Kalte Fusion als Game Changer

Teil 11: Anwendungen der Kalten Fusion haben das Potenzial, derzeitige Systeme zu revolutionieren

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In 2012 oder 2013 kommen Warmwasserboiler, die auf Kalter Fusion basieren, in großen Stückzahlen zu Kampfpreisen auf den Markt. Dies haben zumindest Andrea Rossis Leonardo Corporation und das griechische Konsortium Defkalion Green Technologies angekündigt (Kalte Fusion in der Black Box?, Kalte Fusion als Technologie). Weitere Unternehmen streben auf den Markt. Aufsehen erregt auch die NASA, die die saubere Energieproduktion durch Kalte Fusion bestätigt und Anwendungen in Luft- und Raumfahrt, aber auch zu Hause in greifbare Nähe rückt. Vieles könnte sich fundamental ändern, von der Energieinfrastruktur bis hin zur Geopolitik (Kalte Fusion und die Zukunft). Doch auch die Wissenschaft ist gefragt, denn die Kalte Fusion will verstanden werden.

Es ist Zufall, dass George Miley sein Konzept einer auf Kalter Fusion basierende Batterie gerade heute, am 23. Jahrestag der Bekanntmachung der Kalten Fusion, auf der Konferenz Nuclear and Emerging Technologies for Space vorstellt. Zur Stromversorgung von Deep-Space-Sonden werden sogenannte Radionuklidbatterien verwendet. Sie erzeugen gut 4 Kilowatt Wärmeleistung aus dem radioaktivem Zerfall von Plutonium. Letzteres macht sie jedoch nicht nur teuer, sondern auch gefährlich. Miley schlägt vor, sie durch LENR-Batterien zu ersetzen. LENR (Low Energy Nuclear Reactions) ist der Oberbegriff für die Kalte Fusion von Elementen bei bis zu mehreren hundert Grad Celsius. Im wissenschaftlichen Mainstream ist eine Kalte Fusion in den vergangenen 23 Jahren aus theoretischen Erwägungen für unmöglich gehalten worden.

Miley ist emiritierter Physikprofessor an der University of Illinois und hatte als Chefredakteur von Fusion Science and Technology Aufsätze zur Kalten Fusion zugelassen, als eine Veröffentlichung in anderen Journals schwierig bis unmöglich war. In den 90er Jahren hat er mit James Patterson an einer der damals vielversprechendsten Anwendungen der Kalten Fusion gearbeitet. Die Patterson Power Cell hatte mehrfach die Produktion von 1 Kilowatt Wärmeleistung demonstriert, und es gab einen Vertrag mit einer Firma zum Vertrieb von Wasserboilern. Außerdem deutete sich die Möglichkeit an, radioaktiven Sondermüll neutralisieren zu können. Nach Pattersons Tod war es still geworden um den Reaktor. 1 Kilowatt war die größte Produktion von Wärmeleistung, bis Andrea Rossi 2010 auf den Plan trat.

Rossi arbeitet angeblich mit Siemens-Turbine an Kraft-Wärme-Kopplung

Wie die Patterson-Zelle basiert Rossis Technologie auf einer Reaktion von Wasserstoff und nanostrukturiertem Nickel, bei der Energie aus Kernreaktionen entsteht. Zuletzt hatten wir hier berichtet, dass Rossi am 28. Oktober 2011 angeblich einen 1-Megawatt-Generator verkauft habe (Kalte Fusion als Technologie). Wer dieser Käufer sein soll, ist bis heute nicht bekannt. Rossi teilte mit, "es ist militärische Forschung, und ich kann keine weiteren Details enthüllen, weder den Namen, den Ort, noch die Nationalität des Käufers." Gegenüber E-Cat World sagte er, der Reaktor würde dem Käufer erst im März 2012 übergeben. Danach würden elf weitere für denselben Kunden gebaut. Derzeit arbeiteten 50 Personen für seine Leonardo Corporation, die mittlerweile durch Umwandlung in eine Investmentgesellschaft über ausreichend finanzielle Mittel verfüge.

Das Produkt, der Energy Catalyzer (ECAT), hat mittlerweile eine Webseite. Der ECAT 1 MW Plant kostet demnach gut 1,1 Millionen Euro, die Lieferzeit beträgt vier Monate und Aufträge werden entgegengenommen. Alle Produkte würden garantiert sechsmal mehr Energie erzeugen, als sie in Form von Elektrizität verbrauchen, und seien weder umwelt- noch gesundheitsschädlich. ECAT Home Units (33x33x6 cm, 10 kg) zur häuslichen Erzeugung von Warmwasser seien abschließend getestet, fertig designt und würden derzeit vom US-TÜV Underwriter Laboratories geprüft. "Wichtige Zulassungen" bestünden bereits.

