SPD und Grüne spekulieren auf den Koalitionsbruch

Der Einsatz sind demokratische Rechte in Europa

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Wenn es um Schuldenbremsen und die "Rettungsprogramme" für in Not geratene Euro-Länder geht, herrscht in Deutschland derzeit eine ganz große Koalition: Von Union und FDP über die SPD bis hin zu den Grünen ist eine breite Einheitsfront für hartes Sparen in der Bundesrepublik und ganz Europa entstanden. Erst am 27. Februar, bei der Abstimmung über die Griechenland-"Hilfen", die nur nach härtesten Einschnitten in den griechischen Staatshaushalt - diktiert auch von der Bundesregierung - zustande gekommen sind, bewies die rot-grüne Opposition, dass sich die Kanzlerin im Notfall auf sie verlassen kann - und stimmte wieder einmal, vorgeblich mit großen Bauchschmerzen, mit der Koalition. Doch ausgerechnet beim Fiskalpakt, wo die Regierung tatsächlich auf die Opposition angewiesen ist, stellt sie hohe Bedingungen. Dahinter steckt Parteitaktik - auf Kosten der Demokratie und des Sozialstaates.

Das letzte EU-Gipfeltreffen Anfang März war ein wichtiger Moment für Kanzlerin Angela Merkel: 25 von 27 EU-Staaten konnte sie dafür gewinnen, den von ihr ersehnten Fiskalpakt zu unterzeichnen. Damit kommt fast in der gesamten EU eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild - vorausgesetzt, die Ratifikation in den einzelnen Ländern, die bisher noch aussteht, scheitert nicht. So wird es beispielsweise in Irland eine Volksabstimmung über den Fiskalpakt geben.

Doch bisher machen Angela Merkel die europäischen Partnerländer wenig zu schaffen - vielleicht mit Ausnahme Frankreichs, wo der aussichtsreiche sozialistische Präsidentschaftskandidat François Hollande bereits angekündigt hat, im Falle eines Wahlsieges den Fiskalpakt neu zu verhandeln. Hollande glaubt nicht daran, dass ein derartiges Sparprogramm geeignet ist, die Krise zu überwinden. Zudem lehnt er es ab, dass der Europäische Gerichtshof künftig, wie von Merkel gewünscht, in die Haushalte der einzelnen Länder eingreifen kann, wenn der Fiskalpakt verletzt wird.

Für SPD und Grüne wären die Ideen Hollandes ein guter Ausgangspunkt für wirkliche Oppositionsarbeit: Alternativen zur derzeitigen Regierungspolitik aufzuzeigen, gehört zu den Grundlagen für jede gute Opposition. Doch auch dort grassiert die Merkelsche TINA-Politik. Zwar betonen auch die Spitzen von SPD und Grünen immer wieder, dass mit "einseitigem Sparen" der Weg aus der Krise nicht zu finden sei - doch bisher haben beide Parteien Schuldenbremsen immer mitgetragen - sowohl in den Bundesländern als auch im Bund.

In Europa ist es nicht anders. Dabei hat die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung dieses Jahr bereits in zwei Papieren eindrücklich vor der derzeitigen Sparpolitik gewarnt. "Negative Multiplikator-Effekte staatlicher Sparpolitik", heißt es da beispielsweise, könnten in Zeiten mangelnder wirtschaftlicher Aktivität "in vielen Mitgliedsländern einen Wachstumseinbruch verursachen, der die staatliche Kürzungssumme übersteigt". "Mehrfaches Politikversagen", begründet in der "Wirtschaftsphilosophie des Sparprimats" wirke krisenverschärfend.

