(Geschlechtsverkehr) simulieren

Nach 25 Jahren wird das Computerspiel "Sex Games" vom Index gestrichen

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SEX ist, vor allem wenn der Begriff im Zusammenhang mit dem Computer genannt wird, nicht bloß ein Assembler-Mnemonic zum Vorzeichenwechseln, sondern auch eine, mal mehr mal weniger, simulative Handlung. Vor etwa 25 Jahren rückten die beiden Teenager Markus und Thomas Landgraf die Themen Sexualität und Assembler derartig nahe zusammen, dass dabei nicht nur ein überaus populäres Spiel hervorging, sondern auch gleich Deutschlands damals berüchtigste staatliche Zensurbehörde tätig werden musste: Sex Games wurde am 05.05.1987 indiziert und ist jetzt wieder vom Index gelöscht worden.

"Sex Games" zählt zum Genre der so genannten "Rüttelspiele", die in den 1980er-Jahren so manche Handgelenksehne strapazierten und unzählige Digitaljoysticks ruinierten. Das Gameplay orientiert sich an den seit den frühen 1980er-Jahren zunächst für Computerspiel-Konsolen und dann auch für Heimcomputer verbreiteten Sport-Spielen. In Titeln wie "Decathlon", "Summer Games" oder "Track and Field" wurde die Laufgeschwindigkeit, Wurfweite oder Sprunghöhe der Spielfigur maximiert, indem man den Hebel des Joysticks möglichst schnell hin und her bewegte um so den Abstand der Schaltzeitpunkte der für die Links-Rechts-Ausrichtung zuständigen Kontakte oder Mikroschalter so kurz wie möglich zu gestalten. Dieses wilde Rütteln am Joystick verursachte dann nicht nur eine Signalflut am Port, sondern verhalf dem Spielerkörper darüber hinaus auch zu sportlicher Betätigung (und manchmal Verletzung) am ansonsten so stillen Computerspielplatz.

"Potenz (hier gleich Zeit)"

Die besten Ergebnisse ließen sich bei diesen Spielen erreichen, wenn man das Eingabemedium Joystick entweder manipulierte (da war von automatisierten Schaltimpulsen bis zum Absägen des Griffes zur Verkürzung von Hebel und Schaltzzeit vieles möglich) oder es so platzierte, dass die erforderlichen Handbewegungen nicht so viele Muskeln in (Mit)Leidenschaft zogen und zur Ermüdung brachten. Beispielsweise konnte man den Joystick zwischen den Oberschenkeln einklemmen, um die Hand, mit der man ihn vorher gehalten hat, freizubekommen, damit diese die andere Hand beim Bewegen des "Steuerknüppels" (wie er in den deutschsprachigen Anleitungen oft genannt wurde) abwechseln konnte. Dass gerade diese Haltung, zumal mit leicht vorgebeugtem Nacken und hochgezogenen Schultern von hinten ganz andere Evokationen beim Betrachter der Spielszene hervorgerufen haben mag, erscheint zwangsläufig.

Die Ähnlichkeit dieser Haltung könnte ein Hintergrund bei der Idee zum Programmieren des Spiels "Sex Games" gewesen sein. Sicher ist, dass die damals noch teilweise minderjährigen Programmierer eine Persiflage sportlicher Rüttelspiele im Sinn hatten, die sich - pubertär/pubertierend - mit dem ohnehin sehr wichtigen Thema Sex ideal verbinden ließ. Zudem waren die beiden Fans der in den 1980er-Jahren beliebten Comic-Serie "Werner", denn die Figuren des Spiels sehen den Protagonisten der Brösel'schen Comics recht ähnlich. Für die Grafiken war laut Titelbild des Spiels ein gemeinsamer Freund zuständig, denn Zeichnen konnten die beiden Brüder nicht so gut - dafür beherrschten sie den Assembler des MOS-6510-Prozessors, der im Commodore 64 arbeitete und zusammen mit dessen Grafikchip VIC und dem Soundchip SID dafür sorgte, dass dies der meistverkaufte Computer eines Herstellers aller Zeiten wurde. Sound brauchte es für "Sex Games" nicht; die Grafik beschränkte sich auf die joytickgesteuerte Abwechslung verschiedener Bilder zur Evokation von Bewegung (wie in Zeichentrickfilmen); um dies möglichst schnell uf einem C64 zu realisieren, war Assembler die Programmiersprache der Wahl.