Rossi hat klargemacht, dass er gedenkt, mit großen Stückzahlen und kleinen Preisen "jeglichen Wettbewerb auszuschalten". Derzeit werde in den USA eine vollautomatische Produktionshalle gebaut. Mit der finalen Marktzulassung würde auch die Massenproduktion beginnen. Ein Gerät soll zwischen 450 und 700 Euro kosten und ab 2013 geliefert werden können. In einem Haus soll es zunächst zusätzlich zur existierenden Warmwasseranlage installiert werden. Die Nickelpatronen könne man nach einem halben Jahr eigenhändig austauschen. Vertriebspartner gebe es in fast allen Ländern. Schließlich habe Leonardo bereits über 100.000 Kaufbekundungen erhalten, deren Absender ab Lieferbeginn nach und nach angeschrieben würden.

All dies sind Behauptungen Rossis. Es gibt weder Fotos einer Baustelle noch Aussagen von Zweiten, die seine bestätigen. Auch hat er Widersprüche produziert. Wie seine Aussage Ende 2011, dass die Produktion in den USA bereits begonnen habe. Später äußerte er, es finde "derzeit jede Produktion, Vertrieb und Verwendung der Geräte in Übersee" statt. Gegenüber Cold Fusion Now hat der italienische Ingenieur gesagt:

Tatsache ist, jedes Mal, wenn ich den Namen eines Käufers oder Lieferanten genannt habe, sind die armen Leute von einer Flut inopportuner Kontakte überschwemmt worden. Sie können sich vorstellen, wie riskant es aus einer Perspektive der Sicherheit sein kann, wenn wir zu diesem Zeitpunkt die Adresse bekannt geben, wo wir arbeiten. In der nächsten Zeit wollen wir in Frieden arbeiten.

Andrea Rossi

Vielleicht aus diesem Grund hat er eine Vereinbarung mit der Universität Bologna auslaufen lassen, die den ECAT auf Herz und Nieren prüfen wollte. Überraschenderweise hatte Rossi am 20. Februar den aktuellen Entwicklungsstand jedoch an der schwedischen Uppsala University demonstriert. Der Chemieprofessor Roland Pettersson zeigte sich beeindruckt und sagte NyTeknik, das System arbeite nun viel stabiler.

Fest steht, dass Leonardo Corporation mit National Instruments (NI) zusammengearbeitet hat. Kontrollsysteme von NI sind sowohl im Large Hadron Collider der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) als auch im Tokamak-Heiße-Fusion-Reaktor des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Garching im Einsatz. Im November hatte NI außerdem mitgeteilt, "die Leonardo Corporation beabsichtigt, NI-Komponenten in ihrem Kontrollsystem zu verwenden". Im Februar endete die Kooperation jedoch angeblich, da der Käufer der Megawatt-Anlage bereits einen anderen Partner für diesen Zweck habe. Laut eigenen Angaben lernt Rossi sehr viel von diesem Käufer, insbesondere hinsichtlich der Produktion von Elektrizität.

Mitte Februar soll die Siemens AG in Bologna eine Turbine vorgestellt haben, mit der schon bei relativ niedriger Dampftemperatur effizient Strom produziert werden kann. Wegen dieses "Durchbruchs" meint Rossi, könnte die ECAT-Stromerzeugung vielleicht früher beginnen, als ursprünglich gedacht. Er will damit einer alten Forderung nachkommen - und seinem Traum: einen Reaktor zu bauen, der sich selber mit Strom versorgt und damit völlig autark arbeitet. Rossi schwebt eine Kraft-Wärme-Kopplung-Anlage vor, die 30 Megawatt Wärme und 7,5 Megawatt Strom erzeugt. Anschaffungskosten: 23 Mio. Euro. Solch eine Anlage wäre ideal zur Energieversorgung eines Wohnkomplexes oder einer Industrieanlage.

