Demontage der Generation911

Eine Studie der Universität Duisburg-Essen besticht durch gelöschte Forumsbeiträge, einen verengten Blick und einen Professor, der sich weigert, Fragen zu beantworten

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Wie ergebnisoffen ist die Studie Generation911 , die derzeit von der Universität Duisburg-Essen (UDE) durchgeführt wird? In einer bisher einmaligen Studie wollen die Soziologen Professor Carsten G. Ullrich und Dr. Daniela Schiek herausfinden, ob die Terroranschläge vom 11. September die Menschen, die heute zwischen 30 und 40 Jahre alt sind, geprägt haben und wenn ja, in welcher Form. Die Datengrundlage sollen persönliche Berichte von Studienteilnehmer bieten, die in einem speziell für die Studie eingerichteten Online-Forum von ihren Erlebnissen und Gefühlen, die mit 9/11 verbunden sind, berichten können.

Doch kaum war das Forum freigeschaltet, wurden reihenweise Schilderungen von Studienteilnehmern, die ihre Zweifel an der offiziellen Version zu den Anschlägen äußerten, mit dem Hinweis gelöscht, gegen die Forumsregeln verstoßen zu haben. Demontieren die Verantwortlichen der Studie mit dieser Entscheidung ihr eigenes Projekt? Wer erforschen möchte, ob es eine Generation911, gibt und wie diese sich kennzeichnet und dann auch noch explizit nach den politischen Befindlichkeiten der Studienteilnehmer fragt, sollte eigentlich auch dem berichteten Zweifel Raum geben und ihn als Merkmal in seine Studie einfließen lassen. Wenn nicht, steht die Ergebnisoffenheit der Studie auf dem Spiel. Eine Stellungsnahme lehnte der Leiter der Studie, Professor Carsten G. Ullrich, ab.

"Gibt es eine Generation911?" fragen Professor Carsten G. Ullrich und Dr. Daniela Schiek von der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen in einer Pressemitteilung. Eine interessante Frage, die eigentlich auf eine vielversprechende Studie verweisen sollte.

Haben die Terroranschläge in den USA, die eine Zäsur für die Weltpolitik waren, auch zu einer gesellschaftlichen Zäsur geführt? Lässt sich empirisch eine Generation911 erkennen und wenn ja: Wie sieht diese Generation aus, durch was ist sie gekennzeichnet? Spannende Fragen, doch die Verantwortlichen der Studie haben erkennen lassen, dass sie ihre eigenes Forschungsinteresse durch das bewusste Ausklammern einer viel gescholtenen Variable untergraben: Verschwörungstheorien. Die Projektverantwortlichen möchten den Herzschlag einer möglichen Generation911 erfassen, aber die Äußerung von verschwörungstheoretischen Zweifeln ist nicht erwünscht.

Schon vor Beginn der Studie, erklärte Ullrich gegenüber dem Online-Portal Der Westen, dass sein Forum ausdrücklich nicht für Verschwörungstheorien dienen soll. Einerseits verständlich. Schliesslich geht es in der Studie nicht um die Hintergründe des 11. Septembers, es geht nicht um Verschwörungstheorien, es geht nicht um die Aufklärung der Hintergründe von 9/11, sondern um die Frage, ob es eine "Generation911" gibt.

Doch wie kann man wissenschaftlich seriös herausfinden, was eine Generation911 ausmacht, wenn man eine künstliche Trennung zwischen dieser möglicherweise existenten Generation911 und den massiven Zweifeln, die offensichtlich von dieser Zielgruppe an den Terroranschlägen in den USA geäußert werden, vollzieht?

Wäre es nicht möglich, dass sich eine Generation911 gerade dadurch auszeichnet, dass sie durch eine verschwörungstheoretische Denke miteinander verbunden ist? Gewiss, das ist nur eine Hypothese (die sich die Studienmacher nicht zu eigen machen müssen), aber wer ernsthaft erforschen möchte, wie sich der Puls einer Generation911 anfühlt, kann seinem Ziel nicht gerecht werden, wenn das verschwörungstheoretische Moment, dass nun mal offensichtlich Bestandteil einer gesellschaftspolitischen 9/11-Wirklichkeit ist, ignoriert wird.