Die Forderungen von SPD und Grünen

Sozialdemokraten und Grüne ficht diese Fundamentalkritik jedoch nicht an, prinzipiell sind sie bereit, auch noch eine europäische Schuldenbremse und Verfahren gegen "Haushaltssünder" vor dem Europäischen Gerichtshof mitzutragen und der Regierung Merkel zu der benötigten Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundesrat und Bundestag zu verhelfen. Wenn sich die beiden Parteien nun medienwirksam zunächst einem einfachen "Ja" zum Fiskalpakt verweigern und weitergehende Forderungen aufstellen, dann tun sie das nicht, um den Makel der einseitigen Sparpolitik zu beseitigen, sondern schlicht aus machttaktischen Gründen.

Die Kernforderung, die SPD und Grüne an die Regierung stellen und zur Bedingung für ihre Zustimmung gemacht haben, ist die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, auch ein Mindestlohn in Deutschland darf es gerne sein. Beides ist nicht geeignet, die wirtschaftlichen Einbußen, die eine europaweite konzertierte Sparaktion mit sich bringen würde, auch nur annähernd zu begrenzen. Doch darum geht es bei dem Vorstoß nicht: Sowohl Mindestlohn als auch Finanztransaktionssteuer werden von der FDP vehement abgelehnt, während diese Maßnahmen in der ein oder anderen Form von der Union durchaus unterstützt werden könnten.

Es geht den beiden Oppositionsparteien also vielmehr um die Demütigung der FDP - bis hin zum Koalitionsbruch. Denn der kleine Partner der Union kann es sich nicht leisten, bei diesen Kernthemen umzufallen, er würde seinen letzten Rest an Glaubwürdigkeit verspielen. Die Kanzlerin hingegen braucht die FDP nicht wirklich, um den Fiskalpakt durch das Parlament zu bringen. Die Unterstützung von Grünen und SPD reicht vollkommen aus für die nötige verfassungsändernde Mehrheit. Das würde zwar das endgültige Aus für die schwarz-gelbe Koalition bedeuten, doch Merkel könnte gut auf den ungeliebten liberalen Koalitionspartner verzichten, der in zahlreichen inhaltlichen Fragen auf der Bremse steht und zunehmend zum Unsicherheitsfaktor für die Union wird - von der Vorratsdatenspeicherung über den Mindestlohn bis hin zur Praxisgebühr.

Gewinnerin Angela Merkel

Für die Liberalen könnte sich nun das Verhalten von FDP-Chef Rösler bei der Kandidatenkür für das Bundespräsidentenamt rächen, bei dem er die Kanzlerin erst kalt erpresste und sich anschließend in den Medien dafür feiern ließ: Insbesondere die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer ist eine Einladung an Angela Merkel, die FDP als ewig blockierenden Partner, der in der Krise nicht die notwendige Handlungsfähigkeit habe, fallen zu lassen und sich eine der beiden Oppositionsparteien als Juniorpartner ins Boot zu holen. SPD und Grüne signalisieren somit vor allem eines: ihre Bereitschaft, im System Merkel mitzuarbeiten und die kränkelnde FDP abzulösen. Die Oppositionsrolle haben beide längst aufgegeben.

Den Schaden jedoch tragen die Demokratie und die Sozialstaatlichkeit in ganz Europa davon. Für die nationalen Parlamente ist die strenge Haushaltskontrolle aus Brüssel eine massive Einschränkung ihrer Souveränität. Im Kern läuft dies darauf hinaus, dass die Nationalstaaten durch den Fiskalpakt zum Abbau von Sozialleistungen gedrängt werden, was dem Ziel Merkels, ein "wettbewerbsfähiges" Europa zu schaffen, zugute kommt. Am Ende steht der insbesondere von den Wirtschaftsliberalen ersehnte schwache Staat, ironischerweise durchgesetzt von Sozialdemokraten und Grünen auf dem Rücken einer sterbenden FDP.

Gewinnerin dieser Politik ist hingegen die Kanzlerin Angela Merkel, die davon ausgehen kann, ihre Politik notfalls jederzeit mit Hilfe von SPD und Grünen fortsetzen zu können.