"Rechts oder Links? Das bleibt als echte Frage"

Der Vorschlag eines neuen Spitzensteuersatzes von 75 Prozent bringt den französischen Wahlkampf in Schwung

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Der Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialdemokraten (Parti Socialiste, PS), François Hollande, den Umfragen deutlich vor dem Kandidaten aus dem Elysée-Palast sehen, möbelt den Wahlkampf auf. Gestern abend hat Hollande beim Fernsehsender TF1 im Fall seiner Wahl die Einführung eines Steuersatzes von 75 Prozent für Einkommen über eine Million jährlich angekündigt. Heute tobt der politische Gegner. Das sei eine steuerliche Enteignung ("confiscation"), so Außenminister Juppé, Mitglied der Mehrheitspartei UMP.

Die Ankündigung Hollandes hat die Wirkung eines Coups, selbst Kollegen seiner Partei zeigen sich überrascht und wissen in Interviews nicht, was sie aus der Lamäng antworten sollen. Der Finanzminister spricht von einer "räuberischen Maßnahme", in den Debatten wird die Angst vor einer neuen Welle von Steuerflüchtlingen geweckt und die Kommentaren legen sich ins Zeug:

Der Ankündigung auf TF1 kommt ein großes Verdienst zu: daran zu erinnern, dass es in diesem Land, egal was man sonst darüber sagt, eine Rechte und eine Linke gibt, deren Auffassungen von Steuerpolitik antonomisch sind. Im Vorhinein weiß man nicht, zu wessen Gunsten diese Konfrontation ausfällt. In jedem Fall aber erlaubt sie es die derzeit praktizierte gefährliche Rhetorik auf der rechten Seite (eine Anspielung auf fremdenfeindliche Wahlkampthemen der Rechten, die auch im Lager der UMP gerne zum Stimmenfang eingesetzt werden, Einf. d.A.) zum Abtritt zu drängen und eine nützliche Form der Einfachheit in die Wahl des Präsidenten zurückzuholen. Rechts oder Links? Das bleibt als echte Frage.

Laurent Joffrin, Chef des Nouvel Observateur

Während Sarkozy, der sich in diesem Wahlkampf als "Kandidat des Volkes" präsentiert, ankündigte, den Mehrwertsteuersatz anzuheben, der alle trifft und die Ärmeren am meisten, konterte Hollande nun mit dem erhöhten Steuersatz für Franzosen mit sehr hohem Einkommen - im Namen des Patriotismus: "C'est du patriotisme", sagte er, "dafür bereit zu sein, diese zusätzliche Steuer zu entrichten, damit es dem Land besser geht". Wie es gerade aussieht, wird es die Wahlkampfmannschaft von Sarkozy nicht leicht haben, Sarkozy wieder auf den Platz des "Kandidaten des Volkes" zu heben.

Die Unterstützer des Amtsinhabers werden es vermutlich mithilfe einer "Confusion" versuchen - mit dem eingangs schon erwähnten "Enteignungs-und Raub-Motiv" und damit dass Hollandes Pläne, Steuerzahler und Unternehmer vertreiben könnte. Sogar der oben zitierte Laurent Joffrin, bei dem man Sympathien für Hollande erkennen kann, erwähnt dieses Stimmungs-Argument, ohne es zu widerlegen.

Das tut dafür die Tageszeitung Le Monde. In einem sachlichen, informativ ausgerichteten Beitrag klärt sie darüber auf, wie bei diesem Thema mit Konfusion gespielt wird. Denn der Satz von 75 Prozent bezieht sich nicht auf das gesamte Einkommen, sondern nur auf den Teil des Einkommens, der über einer Million liegt. Darunter wird das Einkommen ebenfalls in verschiedene Tranchen mit verschiedenen Steuersätzen aufgeteilt. Am Beispiel eines Alleinstehenden, der 1,2 Millionen im Jahr verdient, rechnet die Zeitung vor, dass die reale Steuerlast nach Holllandes Vorschlägen bei 580 361,85 Euro läge. Das entspreche 48 Prozent - und nicht 75 Prozent, wie Medienberichte suggerieren.

Ginge es nach der derzeitigen Regierungspolitik müsste der Mann 478 361,88 Euro zahlen. Das wären 39 Prozent (zu den konkreten Rechungen siehe hier1).

Solche Steuersätze, wie sie Hollande vorschlägt, seien in der jüngeren französischen Geschichte schon mehrmals vorgekommen. Tatsächlich haben sie vor allem symbolischen Charakter, wie Experten herausstellen. Sie würden, je nach Schätzung, zwischen 7.000 und 30.000 oder 15.000 bis 20.000 Haushalte betreffen, auf jeden Fall weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Dazu komme, dass Spitzenverdiener genug Möglichkeiten hätten, ihr Einkommen vor der Steuer niedriger zu rechnen, durch die Angabe von hohen Ausgaben. Das sei der wesentlich einfachere Weg, als das Land zu verlassen. An eine Steuerflucht im größeren Stil glaubt deswegen keiner der von der Tageszeitung befragten Kennern der Materie.