Man möchte die Verantwortlichen der Studie fragen, ob sie jemals etwas von den zahlreichen repräsentativen Umfragen gehört haben, in denen gerade die Alterszielgruppe der Studie ihre verschwörungstheroetische Meinung zum Ausdruck bringt: Jeder 5. Deutsche glaubte bereits 2003, dass die US-Regierung hinter den Terroranschlägen stecken könnte. In der Gruppe der unter 30-Jährigen war es sogar jeder Dritte. Weitere Umfragen bringen vergleichbare Ergebnisse. Im Januar 2011 stellte das Meinungsforschungsinstitut Emnid für Welt der Wunder folgende Frage:

Die Anschläge vom 11. September 2011 veränderten die Welt. Die USA marschierten in Afghanistan und im Irak ein, Bürgerrechte wurden massiv beschnitten. Glauben Sie, dass die US-Regierung der Weltöffentlichkeit die ganze Wahrheit über die Anschläge sagt? 89,5 Prozent der Deutschen beantworten die Frage mit nein.

Doch dieses Stimmungsbild möchten die Wissenschaftler Ullrich und Schiek offensichtlich nicht in ihrer Studie haben.

Eine kürzlich veröffentlichte Stellungnahme von Seiten der Moderation des Forums wirft weitere Fragen auf. Im Forum heißt es:

Liebe Forumsmitglieder,

wie uns zahlreich mitgeteilt wird, sind die Forumsregeln und die Beschreibung ihrer Anwendung nicht von allen zur Kenntnis genommen worden. Wir möchten deshalb noch einmal betonen, dass wir das Forum zum Austausch über persönliche Erfahrungen mit und nach den Ereignissen des 11. September 2001 gegründet haben. Andere Themen wie die Untersuchung des Tathergangs vom 11. September waren und werden zu keiner Zeit Gegenstand unserer Untersuchung sein. Wir verfolgen damit nicht die Absicht, Meinungen zu unterdrücken. Sie sind nur für unser Forschungsinteresse nicht von Belang und wir möchten unser Forschungsinteresse von niemandem zensiert bekommen. Dazu gehört auch, dass Forumsmitglieder, die unserem Forschungsinteresse folgen und an unserer Studie teilnehmen, nicht beleidigt werden sollen.

Entsprechendes Verhalten ist also ein Verstoß gegen die von uns aufgestellten und von Beginn an transparent gemachten Regeln und entsprechende Beiträge werden daher, wie bereits geschehen, von unserer Plattform entfernt.

Der schwarze Peter liegt liegt nun also bei den Studienteilnehmern. Diese haben, nach Ansicht der Projektleiter, nicht verstanden, was denn eigentlich der Forschungsgegenstand der Studie ist. Wie aus diversen gelöschten Einträgen (die Telepolis anhand von Screenshots vorliegen) ersichtlich ist, haben Studienteilnehmer von ihren persönlichen Empfindungen zum Thema 9/11 berichtet und ihre politischen Befindlichkeiten artikuliert (wie eigentlich von den Projektverantwortlichen erwünscht). Teil dieser politischen Befindlichkeiten sind auch Zweifel darüber, die volle Wahrheit über die Anschläge erfahren zu haben.

Die Projektverantwortlichen verweisen darauf, dass die Erforschung des Tathergangs der Anschläge in den USA nicht Teil des Forschungsprojektes ist. Diese Aussage verwundert, denn die vorliegenden Screenshots dokumentieren, dass auch unter den Studienteilnehmern kaum Unklarheit darüber herrschte, worum es in der Studie geht und dass von der Studie nicht erwartet wird, den "Tathergang" aufzuklären.

So schreibt der Studienteilnehmer bzw. die Studienteilnehmerin Jelnikar:

Hallo, ich habe mich am besagten Tag in Deutschland aufgehalten und war zutiefst geschockt über diesen wie ich jetzt weiß Insidejob. Denn egal wer dafür letztlich verantwortlich war hat unschuldige Menschenleben auf seinem Gewissen und sollte dafür geradestehen!

Schade ist nur daß mit den Gefühlen der Menschen so fahrlässig umgegangen wird siehe die Berichterstattung darüber und Nichtaufklärung der Attentate. Der offiziellen Version können ja nur sehr wenige folgen wie ich z.B. Offensichtlich haben die Menschen so auch ich ein sehr schlechtes Gefühl dabei zumal weitere unschuldige Menschenleben ausgelöscht wurden. Das sind im übrigen meine ganz persönlichen Gedanken dazu und sollte nicht zu einem Regelverstoß führen...