Tabu und Joystick - wie leicht bricht das!

Thomas und Markus Landgraf hatten schon zuvor Programmiererfahrung: Auf dem VC-20 von Commodore (dessen langdauernde Namensfindung sich ebenfalls gut als Kapitel in eine Sittengeschichte des Computers einfügen ließe!) hatten sie bereits Spiele geschrieben und auch Erfahrungen mit der "264er"-Baureihe von Commodore, namentlich dem kleinsten Modell, dem C116 mit Gummitastatur und 16 KB RAM. Mit Spielen wie "Pulsar" (einem Scramble -Clone für C16/116/Plus4) köderten die beiden sogar einen professionellen Publisher (Kingsoft) als Vertriebspartner und verdienten auf diese Weise noch etwas mehr Geld mit ihren Spielen als zuvor durch den Selbstvertrieb. Ihr Amateur-Programmierer-Ruhm konnte quasi kaum noch übertroffen werden.

Der VC20 von Landisoft. Bild mit freundlicher Genehmigung von Thomas Landgraf

1985 entstand dann also auf dem C64 "Sex Games". Programmiert wurde es vor dem heimischen Fernsehgerät im Wohnzimmer. Thomas Landgraf erinnert sich, dass die Eltern zwar sahen, dass die Kinder etwas mit Computer und Fernseher taten - jedoch nie so richtig wahrnahmen, was das eigentlich war. Es war eine andere Welt, eine eigene Sphäre, die von Außenseitern gar nicht gesehen geschweige denn verstanden werden konnte; insbesondere nicht die Kolonnen von Hex-Zahlen und OpCodes, die da über die Mattscheibe von unten nach oben scrollten, akustisch begleitet durch den typisch hohlen Sound der Commodore-Tastatur und ihrem Widerhall im "Brotkasten"-Gehäuse des Computers - und nur unterbrochen vom einen oder anderen Probelauf des Spiels. Von seinen 160 mal 200 Bildpunkten behaupten nur heutige Computernutzer, allein der Gestaltsinn hätte aus der Distanz Sinnvolles in diesem Pointillismus erkennen lassen.

Das Diagramm (der) Lust

"Sex Games" wurde, nachdem es einmal fertig programmiert war, auf dem Schulhof für kleines Geld verkauft, zumeist aber als Raubkopie getauscht. Der maßgeblichste Umschlagplatz für Raubkopien professioneller Computerspiele ließ sich auch hervorragend als Nährboden für Kassetten- und Disketten-Kopien von guter Homebrew-Software nutzen. "Sex Games" wurde so innerhalb kürzester Zeit zu einem der bekanntesten Titel für den Commodore 64; regelrecht berüchtigt war das Programm und das, was es seinen Spielern abverlangte (und antat). Die große Zeit der Sehnenscheidenentzündungen und Karpaltunnelsyndrome, die nach dem Zenith der Heimcomputer-Adaption von Activisions "Decathlon" (1983) für überwunden gehalten wurde, erlebte durch "Sex Games" zwei Jahre später eine Renaissance. Als hätten es manche Eltern und viele Großeltern nicht immer gesagt: "Masturbation macht krank!" sorgte nun das Sex-Spiel mit dem zwischen den Schenkeln eingeklemmten Joystick für nicht wenige bandagierte Handgelenke auf deutschen Schulhöfen.

