"Der Druck der Straße lässt Banken einlenken"

Tatyana Roeva und Anuar Jalil (links) auf der Pressekonferenz. Auf dem Plakat steht: "Verhindern wir die Räumung einer Familie". Bild: PAH

Bankia und die Deutsche Bank stechen aber beim harten Vorgehen bei Zwangsräumungen in Spanien hervor

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Die Webseite der Plattform der Hypothekenbetroffenen (PAH) in Madrid zeigte am Mittwoch mit fetten roten Buchstaben an, dass sich der Protest der Vereinigung erneut in zwei Fällen gelohnt hat. Zwei Zwangsräumungen wurden abgesagt. Nun können Tatyana Roeva und Anuar Jalil aufatmen. Sie haben zwar am Mittwoch ihre Wohnung in der spanischen Hauptstadt Madrid verlassen, doch sie haben nun eine Chance für einen Neustart, weil sie nicht zusätzlich auf einem Schuldenberg sitzen. Die spanische Großbank BBVA hat Dienstag ihren Forderungen nachgegeben. Die für Mittwoch geplante Zwangsräumung im Stadtteil Tetuán wurde abgesagt. Die wollte die Empörten-Bewegung mit der Plattform der Hypothekenbetroffenen (PAH) erneut verhindern.

So rückte keine Polizei aus, um die Naranjo-Straße zu räumen. Im vergangenen Juni hatten dort mehr als 500 Menschen verhindert, dass der Libanese und die Bulgarin auf die Straße gesetzt wurden, weil die Arbeitslosen die Hypothek nicht mehr bedienen konnten. Erstmals verhinderten in Madrid die "Empörten" eine Räumung. Die "Indignados" hatten mit Platzbesetzungen im Land für Aufsehen gesorgt und ganz praktische Hilfe geleistet (¡Indignaos! Indignez vous! Empört euch!). Das fand große Aufmerksamkeit und führte dazu, dass sich überall Betroffene organisieren und gemeinsam wehren und dabei auf viel Unterstützung stoßen. Der Kampf gegen Zwangsräumungen ist ein wichtiges Aktionsfeld geworden.

"Der enorme gesellschaftliche Druck der Straße lässt die Banken einlenken", erklärte Oscar Chavez gegenüber Telepolis. Für den PAH-Sprecher handelt es sich um einen exemplarischen Sieg. Die Bank habe die allgemeine Forderung der Vereinigung noch übertroffen: die Hypothekenschuld durch die Übergabe der Wohnung zu begleichen, wie es in den USA gilt. "Nun wurde sogar ein Schuldenerlass erreicht", was noch viel schwieriger sei, weil die Bank schon einen Eigentumstitel erwirkt hatte. Dazu bezahlt die Bank dem Paar zudem zwei Monatsmieten in einer vergleichbaren Wohnung, damit es die kleine Wohnung mit 50 Quadratmetern freiwillig räumt. Nur auf die Forderung, sie mit einer "Sozialmiete" in der Wohnung zu lassen, ging die BBVA nicht ein.

In vielen der etwa 400.000 Zwangsräumungen, die seit Krisenbeginn bei galoppierender Armut im Land vollzogen wurden, begann es wie bei Roeva und Jalil. Sie wurden arbeitslos, weil sie ihre kleine Bäckerei im Stadtteil Leganés 2008 schließen mussten. Zu Beginn der Finanzkrise stieg zudem die Zinsenlast ihres Kredits wegen der in Spanien üblichen variablen Zinsen von 680 auf 1800 Euro im Monat und wurde für sie unbezahlbar.

Ihre Schulden bei der Bank waren mit den Verfahrenskosten sogar auf fast 270.000 Euro gewachsen. 250.000 wurden 2006 als Kredit gewährt, der auch jahrelang abgezahlt wurde. Dabei hätte die Bank die Wohnung nur zur Hälfte des 2006 taxierten Werts übernehmen müssen. Das Paar wäre nicht nur obdachlos, sondern säße zudem auf dem Schuldenberg von 144.000 Euro und stünde in Schuldnerlisten, womit die Anmietung einer Wohnung fast unmöglich ist.

Die Banken würden einsehen, dass sie diese Restschuld von vielen ohnehin nicht mehr erhalten können. Wie sollten Arbeitslose, die zum Teil keinerlei Einkünfte mehr haben, Miete und Schulden bezahlen, wenn sie allein die Hypothek nicht stemmen konnten, fragt sich auch die PAH. Chavez geht deshalb auch von einer Bilanzbereinigung aus, die vom enormen "Druck der Straße" gefördert wird. Ohnehin ist bekannt, dass dort noch erhebliche Risiken schlummern, die sogar die konservative Regierung ans Tageslicht fördern will (...und die nächste spanische Finanzreform).

"Immer stärker geben Banken nach und akzeptieren auch Sozialmieten", erklärt Chavez und verweist darauf, dass die Santander-Bank gerade nicht nur auf eine Zwangsräumung verzichtet, die Restschuld der Familie erlässt und sie mit einer kleinen Miete in ihrer Wohnung bleiben lässt. Aus der Not wird eine Tugend, denn viele Wohnungen sind auch mit enormen Preisabschlägen nicht verkäuflich, weil fast eine Million Wohnungen leer stehen. Eine Miete sichert geringe Einnahmen, schützt die leere Wohnung aber davor, besetzt, geplündert oder zerstört zu werden. Immer öfter werden aus Wohnungen die Fenster oder die Leitungen herausgerissen, um sie als Altmetall zu verkaufen und so irgendwie an Geld zu kommen.

Die Banken wollten auch guten Willen zeigen, denn die konservative Regierung will sie nun zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung bringen. Für Steuererleichterungen sollen sie, allerdings nur in Härtefällen, wenn alle Familienmitglieder arbeitslos sind, auf die Restschulden bei Wohnungsübergabe verzichten. Damit soll der Versuch, einen Rechtsanspruch zu erhalten, ausgehebelt werden. Per Volksinitiative wurde ein Gesetzesentwurf schon ins Parlament eingebracht, erklärt Chavez.

Er streicht aber heraus, dass längt nicht alle Banken nachsichtiger werden. Vor allem die Deutsche Bank und Bankia weigerten sich weiterhin meist, über einen Zahlungsaufschub, die Verschiebung von Räumungen oder die Restschuldbegleichung zu verhandeln. Bankia empört die PAH besonders, denn die sieben spanischen Sparkassen, die über die Immobilienblase gestolpert sind, erhielten Steuermilliarden, um sie zu einer Bank zu fusionieren. Die Bankia-Bank wird unter der Führung des Ex-Chefs des Internationalen Währungsfonds Rodrigo Rato demnächst wohl erneut Staatshilfen brauchen. Der Bankenrettungsfonds (FROB) wird deshalb wieder aufgestockt. Ausgerechnet die Bank, die sehr viele Steuergelder erhält, steht hinter den meisten Hypotheken in Madrid und damit auch hinter der Mehrzahl der Räumungen.