Jelnikars Beitrag wurde gelöscht. Auch dieser Beitrag von Studienteilnehmer "Bugs Bunny" war nicht erwünscht:

Ich kam am 11. September 2001 vom Spielplatz mit meiner Tochter und mein Mann rief aufgeregt" Es ist Krieg". Ich war total geschockt und paralysiert.Allerdings auch über die Berichterstattung, denn es wurden palästinesische Kinder gezeigt die sich freuten und es wurde in den Zusammenhang von 9/11 gebracht. Ich fühlte mich unwohl, es war irgendwie unecht. Später kam heraus, daß da überhaupt kein Zusammenhang war. Dieses Ereignis schärfte meine Sinne und seitdem recherchiere ich gründlicher. Es gibt so viele Ungereimtheiten bei 9/11, daß ich seit diesemTag meine Naivität in Bezug auf die Welt verloren habe.

Und so wurden zahlreiche Einträge von bereitwilligen Studienteilnehmern gelöscht. Einträge, die möglicherweise gerade doch wegen der Wiedergabe ihrer expliziten politischen Befindlichkeiten und ihrer politischen Denke wertvoll für die Studie hätten sein können.

In Emails, die von Foristen an die 9/11-kritische Webseite 911-archiv.net gesendet gesendet und an Telepolis weitergeleitet wurden, kommt Verwunderung über das Löschen von nicht genehmen Beiträgen zum Ausdruck:

Antwort #61 am: März 20, 2012, 12:53:31 pm »

165 Mitglieder haben jetzt 63 Beiträge geschrieben- ich aber allein 3. Archelys 3 usw. Das heiß, man hat geschätzte 2/3 aller Stimmen wegzensiert. Es meldet sich ja wohl kaum einer an, um dann nicht zu kommentieren!

Antwort #63 am: März 20, 2012, 19:04:03 pm »

140 Mitglieder haben jetzt 64 Beiträge geschrieben. Das ist nicht nur Zensur, da werden User einfach gelöscht (oder melden sich ab)

Nachdem Posts quasi im Minutentakt gelöscht wurden, kippte die Stimmung. Einige Studienteilnehmer veröffentlichten ihren Beitrag einfach nach jedem Löschen erneut (die Moderatoren behielten die Oberhand), andere äußerten ihre Verwunderung darüber, dass ihre Beiträge gelöscht wurden, obwohl sie sich doch an die Regeln gehalten hätten. Und wieder andere reagierten mit bissiger Ironie:

Ich stand gegen 4:45 Uhr auf, Nach dem Frühstück ging es zur Arbeit. Das Wetter war schön. Nachmittags hatte ich dann Feierabend. Jemand sagte, es ist was passiert. Abends sah ich die Bilder im Fernsehen. Dann ging ich schlafen. So erlebte ich den 11. September.

Ein Eintrag, der immerhin heute noch im Forum steht. Der Forist Belzebueb schreibt:

Also, was genau darf ich denn jetzt schreiben? Muss man ja höllisch aufpassen, nichts falsches zu sagen. Vielleicht in etwa so: Am 11. September saß ich vor dem Fernseher und wunderte mich zuerst, wieso alle möglichen Gebäude in den USA brannten. Dann stürzten die Türme ein. Es waren Al-Kaida und ihr Chef Osama bin Laden, diese Schurken. Alle 19 Attentäter wurden innerhalb von wenigen Stunden identifiziert. Die Sache war geritzt. Einmalige Arbeit, die da von den Ermittlungsbehörden geleistet wurde! Noch nie wurde ein Kriminalfall schneller aufgeklärt. War doch völlig klar, dass die Afghanen dafür einen auf den Sack kriegen müssen. Moment, kein einziger Attentäter war Afghane... Ach, aber da haben sie sich alle versteckt und Osama war auch dort. Völlig richtig also. Krieg gegen Afghanistan!