Thomas Landgraf. Bild mit freundlicher Genehmigung von Thomas Landgraf

Das Maß an Berühmtheit des Spiels von Landisoft, wie die Brüder ihre Softwareschmiede tauften, ließ sich später aber auch noch einmal indirekt ablesen: Eines Tages im Mai des Jahres 1987 landete bei den Landgrafs ein förmlich gehaltenes Schreiben im Briefkasten und teilte Thomas Landgraf mit, dass sein Spiel "Sex Games" auf Antrag eines Jugendamtes und nach Prüfung durch die Mitarbeiter der "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften" (BpjS) als "schwer jugendgefährdend" eingestuft und indiziert worden war. In das Indizierungsbeschlussverfahren, dessen Beschluss im Bundesanzeiger Nr. 97 vom 26.05.1987 abgedruckt wurde, wurden die Hersteller von "Sex Games" seltsamerweise "mangels ladungsfähiger Anschrift" (Zitat Beschluss) nicht einbezogen. Vielleicht scheuten sich die Mitarbeiter der BpjS vor dem Paradox, Jugendlichen zu begegnen, die etwas programmiert hatten, das "nicht nur jugendgefährdend [...], sondern offenbar schwer jugendgefährdend" war und somit auch die Programmierer selbst "sozialethisch desorientiert" haben müsste.

"Verschiedene Sex-Stellungen vorprogrammiert"

Der Beschlusstext offenbart die Bemühungen, dieses Paradox auszuklammern. "Die Mitglieder des Gremiums hatten Gelegenheit, das Computerspiel 'Sex Games' zu spielen", heißt es darin. Das Gerücht, dass allzu schwierige Spiele (und "Sex Games" war eines der schwierigsten!) nicht selten von Jugendlichen im Beisein der BpjS-Mitarbeiter durchgespielt wurden, wird mit dieser Phrase zumindest abgeschwächt. Die Beschreibung der fünf Spiel-Level (A-Tergo-, Missionarsstellung, Fellatio, Küchentisch- und schließlich bisexueller Gruppensex) und wie man sie jeweils meistert, haben die Mitarbeiter also auf eigener Spielerfahrung basiert. Vielleicht haben Sie aber auch eine Trainerversion genutzt - selbstverständlich wurde das Spiel bereits im Erscheinungsjahr, etwa von der Cracker-Gruppe "Remember" unter dem Label "Sex Games +2" mit einem Trainer versehen. Hier konnte man vor dem Spielstart folgenden Optionen zustimmen (oder sie ablehnen): "Lust-o-Meter can't fall anymore" und "Unlimited Potency". So klingen heute allenfalls noch Betreffs einschlägiger Spam-Mails.

Die Spielerfahrung der BpjS-Mitglieder liest sich laut Beschlusstext wie ein Horrortrip: "Der Spieler steuert mit dem Joystick eine Sex-Maschinerie. Inhuman und ohne jeden persönlichen Bezug wird Geschlechtsverkehr gesteuert" heißt es da; oder: "Die Kopplung von Sexualität und Leistungsdruck müsse sozialethisch desorientierend wirken. Kinder und Jugendliche erhielten durch dieses Spiel Orientierungen, die dem Aufbau einer eigenen Sexualität abträglich seien. Mit dem Joystick könnten sie sexuelle Handlungen (Geschlechtsverkehr) simulieren, die ihren eigenen Erfahrungen noch nicht entsprächen." Mit anderen Worten: "Sex Games" ist interaktive Pornografie für Kinder. In die Privatheit des Kinderzimmers stülpt sich durch das Medium des Heimcomputers die Privatheit des elterlichen Schlafzimmers … und schlimmeres! Das ist das fatale Telos des Medienzeitalters: die totale Entgrenzung!

"Je schneller das männliche Glied über den Joystick bewegt wird"

Dem christlichen Ethos laufen solche medienspatiologischen Tendenzen natürlich entgegen. Da braucht es nicht einmal den unchristlichen Stellungswechsel (mit Ausnahme der "Missionarsstellung" in Level 2 inszeniert "Sex Games" nicht wenige Fegefeuer-relevante Praktiken) mit wechselnden Sexualpartnern. (Man achte auf den Hut des Mannes!) Allein die Tatsache, dass so etwas quasi öffentlich gezeigt und simuliert wird, ist moralisch und strafrechtlich relevant. Wie stark sich hier jedoch zwei ganz unterschiedliche Sphären überlappen - in der Homecomputerzeit zeigte sich vielleicht der krasseste Generationen-Konflikt bis dahin überhaupt! - verdeutlicht der Wortlaut des Beschlusses, in welchem die Gutachter um eine Sprache für etwas ringen, das einerseits immer schon verschwiegen werden musste (Sex), für das sie andererseits aber auch gar kein Vokabular besitzen (Computer).

