der sie bei der weiteren Suche unterstützt.

Bisher hat jedoch noch kein derartiger Ansatz zur Lösung geführt. Andere präsentieren eine komplette angebliche Lösung, können aber dann oft nicht genau erklären, wie sie dazu gekommen sind - weil sie im Grund nur herumgeraten haben. Wenn doch mal jemand einen Lösungsweg beschreibt, dann besteht dieser aus einer ziemlich willkürlichen Kombination von Buchstabenersetzungen, -ergänzungen, -weglassungen und -verschiebungen. Die richtige Lösung sieht aber zweifellos anders aus.

Kryptos steht auf dem Gelände der CIA im US-Bundesstaat Virginia. Die Skultpur ist nicht öffentlich zugänglich. Im Gegensatz zu fast allen anderen aus der Kryptos-Szene durften sie Kryptos schon einmal im Original betrachten. Wie haben Sie das geschafft?

Elonka Dunin: Nach dem 11. September 2001 habe ich Vorträge über die (vermuteten) Verschlüsselungstechniken von Al-Qaida gehalten. Da hat mich die CIA eingeladen, um vor deren Mitarbeitern über dieses Thema zu referieren. Meine Bedingung war, dass ich bei dieser Gelegenheit Kryptos anschauen durfte - auf eine Bezahlung habe ich dafür verzichtet. Die CIA war einverstanden.

Elonka Dunin arbeitet hauptberuflich als Spieleentwicklerin im US-Bundesstaat Missouri. Nebenbei ist sie eine gefragte Expertin für ungelöste Verschlüsselungen. Weltweit bekannt wurde sie vor allem im Zusammenhang mit Kryptos. In den letzten zehn Jahren hat sie eine ganze Kryptos-Community aufgebaut, die sich mit dem noch unverschlüsselten Textteil sowie mit anderen Verschlüsselungsrätseln beschäftigt.Bild: K. Schmeh

Wie ist Ihr Interesse an Kryptos entstanden?

Elonka Dunin: Ich hörte zum ersten Mal davon, als ich versuchte, den so genannten PhreakNIC-Code zu knacken. Dabei handelt es sich um eine verschlüsselte Botschaft, die 1999 bei einem Hacker-Treffen veröffentlicht wurde. Zunächst konnte sie niemand lösen. Mitte 2000 hörte ich davon, beschäftigte mich damit und schaffte es, die Lösung zu finden. Die Schöpfer des PhreakNIC-Codes hatten ein paar Hinweise gegeben, von denen allerdings einige auf eine falsche Fährte führten. Einer der Hinweise lautete, man solle zunächst einen anderen Code lösen - mit einem Hinweis auf Kryptos.

Das war natürlich ein Täuschungsmanöver, doch dadurch hörte ich zum ersten Mal von dieser Skulptur. Ich war sofort fasziniert davon. Später, nachdem ich Kryptos bei der CIA mit meinen eigenen Augen gesehen hatte, stellte ich eine Webseite dazu ins Netz. Diese stieß auf ein erstaunliches Interesse. Irgendwann kontaktierte mich Gary Warzin, ein Kryptos-Fan, und wir erstellten zusammen ein Diskussionsforum bei Yahoo. Auch dieses wuchs immer weiter. Und dann erfuhren wir, dass der Schriftsteller Dan Brown Kryptos auf dem Einband seines Romans "Sakrileg" (im Original "The Da Vinci Code") erwähnte. Später bat mich Brown sogar um Unterstützung bei der Recherche für seinen nächsten Roman "Das verlorene Symbol" - Kryptos spielt darin eine Rolle. Er benannte sogar eine Romanfigur nach mir: die Kryptologin und Kryptos-Expertin Nola Kaye.

So wurde ich zu einer bekannten Kryptologin, obwohl das nie mein Ziel gewesen war. Es ist einfach nur so, dass ich mich für vieles interessiere und gerne Vorträge darüber halte. So interessierte ich mich beispielsweise für eine Liste ungelöster Codes. Es gab keine, daher habe ich auf meiner Webseite selbst eine veröffentlicht. Auch diese Liste ist auf großes Intresse gestoßen. Meine Webseite hatte schon über 4 Millionen Zugriffe pro Jahr.

Sie werden oft im Zusammenhang mit dem Fall Ricky McCormick erwähnt. Was hat es damit auf sich?

Elonka Dunin: Im McCormick-Fall geht es um einen ungeklärten Todesfall. Zufälligerweise trug sich diese Geschichte in Missouri zu, nur wenige Meilen von meinem Wohnort entfernt. 1999 fand man dort die Leiche eines gewissen Ricky McCormick - wahrscheinlich wurde er ermordet. Der Fall ist bis heute ungelöst. Ich habe seinerzeit nichts davon mitbekommen, obwohl es quasi vor meiner Haustür passiert ist. Im Jahr 2011 veröffentlichte das FBI im Web einen Hilfeaufruf. Es ging um zwei verschlüsselte Nachrichten, die man in McComicks Tasche gefunden hatte. Über zehn Jahre lang hatten es verschiedene Experten nicht geschafft, den Code zu knacken, daher ging die Polizei nun an die Öffentlichkeit. Ich habe in diesem Zusammenhang viele Mails und Anrufe erhalten. Es gab auch viele Medienanfragen. In der Kryptos-Gruppe war McCormick natürlich auch ein Thema, aber bisher hat niemand die Lösung gefunden.

Und was denken Sie über das Voynich-Manuskript? Über dieses rätselhafte Buch aus dem Mittelalter (Neue Datierung des Voynich-Manuskripts sorgt für Aufsehen) hat Telepolis schon mehrfach berichtet (Das rätselhafteste Buch der Welt).

Elonka Dunin: Bisher konnte es niemand lösen. Man weiß noch nicht einmal, ob es überhaupt verschlüsselt ist oder ob es sich velleicht um eine erfundene Sprache handelt. Es haben sich schon viele damit beschäftigt. Mal sehen, ob irgendwann jemand die Lösung findet.

Klaus Schmeh ist Autor des neu erschienenen Buchs "Nicht zu knacken - Von ungelösten Enigma-Codes zu den Briefen des Zodiac-Killers" (Hanser 2012), in dem auch Kryptos eine Rolle spielt.