Und Studienteilnehmer "ryul" ist genervt, spricht die Moderatoren direkt an:

"So mein Beitrag wurde jetzt zum 3. Mal ohne jeglichen Hinweis gelöscht. Eine Frage an die Uni: Wozu ein Forum, wenn einen die Meinung der Foristen eh nicht interessiert? …

Die Art und Weise, wie Beiträge von Studienteilnehmern gelöscht werden, stößt auch "Blitzfritz" unangenehm auf:

Es ist wirklich erschreckend, dass hier so viele Fragen zensiert werden. Ich würde mich freuen, wenn schon Einschränkungen vorgenommen werden…., dass dann zumindest einer der Moderatoren die entsprechende Stellungnahme dazu abgibt. Es wäre deutlich klarer und effizienter, wenn sich der Forenbetreiber dann zu den Sachbeiträgen äußert und dann die Diskussion zumindest in die…gewünschte Richtung lenkt. Es kann ja nachvollzogen werden, dass evtl. völlig schräge Quereinschläger die hier geposted werden, aus dem Forum genommen werden, aber wenn sich dreiviertel der Beiträge einer Zensur beugen müssen, frage ich mich schon, warum dann hier aufgerufen wird, seine Meinung ernsthaft und fundiert zur Diskussion zu stellen.

Interessant ist die Reaktion der Projektleitung. In dem oben angeführten Beitrag, worin der Moderator sich an die Studienteilnehmer wendet, wird deutlich, dass auch die Projektverantwortlichen genervt sind. Sie schreiben:

…wir möchten unser Forschungsinteresse von niemandem zensiert bekommen.

Harte Worte, die zudem wenig Sinn ergeben. Wie können Studienteilnehmer eine Studie zensieren? Offensichtlich ist, dass es zwischen Projektleitung und Studienteilnehmern Kommunikationsprobleme gibt.

Das könnte schlicht daran liegen, dass der Verantwortliche des Projektes, Professor Ullrich, wenig Kommunikationsinteresse zeigt, wenn es um Schwierigkeiten bei seiner Studie geht. Zumindest musste Telepolis diese Erfahrung machen. Folgende Fragen wurden an Ullrich per Email gesendet mit der Bitte um Beantwortung. Eine Reaktion erfolgte nicht. Erst nach einem zweiten Anruf teilte Ullrich kurz und bündig am Telefon mit: "Die Fragen beantworte ich nicht." Folgende Fragen bleiben also leider unbeantwortet:

  1. Wie sind Sie auf die Idee für dieses Projekt gekommen? Wie kam es, sozusagen, zur "Initialzündung"?
  2. Von wem kam die Idee? Von Ihnen alleine?
  3. Was erhoffen Sie sich im Detail von dem Projekt?
  4. Nach welcher Methode bzw. nach welchem Verfahren gehen Sie vor?
  5. Haben Sie einen Ausgangshypothese? Wenn ja: Wie lautet diese?
  6. Wie wird das Projekt finanziert (bzw. von wem?)
  7. In der Pressemitteilung zu dem Projekt heißt es: "Unter www.nach911.de kann man ab dem 15. März seine ganz persönlichen Gedanken zum "Tag des Terrors" loswerden." Außerdem: "Hat 9/11das Weltbild und die politischen Befindlichkeiten verändert? Gestalten wir unter diesen Eindrücken die Zukunft anders?" Das sind sehr offene Fragen, die viel Spielraum für persönliche Schilderungen lassen. Seit einiger Zeit verfolge ich das Forum, ich habe festgestellt, dass Berichte, in denen Menschen ihre Erlebnis und Eindrücke zum Tag des Terrors schildern, (weitestgehend) gelöscht werden, wenn darin einen grundlegende Skepsis gegenüber der offiziellen Version der Anschläge geäußert wird. Warum werden diese Beiträge gelöscht?
  8. Ist die Studie ergebnisoffen?
  9. Es gibt diverse repräsentative Umfragen, die zeigen, dass weite Teile der Bevölkerung ein Misstrauen an der offiziellen Erklärung der Anschläge haben. Soll dieses Meinungsbild nicht in ihre Studie einfließen? (Kurz: Wenn ich es richtig verstanden habe: Sie möchten "nur" erforschen, ob es eine "Generation 9/11 gibt, was diese denkt, bewegt und ob sich deren Denken etc. durch die Anschläge verändert hat. Richtig? Es geht Ihnen nicht um eine Bewertung von Meinungen. Mir liegen diverse Aufnahmen von Postings vor, die zeigen, dass von ihrer Seite teilweise (nach ihren eigenen Regeln) legitime Beiträge gelöscht wurde, im Netz, auf diversen Blogs etc. spricht man von: Zensur! Es sei noch erwähnt: Ich spreche nicht von Postings, die man durchaus als Störung bezeichnen kann, sondern von Menschen, die sachlich ihr persönlich Erlebtes wiedergeben und über ihre persönlichen Gefühle und Gedanken sprechen, aber eben eine "nonkonforme Sicht" der Dinge haben. Wie stehen Sie zu den Vorwürfen?
  10. Wird sich die Praxis des Löschens von Beiträgen fortsetzen?
  11. Werden Sie Ihr Vorgehen bezüglich Erlebnis- und Meinungsschilderungen von Teilnehmern an ihrer Studie, die eine verschwörungstheoretische Perspektive vertreten, fortsetzen?
  12. Gerne können Sie mir auch etwas mitteilen, wozu ich keine Frage gestellt habe, sofern Sie denken, dass es in unserem Artikel erwähnt werden sollte.
  13. Wann werden die Ergebnisse der Studie vorliegen?

