Die gesundheitlichen Folgen einer lang anhaltenden Stagnation

Nach der Wirtschaftskrise in den 1990er Jahren erhöhte sich für japanische Manager und Fachkräfte im Arbeitsalter deutlich die Mortalität

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In Japan haben Mediziner festgestellt, dass die Sterberaten der Männer im Arbeitsalter seit den 1980er Jahren im Hinblick auf alle Erkrankungen, am stärksten bei Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen, kontinuierlich zurückgingen. Allerdings nicht bei den Männern, die Managerposten innehaben oder Fachkräfte sind. Hier war ein Anstieg der Todesfälle um 70 Prozent zu erkennen. Und auch beim Selbstmord gingen die Zahlen nicht zurück. Die Selbstmordrate ist zwischen 1990 und 2005 deutlich angestiegen, vor allem bei denjenigen, die im Management arbeiteten. Dort ist sie gleich um 270 Prozent angestiegen.

Die Wissenschaftler haben für die Studie, die im British Medical Journal erschienen ist, auf der Grundlage der amtlichen Statistiken die Todesraten und -ursachen aller Männer im Arbeitsalter zwischen 30 und 59 Jahren von 1980 bis 2005 untersucht. Die Studie wurde beschränkt auf Männer, da Frauen in Japan in aller Regel nur Teilzeitjobs oder irreguläre Arbeitsstellen haben und viele auch nur Hausfrauen sind. Für die Analyse wurden die Tätigkeitsbereiche in 10 unterschiedliche Klassen eingeteilt wie Management, Fachkräfte/Ingenieure, Geistliche, Verkauf, Dienstleistungen, Sicherheitspersonal, Landwirtschaft, Transport und Kommunikation sowie Industrie. In allen Bereichen blieb die Beschäftigung etwa konstant, nur der Anteil der Facharbeiter oder Spezialisten wuchs von 7 auf mehr als 12 Prozent, während der der Manager von 8,3 auf 3,2 Prozent fiel.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Grund für den Anstieg der Mortalität bei den Managern und Facharbeitern auf die wirtschaftlichen Probleme zurückgeführt werden kann, die seit den 1990er Jahren Japan mehr oder weniger in eine Stagnation und zu großen Veränderungen der Arbeitswelt geführt haben. Die Folgen könnten nicht alleine aus der japanischen (Arbeits-)Kultur erklärt werden, weswegen sie sich auch in anderen Ländern einstellen könnten, wenn sie nach der Finanzkrise wie derzeit einige europäische Länder in eine längere Wirtschaftskrise rutschen. Eine wie in Japan länger anhaltende Stagnation könne, so vermuten die Wissenschaftler, die Atmosphäre der Arbeit negativ prägen und zu Stress führen, der wiederum in gesundheitlichen Problemen und steigenden Todesfällen mündet.

Zudem sei seit dieser Zeit, wie sich aus anderen Statistiken erkennen ließe, bei den besser bezahlten Angestellten auch die Zahl der Übergewichtigen gestiegen, es sei mehr Alkohol getrunken und weniger Sport betrieben worden. Auch das mache körperlich und psychisch kränker und könne zu den allgemein steigenden Selbstmorden bei allen Gruppen, abgesehen von den Arbeitslosen, beigetragen haben. Interessant ist, dass die Todesraten der Manager und Facharbeiter um 1990 noch unter denen der übrigen Gruppen lagen, aber dann seit 1995 und vor allem seit 2000 diese überholten - allgemein und im Hinblick auf verschiedene Krebsarten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Suizid. Während vornehmlich bei den Managern die Mortalität anstieg, setzte sich allgemein meist ein Rückgang bei den Menschen im arbeitsfähigen Alter fort.

Die drastischen gesundheitlichen Folgen von Wirtschaftskrisen bzw. einer lange anhaltenden Stagnation, wobei im Fall von Japan allerdings nur bestimmte Gruppen betroffen gewesen zu sein scheinen, sollten für Politiker und Angehörige des Gesundheitssystems in anderen Ländern eine Lehre sein, sagen die japanischen Wissenschaftler. Die Veränderungen würden auch daran erinnern, "dass die gesundheitlichen Fortschritte in modernen Gesellschaften nicht notwendig garantiert sind und von plötzlichen sozioökonomischen Veränderungen beeinflusst werden können".