Da heißt es zur Steuerung des Spiels einmal, "das männliche Glied ::werde] über den Joystick bewegt", was unwillkürlich Doppeldeutigkeiten, zumal angesichts der üblichen Verwendung pornografischer Medieninhalte, evoziert. An anderer Stelle wird hervorgehoben, wie technokratisch sich Computerspiel-Verlauf und seine Darstellung gegenüber dem Organischen des menschlichen Liebesaktes verhalten, wenn vom "Diagramm 'Lust'" (das "Lust-o-Meter", das sich im Trainer abschalten lässt) geschrieben wird, oder davon dass, jenes andere Diagramm mit "Potenz (hier gleich Zeit)" beschriftet ist, die sich nach Spielbeginn beide synchron im freien Fall befinden. Der Computer ist nun einmal ein zeitbasiertes Medium, das jedoch in der Lage ist, Zeitachsen so zu manipulieren, sodass sich damit spielen lässt. Wenn dann eine Analogie in Form von zwei Diagrammen aufzeigbar wird (und wozu sonst dienen Diagramme schon, als dazu, unkonkrete Werte ins konkret Darstellbare zu transferieren?), dann ist der Computer das geeignet(st)e Medium, diese Diagramme "ins Spiel zu bringen".

"Lüsterne Interessen des Betrachters"

Inwiefern sich ein pornografisches Spiel wie "Sex Games" von anderen - eher passiven - pornografischen Medien unterscheidet, ist immer noch nicht hinreichend untersucht worden. Es fehlt ebenso eine Sittengeschichte des Computers wie auch die Antwort auf die Frage, ob die (Inter)Aktivierung des Spielers im Pornospiel nicht vielleicht sogar das Gegenteil von Pornografie sein könnte: Immerhin reizt die Darstellung hier nicht zur Manipulation am eigenen organischen, sondern allenfalls am digitalen Joystick. (Übrigens kommt dessen Bezeichnung keineswegs aus der erotischen Sphäre, sondern taucht zuerst 1910 als Bezeichnung des Steuerknüppels eines Kampfflugzeugs in den Memoiren eines britischen Piloten auf.) Wäre "Sex Games" spielen nicht also vielleicht sogar die adäquate Umlenkung der jugendlichen Triebenergien in den Gameport des C64?

Im Bundesanzeiger Nr. 66 vom 27.04.2012 taucht "Sex Games" zum ersten mal seit 25 Jahren nicht mehr in der Liste der indizierten Computerspiele auf. Grund dafür ist nicht eine erneute Prüfung des Spiels, sondern die Tatsache, dass der Gesetzgeber glaubt, dass ein Programm nach 25 Jahren nicht mehr die Wirkung auf die Spieler besitzt, die es angeblich einmal besessen hat und damit automatisch vom Index gelöscht werden kann. Dass "Sex Games" über all die Jahre keineswegs verschwunden war, sondern als Diskurs und als C64-Programm aus dem Internet (sogar von den damaligen Herstellern) geladen oder als Emulation im Browser gespielt werden konnte, zeigt die Wirk-ohn-macht der Bundesprüfstelle und ist darüber hinaus die Verlängerung der 80er-Jahre-Schulhof-Weisheit von den immer schmeckenden, verbotenen Digital-Früchten. Nun dürfen sie wieder auf ganz legale Weise genossen werden. Schade eigentlich ... dem Spiel geht damit ein wesentlicher Reiz verloren.

Die Zitate stammen aus dem Indizierungsbeschluss zum Spiel, der hier eingesehen werden kann. Indirekt zitierte Aussagen von Thomas Landgraf stammen aus einem Interview, das ich 2010 mit ihm für das RETRO-Magazin geführt habe.