Da die Fragen nicht beantwortet werden, kann man nur versuchen, anhand der Veröffentlichungen der Projektverantwortlichen zu ihrer Studie den Grund für die "atmosphärischen Störungen" freizulegen.

In der Pressemitteilung der Universität heißt es:

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben die Welt geschockt. Fast jeder kann seine ganz persönliche Geschichte erzählen, wie er von der Katastrophe erfahren hat und die erschreckenden Bilder der brennenden Twin-Tower zum ersten Mal sah. Doch kann man deswegen von einer "Generation 9/11" in Deutschland sprechen? Dieser Frage gehen Soziologen der Universität Duisburg-Essen (UDE) jetzt in einem Online-Diskussionsforum nach. Prof. Dr. Carsten G. Ullrich und Dr. Daniela Schiek von der Fakultät für Bildungswissenschaften erforschen, wie die heute 30- bis 40-Jährigen die Anschläge erlebt und verarbeitet haben.

Unter www.nach911.de kann man ab dem 15. März seine ganz persönlichen Gedanken zum "Tag des Terrors" loswerden. "Mithilfe der Gruppendiskussion wollen wir untersuchen, wie die Erlebnisse vom 11. September gemeinsam erzählt, gegenseitig ergänzt und beurteilt werden", erläutert Projektleiter Prof. Ullrich. Hat 9/11das Weltbild und die politischen Befindlichkeiten verändert? Gestalten wir unter diesen Eindrücken die Zukunft anders? Das sind die zentralen Fragen, zu denen insbesondere die 1971 bis 1981 Geborenen in Deutschland Stellung nehmen sollen. Eine strikte Altersbegrenzung gibt es jedoch nicht.

Von den Teilnehmern der Studie wird demnach verlangt:

  • dass sie ihre eigene Geschichte zum 11. September erzählen ("Fast jeder kann seine ganz persönliche Geschichte erzählen, wie er von der Katastrophe erfahren hat und die erschreckenden Bilder der brennenden Twin-Tower zum ersten Mal sah.")
  • zu erzählen, wie die Teilnehmer "die Anschläge erlebt und verarbeitet haben"
  • in der Studie ihre "ganz persönlichen Eindrücke zum Tag des Terrors los (zu) werden"
  • etwas zu ihrem Weltbild und ihren politischen Befindlichkeiten zu erzählen ("Hat 9/11 das Weltbild und die politischen Befindlichkeiten verändert?")
  • zu erzählen, ob sie unter den Eindrücken des 11. Septembers ihre Zukunft anders gestalten.

Soweit, so verständlich. Doch dann passiert das Angesprochene: Studienteilnehmer, die sich die Zeit nehmen und ihre Eindrücke, Gefühle und politischen Befindlichkeiten zum 11. September im Forum schildern, werden gelöscht, und sie werden reihenweise gelöscht, wenn sie ihre Zweifel an dem offiziellen Narrativ der Anschläge ausdrücken. Nur wenige bleiben stehen.

Folgende Forumsregel wurde aufgestellt:

Forumsregeln

Wir bitten um Verständnis dafür, dass dieses Forum nur dem Austausch und der Diskussion des persönlichen Erlebens von 9/11 in Deutschland dient. Wir bitten Euch, für andere Interessen (z.B. politische Bewertungen) andere, einschlägige Foren zu verwenden und behalten uns vor, sachfremde Beiträge wegen Regelverstoßes von unserem Forum zu entfernen.

