Atomforschung im Gehirn

Nicht nur Angehörige von Alzheimer-Patienten oder an Parkinson Erkrankte interessieren sich dafür - zu den wesentlichen Förderern neurologischer Forschung gehört längst auch das Militär

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Als sich ab 1942 Physiker in den USA mit der Idee befassten, die bis dato fürchterlichste Waffe zu schaffen, geschah das nicht aus Freude an der Zerstörung. Deutschland hatte zuvor die Welt in einen Krieg gezogen, der Millionen Menschen das Leben kosten sollte. Und war, darauf deutete alles hin, selbst dabei, eine Atombombe zu entwickeln. Ethische Bedenken tauchten erst auf, als es um den Einsatz der neuen Waffe ging: Gegen den Willen vieler Forscher entschied das US-Militär, die erste Atombombe nicht über unbewohntem Gebiet, sondern über einer Großstadt abzuwerfen. Mit Kriegsende verstärkten sich die Bedenken - doch bald wurde klar, dass man das einmal ins Leben gerufene Biest so schnell nicht mehr loswürde.

Forschung, das ist spätestens seitdem klar, hat fast immer zwei Seiten, einen "dual-use": Die harmlos klingende Vokabel signalisiert, dass sich eine Erfindung zum Nutzen oder auch zum Schaden des Menschen einsetzen lässt. Ethiker befassen sich mit der Bewertung: Braucht die Menschheit eine neue Technik, auch wenn sie sich gegen das Leben oder Teilbereiche davon einsetzen lässt?

In vielen Bereichen sind sich die Forscher der Sensibilität ihres Gegenstands längst bewusst, auch wenn sich wie etwa in der Genforschung die Grenzen immer wieder verschieben. Erst im Februar haben sich die Wissenschaftsmagazine Science und Nature etwa auf Anraten des amerikanischen National Science Advisory Board for Biosecurity entschlossen, Forschungsergebnisse über einen gentechnische veränderten Stamm von Vogelgrippeviren nicht zu veröffentlichen, die eine mögliche Übertragbarkeit von Säugetier zu Säugetier nahelegen - mit der Befürchtung, Terroristen damit den Bauplan für eine Waffe in die Hände zu spielen. Wissenschaftler weltweit haben sich daraufhin zu einem 60-tägigen Forschungsmoratorium entschlossen.

Doch wie sieht es bei Forschungsthemen aus, die sich mit dem menschlichen Gehirn befassen?

DARPA und die Neurowissenschaft

Zwei US-Neurologen gehen in einem Paper im frei verfügbaren Magazin PLoS Biology jetzt dieser Frage nach. Tatsächlich zeigt sich das Militär inzwischen sehr interessiert an diesem Themenbereich. Während sonst oft zu kriegerischen Zwecken entwickelte Technologie eine zweite Anwendung im zivilen Bereich findet, hat die zivile Neurowissenschaft ihr Gegenpart in der Militärtechnik deutlich überholt. Deshalb ist die Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums, die DARPA, für 2011 mit 240 Millionen Dollar ausgestattet worden, um zivile Neurowissenschaftler zu fördern. Army, Navy und Air Force tragen weitere 113 Millionen Dollar bei.

Was interessiert die US-Militärs dabei am meisten? Das Paper verweist auf mehrere Bereiche. Das Brain-Computer-Interface (BCI), das zum Beispiel bei neurologischen Verletzungen die Steuerung künstlicher Gliedmaßen ermöglicht, findet hier Einsatz als "Cognitive Technology Threat Warning System": Das System soll Soldaten ermöglichen, unterbewusste, neurologische Antworten auf Gefahren bewusst zu machen. Eine schnelle Bewegung, nur im Augenwinkel verfolgt und als unwichtig abgetan, würde das System so betonen, dass der Anwender darauf reagieren kann.

Direkteingabe ins Gehirn

Auch an der nächsten Stufe des BCI arbeiten die Forscher mit DARPA-Geldern schon: an einer Direkteingabe ins Gehirn, die das Mensch-Maschine-Interface erst komplettieren würde. So ließen sich etwa Messinstrumente direkt mit dem sensorischen System des Menschen koppeln - dessen minderleistende Sinne würden ergänzt und getuned.

Ähnliches lässt sich auch mit Neurochemie erreichen. Während in der Therapie Medikamente wie Methylphenidat (Handelsname Ritalin) den Patienten helfen, verloren gegangene Aufmerksamkeit neu aufzubauen, könnten Soldaten die Pharmaka nutzen, um stressige Einsätze besser durchzuhalten.

Wo beginnen solche Versuche unethisch zu werden?

Die Forscher führen in ihrem Paper noch verschiedene andere Beispiele an, gehen aber auch noch einen Schritt weiter: Wo beginnen solche Versuche unethisch zu werden? Ein US-Soldat ist zum Beispiel verpflichtet, Medikamente zu schlucken, die ihn "für seinen Einsatz fit" machen. Gehören bewusstseinserweiternde Substanzen dazu, wenn der Auftrag es erfordert? Muss er sich im Rahmen der Befehlserfüllung auch über ein BCI fernsteuern lassen, sollte die Technik einsatzreif werden?

Fragwürdig sind auch Techniken, die aus der messbaren Gehirnaktivität auf die Gedanken eines Probanden schließen lassen. Der Einsatz von Lügendetektoren, die auf unterbewussten Stresssignalen wie dem Blutdruck oder dem Hautwiderstand basieren, ist in den USA legal. Wie steht es um das technisch nicht viel komplizierte Messen von elektrischen Aktivitätsmustern?

Hier sind noch einige Fragen unbeantwortet, stellen die Autoren fest - schließlich gibt es auch in den USA ein Zeugnisverweigerungsrecht. Deshalb fordern sie, dass Neurowissenschaftler sich stärker an der Diskussion möglicher Anwendungen ihrer Forschung beteiligen - und bei ethisch begründeten Befürchtungen auch Nein sagen.