Wettbewerb kommt auf

Neben Rossis Leonardo Corporation streben mehrere andere Unternehmen mit ihren Fusionstechnologien auf den Markt. Das sicherlich Aufsehen erregendste von ihnen ist Defkalion Green Technologies (DGT) mit Sitz in Griechenland. Dieses Konsortium war kurz nach Rossis halböffentlichem Experiment im Januar 2011 an die Öffentlichkeit gegangen, seine einzige Aufgabe sei die Herstellung und Vermarktung der Rossi-Technologie (Kalte Fusion in der Black Box?). Im August trennte man sich jedoch offenbar im Streit von Leonardo (Kalte Fusion als Technologie).

Über den Grund der Trennung ist nichts bekannt, doch gibt es einen öffentlichen Disput. DGT ist weniger wortkarg und emotional als Rossi und informieren mit einem ausführlichen Datenblatt über ihr Produkt. Der Hyperion soll aus bis zu neun LENR-Reaktorkernen bestehen, 5 bis 45 Kilowatt Wärmeleistung produzieren und dieses Jahr zunächst in Griechenland auf den Markt kommen. Auch eine 5-Megawatt-Anlage soll erhältlich sein. EU-Sicherheitszertifikate seien in Bearbeitung. Die Nachfrage sei bereits größer, als gedeckt werden könne.

"Hyperion"-Prototyp von Defkalion Green Technologies. Bild: Defkalion Green Technologies

Ende Januar hatte DGT "international anerkannte und renommierte wissenschaftliche und wirtschaftliche Organisationen" aufgerufen, unabhängige Tests des Hyperion durchzuführen, und war damit einer Forderung der Wissenschaft nachgekommen. Mitte Februar wurde Sterling Allan von Pure Energy Systems News der Testreaktor gezeigt. Ende Februar teilte Defkalion mit, dass zwei von sieben internationalen Gruppen ihre Tests bereits durchgeführt hätten. Darunter sei auch die griechische Regierung, die sich von der nuklearen Natur des Effekts habe überzeugen wollen. Die griechische Regierung, die bereits seit Frühling 2010 im Bilde sein soll, hat ihre Involvierung gegenüber NyTeknik weder bestätigt noch abgestritten. Testprotokolle sollen in Abstimmung mit DGT veröffentlicht werden. Bereits im Dezember hatte ein Vertrauter von Jed Rothwell Defkalions Geräte in Augenschein genommen und den Geschäftsplan besprochen. Er kam zu dem Ergebnis:

Die Entwicklungen und Geschäftstätigkeit wecken große Erwartungen. Diese Leute sind hochprofessionell. Forschung und Entwicklung sind erstklassig. Die Laborausstattung ist erstklassig. Ihre kommenden Produkte sind revolutionär. Sie sind die besten LENR-Implementierungen, die je gemacht worden sind.

Quelle von Jed Rothwell

Rothwell betreibt das Archiv LENR-CANR.org, ist im Forschungsgebiet bestens vernetzt und genießt dort großes Vertrauen.

Weitere Organisationen sind im Zuge der "größten Investitionsmöglichkeit des 21. Jahrhunderts", so der Zukunftsforscher Gerald Celente zur aktuellen Entwicklung (Kalte Fusion in der Black Box?), gegründet worden oder in Aufwind geraten. Francesco Piantelli, der Vater der Nickel-Wasserstoff-Fusion, hat Investoren gefunden und verfolgt mittlerweile kommerzielle Ziele mit seinem Unternehmen nicHenergy. Piantelli hat Anrecht auf Patentschutz im Rahmen des so genannten Zusammenarbeitsvertrags. Die Anwälte von Andrea Rossi, der seinen ECAT komplett überarbeitet und neue Patente beantragt hat, dürften sich Piantellis Patente aufmerksam durchgelesen haben.

Von der von Rossi generierten Aufmerksamkeit scheint auch die Brillouin Energy Corporation zu profitieren, die ebenfalls kommerzielle Anwendungen der Nickel-Wasserstoff-Fusion entwickelt. Forscher des US-Marine-Labors SPAWAR führen ihre Forschung mittlerweile in der Global Energy Corporation weiter, nachdem die Arbeit bei der Marine von oben unterbunden wurde. Unter dem Namen Cold Fusion Energy, Inc. haben sich Wissenschaftler zusammengeschlossen, um Anwendungen der Kalten Fusion in die Welt zu bringen. BlackLight Power (Durchbruch bei der Gewinnung von Energie aus Wasserstoff?) hat in seinen Reaktoren zwar offenbar keine Kalte Fusion, dafür aber laut Dafürhalten einiger Forscher vielleicht einen Teil ihrer Erklärung. Die Liste ließe sich fortführen.