Zur Erinnerung: In der Presseerklaerung heißt es:

Hat 9/11 das Weltbild und die politischen Befindlichkeiten verändert?

Unter der Rubrik "Grundlegende Informationen" ist außerdem zu lesen:

Wir laden Euch ein, Eure Erinnerungen und Erfahrungen zu den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 zu teilen und darüber zu diskutieren, wie Euch 9/11 und seine Folgen geprägt haben. Das Forum wurde zu Forschungszwecken ins Leben gerufen. Es ist Teil eines Forschungsprojekts, in dem die gesellschaftliche Verarbeitung der Terroranschläge vom 11. September 2001 bei den 1971 bis 1981 Geborenen in Deutschland untersucht wird. Die Untersuchung soll einen Beitrag zur bislang noch unerforschten Frage liefern, ob und wenn ja, inwiefern die Anschläge auf das World Trade Center auch in Deutschland zu einem gesellschaftlichen Wandel geführt haben. Sind die Akteure dieses Wandels möglicherweise Mitglieder einer neuen historisch-politischen Generation - der "Generation 9/11"?

Auf derselben Seite steht auch:

Unerwünscht sind ferner "offtopic"-Beiträge: Die Forschungsfragen und Diskussionsanzreize des Projekts richten sich auf die Frage des persönlichen Erlebens und der biografischen Folgen von 9/11, nicht auf Spekulationen oder Zweifel hinsichtlich der Täterschaft oder des Tathergangs.

Interessant ist, dass hier nur noch auf "persönliches Erleben" und "Biographie" eingegangen wird, nicht mehr auf die "politischen Befindlichkeiten" oder die "historisch-politische Generation".

Die Scheu vor einem verschwörungstheoretischen Kontext

Die hier angeführten Aussagen der Studienmacher verdeutlichen das Dilemma. Die Studienmacher möchten erforschen, wie eine Generation911 möglicherweise aussieht, was sie denkt, was sie bedrückt, wie ihre politischen Befindlichkeiten sind usw. Doch eines möchte man auf keinen Fall: Mit der Studie in verschwörungstheoeretische Hoheitsgewässer abdriften. Also baut man Einschränkungen ein, die dem eigenen explizit artikulierten Erkenntnisinteresse entgegenstehen. Die Situation erinnert an einen Autofahrer, der im schnellen Wechsel auf Gaspedal und Bremse tritt und sich dann beschwert, weil er nicht ruckelfrei nach vorne kommt. Sollte die Studie der Universität Duisburg-Essen, deren Motto "Offen im Denken" ist, nicht entsprechend neu justiert werden, ist anzunehmen, dass sie weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben wird.

Bis jetzt wurde deutlich, dass das Forschungsprojekt Generation911 einer gesellschaftskritischen Wissenschaft kaum zuträglich war. Als Wissenschaftler und insbesondere als Soziologe, sollte man in der Lage sein, seinen eigenen Wahrnehmungs-, Denk-, und Handlungsschemata (wie es der französische Soziologe Pierre Bourdieu formulierte) zu hinterfragen, um bei seiner Forschung das eigene Denken nicht von den negativen Konnotierungen eines Begriffs wie "Verschwörungstheorien" gängeln zu lassen. Wer in einem Forschungsprojekt wie Generation911 bewusst die verschwörungstheoretischen Befindlichkeiten seiner Zielgruppe auszuklammern versucht, dokumentiert nur, wie diskutabel das eigene Verständnis von ergebnisoffener Forschung sein muss. Eine Wissenschaft, die sich Denkverbote zu eigen macht, darf sich nicht beschweren, wenn sie der Kritik ausgesetzt wird.

Das Phänomen der Verschwörungstheorien im Kontext 11. September aufzunehmen, heißt schliesslich noch lange nicht, dass man ihnen inhaltlich zustimmen muss. Hier wäre eine Wissenschaft gefragt, die unbequem ist, die sich nicht scheut, den Weg des wissenschaftlichen Mainstream zu verlassen, eine Wissenschaft, die den Mut hat, ihrer eigentlichen Tradition verpflichtet zu sein.

Doch gestandene Professoren scheinen hierbei lieber jüngeren Kollegen den Vortritt zu lassen, die bereits einige Schritte weiter sind. Verschwörungstheorien werden von ihnen nicht schlicht als "falsches Wissen" betrachtet, sondern in einer konstruktivistischen bzw. wissenssoziologischen Perspektive als heterodoxe Überzeugungssysteme verstanden, die erst durch gesellschaftlicher Zuschreibungsprozesse als Verschwörungstheorien (also "falsches Wissen") klassifiziert werden.

