Ärger um 17,4 Millionen

Der VW-Konzernchef Winterkorn löst mit seiner Rekordvergütung eine heftige Debatte um Verhältnismäßigkeit, Neid und soziale Gerechtigkeit aus

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2011 war für viele Dax-Konzerne und insbesondere für die Automobilindustrie ein erfolgreiches Geschäftsjahr. Der Erfolg wurde in den Vorstandsetagen belohnt. Die Direktvergütung der Vorstandsvorsitzenden von DAX notierten Unternehmen stieg im vergangenen Jahr "um 14 Prozent auf durchschnittlich ca. 5,5 Mio. Euro", stellt das Wirtschaftsberatungsunternehmen Towers Watson fest.

Beim Automobilkonzern VW, der im Geschäftsbericht 2011 auf einen Rekordgewinn - "unterm Strich 15,8 Milliarden Euro" - verweist, fiel die Vergütung überdurchschnittlich aus: Der Vorstand erhielt beinahe doppelt so viel wie im Vorjahr: 70 Millionen Euro statt 37 Millionen und Konzernchef Martin Winterkorn kommt summa summarum auf 17,4 Millionen Euro.

Das ist eine Zahl wie aus einer anderen Welt, die nun für Aufregung sorgt. Zwar wird allenthalben eingeräumt, dass auch die Arbeiter in der Automobilindustrie mit Extraprämien belohnt wurden - etwa 7.500 Euro Brutto für Mitarbeiter in den sechs westdeutschen VW-Werken -, dass die Dividenden erhöht wurden, dass auch die Vorstandskollegen zwischen 7,2 und 8,1 Millionen Euro kassierten, dass das Vorstandseinkommen kein Grundgehalt ist und Rente und Vorsorge nicht berücksichtigt werden, aber das ist in der Diskussion nicht relevant angesichts der Winterkornschen zweistelligen Millioneneinkünfte.

Wie groß der Abstand zur normalen Welt ist, wird bei Springer gemessen: Winterkorn verdient demnach "fast fast 700 Mal so viel wie eine Kindergärtnerin". Erwähnt wird auch, dass das Durchschnittseinkommen eines Vollzeitbeschäftigten in Deutschland im Jahr 2010 bei 3227 Euro brutto im Monat lag. Aber schon der Einleitungssatz - "Wer viel verdient, hat viele Neider" - deutet die Richtung des Berichts an: vorsichtig formuliertes Verständnis und Abkühlung der Gemüter. Winterkorn hätte auch mehr verlangen können: Angesichts dessen, wie US-Manager von Gewinnsteigerungen ihrer Unternehmen profitieren, könnte sich selbst Winterkorn unterbezahlt fühlen. Zudem werden die außerirdischen Summen von Schauspielern und Fußballspielern erwähnt - die Botschaft des zitierten Chefs des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW):

Nur bei Managern regt sich der Neid - obwohl sie es sind, die die Arbeitsplätze schaffen.

In der Causa Winterkorn sind die Manager allerdings nicht nur Gegenstand des Neids, sondern auch Mitglieder der oft als Neidkultur abqualifizierten Kritik an unangemessenen Spitzengehältern. Die FAZ hat dazu Stimmen aus der bürgerlichen Elite gesammelt, die für mehr Zurückhaltung plädieren. Vor allem Vertreter der Stiftung Familienunternehmen und des Verbandes der Familienunternehmer werden als "erzürnt" beschrieben. Zitiert werden Brun-Hagen Hennerkes, Präsident der Stiftung Familienunternehmen, - "Solche Gehaltsexzesse zerstören das Sozialgefüge"- und Lutz Goebel, Präsident des Verbandes der Familienunternehmer: "Kein Top-Manager ist das 300- oder 400fache eines einfachen Angestellten wert." Die Stimmung auch im unternehmerfreundlichen Milieu schlägt um, so die Kernaussage des Artikels:

Nun hat sich der gewöhnliche Spitzenverdiener an Neid von den ärmeren Zeitgenossen gewöhnt, Winterkorns Gehalt jedoch überschreitet eine Grenze: Jetzt meutern die Kapitalisten. Investoren, Aktionärsschützer und Mittelständler empfinden die Stargage als Provokation. Wie der Bonus zustande kam, wird als "nicht nachvollziehbar" kritisiert. (...) Die Höhe des Gehalts sei unangemessen, unanständig, obszön, so der einhellige Tenor.

Die "Neiddebatte" ist ohnehin die falsche Spur. Damit wird die Debatte um wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit verflacht und verharmlost. Wie sehr damit versucht wird, an wunden Stellen vorbeizulavieren, zeigt sich am Ende des FAZ-Artikels. Dort ist von der Wut der Automobilzulieferer die Rede. Denen treibe es "die Zornesröte ins Gesicht", weil die Lieferanten zu Tiefstpreisen gezwungen werden, während auf der Seite der Auftraggeber Rekordgehälter und Rekordprämien verkündet würden. Die Gewinne und Spitzengehälter basieren, wie dieser Einwand zeigt, auch auf Ausbeutung anderer.

Die Frage wäre: Wird sich an den unanständigen Unverhältnismäßigkeiten etwas ändern, wenn auch aus Unternehmenskreisen und deren befreundeten Milieu Kritik an kapitalistischen Exzessen laut wird?

Wahrscheinlich nicht. Beobachtet man etwa Diskussionen über die Einführung höherer Steuern für Spitzeneinkommen, wie sie derzeit europaweit geführt werden, so zeigen sich überall heftige Gegenreaktionen (so zum Beispiel heute in Großbritannien).