Game Change

In den letzten Jahren hat sich Miley dem nanotechnologischen Ansatz von Yoshiaki Arata (Lobbying für die Kalte Fusion) gewidmet und mit Studenten einen zuverlässigen LENR-Reaktor gebaut, der 75-200 Watt Überschusswärme erzeugt. Die für eine Radionuklidbatterie benötigte Leistung sei erreichbar. Eine LENR-Batterie sei ein Game Changer, und auch die NASA habe dieses bereits erkannt.

NASA-Konzept eines Raumtransporters mit Kalte-Fusion-Antrieb. Bild: NASA

Das NASA Glenn Research Center hat sporadisch LENR-Experimente durchgeführt und sowohl 1989 als auch 2009 eine anomale Energieproduktion bestätigt. Die von Rossi und Piantelli demonstrierte Technologie sei "potenziell ein Game Changer für Raumfahrtantriebe und den Energiebedarf von Fahrzeugen". NASA-Wissenschaftler haben sich im Juli mit Rossi getroffen, um Anwendungen seiner Technologie zu besprechen und sie möglichst zu testen. Zu einem Test war es jedoch nicht gekommen, da Rossi einen Reaktor verkaufen statt zur Verfügung stellen wollte. Auch auf Piantelli sind die NASA-Wissenschaftler zugegangen. Auf einem LENR-Workshop am 22. September, an dem auch Miley teilnahm, sagte der oberste Wissenschaftler des NASA Langley Research Center, Dennis Bushnell:

Je nachdem, wie sich die Performanz herausstellt, scheint LENR die Luft- und Raumfahrt grundlegend revolutionieren zu können. Keine einzelne Technologie kommt auch nur in die Nähe der potenziellen Auswirkungen von LENR auf Missionen der Agentur. … Übrigens - LENR löst (auch) das globale Klima- und Energieproblem

Dennis Bushnell

Im Januar schließlich erhielt die NASA große Aufmerksamkeit, als der Wissenschaftler Joseph Zawodny die saubere Energieproduktion durch Kalte Fusion im hauseigenen Technology Gateway bestätigte. Erste Anwendungen seien mit der Kraft-Wärme-Versorgung von Wohnhäusern zu erwarten (Kalte Fusion und die Zukunft).

"Game Changer" steht generell für ein Objekt oder Ereignis, das eine Situation fundamental ändert. Kraft-Wärme-Kopplung-Anlagen auf LENR-Basis, wie sie derzeit angestrebt werden, wären offensichtlich ein Schlag für die derzeitige zentralisierte Energieinfrastruktur. Auch geopolitische Umwälzungen sind möglich, wenn die Abhängigkeit vom Öl nicht mehr besteht. Eins hat sich bereits geändert: Im Januar hat das Massachusetts Institute of Technology erstmals nachgegeben und ein Studentenseminar zur Kalten Fusion zugelassen. In diesem Rahmen wurde auch eine Energieproduktion experimentell demonstriert.

Was in den Reaktorzellen der Entwickler jedoch genau vor sich geht, wie der Prozess theoretisch beschrieben werden kann, ist wissenschaftlich offen. Aber kann etwas auf den Markt kommen, das nicht verstanden ist? "Weitaus mehr Dinge, die wir alltäglich nutzen, sind realisiert worden, bevor ein vollständiges wissenschaftliches Verständnis erreicht war", sagte Michael McKubre, Forscher bei Stanford Research International und technischer Berater von Brillouin Energy, in Ca$h Flow Radio. Rossi und Defkalion zeigen sich gewiss, dem Geheimnis auf die Spur gekommen zu sein.

Gestern haben Francesco Celani und Yogendra Srivastava vom italienischen Nationalen Institut für Kernphysik auf Einladung am CERN ein Kolloquium zum aktuellen Stand der Erforschung der Kalten Fusion gegeben. Trotz aller Fortschritte konstatierte Celani einen immensen Forschungsbedarf. Die bisherige Forschung habe die Kalte Fusion zweifelsfrei bewiesen, sei wegen mangelnder Finanzierung jedoch nur sehr langsam vorangekommen. Um funktionierende Reaktoren zu verbessern und den Effekt zu erklären, sei es nun Zeit für ein gut finanziertes, internationales und multidisziplinäres Forschungsprogramm.