Die Studienmacher hatten den großen Wurf vor: Das Herausfiltern einer Generation911. Aber eine Generation911, die möglicherweise sich vor allem durch einen verschwörungstheoretischen Zweifel ausdrückt, scheint nicht ins Bild der angestrebten Forschung zu passen. Die Gründe kann man sich denken: Wem es als Wissenschaftler gelingt, in einer Studie eine Generation911 in Deutschland herauszuarbeiten, möchte sich sicherlich nicht mit seinen Forschungsergebnissen zurückhalten. Bei der Vorstellung eines solch großen Projekts sollte tunlichst jedoch nicht das Wort Verschwörungstheorie fallen, denn das schließt rasch die Türen zu den Vorhöfen der mainstreammedialen Öffentlichkeit und wahrscheinlich auch die Türen der Anerkennung in der wissenschaftlichen Community.

Die Beobachter werden zu Beobachteten

Wer sich heute die Webseite Generation911 anschaut, wird feststellen, dass wenigstens einige Beiträge mit verschwörungstheoretischen Bemerkungen die "Säuberungsaktion" überstanden haben. Doch das anfängliche Leben, das im Forum zu erkennen war, ist, bis jetzt zumindest, gewichen.

Immerhin: Den Projektverantwortlichen kann man nicht vorwerfen, Angst vor neuen Wegen zu haben. Mit dem Schritt, ihre Studie mit Hilfe des Internets zu erarbeiten, sind Ullrich und Schiek nun wirklich am Puls der Zeit. Was sie offensichtlich nicht bedacht haben: Nicht nur werden die Projektverantwortlichen die Studienteilnehmer beobachten, sondern auch die Studienteilnehmer die Projektverantwortlichen. Die Beobachter werden selbst zu Beobachteten. Und schon sehen sie sich mit den "Spielregeln" der eigenen Beobachter konfrontiert.

Die Beobachter aus dem Internet sprechen Schwächen und Kritikpunkte offen an und zwar mit der Erwartung, dass diesen konstruktiv begegnet wird. Wer als Wissenschaftler den Weg ins Netz wählt, um von den Möglichkeiten, die die virtuelle Welt bietet, für seine Forschung zu profitieren, muss sich im Klaren sein, dass im Internet mit reichlich Gegenverkehr zu rechnen ist. Wer als Projektverantwortlicher ein Forum im Internet mit der Erwartungshaltung eröffnet, dass Menschen aus der Netzwelt bei der Studie behilflich sind, darf nicht von den Studienteilnehmer erwarten, dass sie wie Studenten reagieren, die aus Angst vor schlechten Zensuren kuschen. Wer so denkt, hat das Netz noch nichtmal ansatzweise verstanden.

Eine weitere Erkenntnis der Studie könnte demnach sein, dass eine Generation911 sich vielleicht gar nicht so sehr durch "Angst" kennzeichnet, wie es scheinbar als eine Hypothese von der Projektleitung angenommen wird (Auch sie - die Angst - ist ein körperliches Phänomen, das in Amerika die "Generation 9/11" ausmache: "Das Gefühl von Verwundbarkeit und Bedrohung ist sehr ausgeprägt."), sondern vielleicht dadurch, dass die grausamen Anschläge eine Generation haben heranreifen lassen, die mit einem kritischen Denken und Selbstbewusstsein vorherrschenden Meinungen entgegentritt.

Eine Generation911 ist vielleicht eine Generation, die den Wirklichkeitskonstruktionen der großen Medien, aber auch der Politik und Wissenschaft mit kritischer Distanz begegnet und sich nicht vorschreiben lässt, wie ihre Meinung auszusehen hat und wie sie diese zu artikulieren hat.

Doch um wirklich zu erfahren, was eine Generation911 ausmacht, müsste man zunächst eines tun: ergebnissoffen forschen. Nach all den in dem Artikel diskutierten Problemstellen kann man nur zu der Feststellung kommen: Es gibt sehr wahrscheinlich zwei Generationen911: Eine, die länderübergreifend durch ihre Hinterfragung der Terroranschläge vereint ist und eine, die im "Reagenzglas" des Instituts für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen erzeugt wird.