"Nachteilsausgleich" oder "Diskriminierung beider Geschlechter"?

Die medizinische Universität Wien will bei weiblichen Bewerbern zukünftig einen weniger strengen Maßstab angelegen als bei männlichen

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Nachdem ein EuGH-Urteil vom 7. Juli 2005 die österreichischen Universitäten für Studenten aus Deutschland öffnete, führte man für das Medizinstudium in Wien und Salzburg den Eignungstest EMS-AT ein, um des Ansturms Herr zu werden. Durch diesen Test wird eine Reihenfolge der Studenten ermittelt, nach der die Studienplätze vergeben werden.

Die Medizinische Universität Wien will den EMS-AT nun "genderspezifisch" auswerten. Konkret steckt hinter dieser etwas schwurbeligen Formulierung, dass bei weiblichen Teilnehmern weniger strenge Maßstäbe angelegt werden. Als Grund dafür nennt die Universität, dass das bisherige Verfahren dazu führte, dass die Plätze in den letzten beiden Jahren mit dem Verfahren zu 57 und 58 Prozent von Männern und zu 43 beziehungsweise 42 Prozent von Frauen belegt wurden, obwohl sich jeweils 56 Prozent Frauen und 44 Prozent Männer bewarben. Das sei eine Schwäche des Tests, die man mit der Geschlechtertrennung ausgleichen wolle.

Karin Gutiérrez-Lobos, die Vizerektorin für "Lehre, Gender & Diversity" an der Wiener Medizinuni, meinte gegenüber der Tageszeitung Der Standard, dies sei "keine Frauenbevorzugungsmaßnahme", sondern lediglich ein "Nachteilsausgleich", der dem "Gender Gap" entgegenwirke. Bei der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft (ÖH) sieht man die Ungleichbehandlung allerdings weniger positiv und befürchtet, dass sie Medizinerinnen ein Quotenimage anhängen könnte, auch wenn diese zu dem weitaus größeren Teil gehören, der es auch ohne die Änderung ins Medizinstudium geschafft hätte. Christian Orasche, der Vorsitzende der ÖH an der Medizinischen Universität Wien, spricht deshalb von einer "Diskriminierung beider Geschlechter".

Josef Smolle, der Rektor der Medizinischen Universität im steirischen Graz, lehnt einen "Nachteilsausgleich" in der Form, wie er nun in Wien praktiziert werden soll, ab, weil Frauen es seiner Ansicht nach "nicht nötig haben, dass mit zweierlei Maß gemessen wird" und eine "mildere Beurteilung [...] kein gutes Signal für die Frauen ist". Smolles setzt stattdessen einen eigenen Test ein, der mehr auf Wissensfragen setzt und als "lernbar" gilt. Er hatte den Effekt, dass die Studienplätze in Graz zu 52 Prozent mit männlichen und zu 48 Prozent mit weiblichen Studienbewerbern gefüllt werden.

Rudolf Mallinger, bis zum letzten Jahr der Vizerektor für Studium und Lehre an der Medizinischen Universität Wien, wollte dagegen am EMS-AT festhalten und verteidigte dies in der Wiener Zeitung1 mit der Ansicht, der "Erfolg der Medizin" gründe sich auf die Naturwissenschaften und deshalb solle man auch die Zulassungsverfahren danach ausrichten.

Einem Bericht des ORF zufolge dreht sich während des sehr auf Lernfleiß ausgerichteten Medizinstudiums das Zahlenverhältnis von Männern und Frauen allerdings um, weil Frauen bei den Prüfungen deutlich besser abschneiden als Männer. In österreichischen Foren spottet man deshalb, ob man nicht auch diesem "Gender Gap" mit einem "Nachteilsausgleich" abhelfen muss.

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