RoPos oder wie sich Handelsformen weiterentwickeln

Hersteller und Handel - ein Missverständnis mit Tradition, Teil 2

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Die alten Erkenntnisse, dass etwas, was nichts oder fast nichts kostet, auch nicht viel wert sein kann, und dass kein Händler etwas zu verschenken hat, sind ganz offensichtlich in weiten Kreisen der Bevölkerung verloren gegangen. Ganz deutlich wird dies auch bei der liebsten Beschäftigung der Deutschen: beim Reisen. Dass Kaffeefahrten nicht auszurotten sind, ist bitter und mag den nachwachsenden Generationen dementer Rentner geschuldet sein. Dass jedoch ernsthaft erwartet wird, über ein Online-Versteigerungsportal eine Urlaubsreise für einen Euro ergattern zu können, erscheint dann doch eine ziemlich makabre Entwicklung.

Reiseportale hin oder her: Einzelne klar definierte Positionen wie Bahn- oder Flugtickets (oder auch standardisierte Übernachtungen) lassen sich online durchaus kostengünstig buchen, sofern man entsprechend Zeit zu Verfügung hat. Allein komplette Reisen mit mehren Personen werden schnell zum Glückspiel. Zeitlich begrenzte Sonder- und Kombinationsangebote muss man kennen, damit man sie online suchen kann. Kein Onlineportal verrät, dass eine minimale Verschiebung eines Reisetermins zu drastischen Einsparungen führen kann. Ein Besuch in einem qualifizierten Reisebüro kann sich da durchaus kostensenkend auswirken - auch wenn dies wie bei den X-Veranstaltern und ihrem Dynamic Packaging nicht gleich erkennbar ist.

Praktisch alle Pauschalreiseanbieter müssen mit dem grundsätzlichen Dilemma leben, dass ihre gedruckten Kataloge vorliegen müssen, bevor absehbar ist, welches Wetter an den Zielorten zu den jeweiligen Terminen herrscht und ob die bei Drucklegung herrschenden wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen noch zutreffend sind. Online-Angebote können hier zu einer dynamischen Anpassung führen.

Nachdem mit Last-Minute-Angeboten und Frühbucher-Rabatten die Rentabilität der Veranstalter offensichtlich nicht wirklich signifikant verbessert werden konnte, kommt mit den sogenannten X-Veranstaltern eine neue Dynamik in den Reisemarkt. Das „X“ rührt daher, dass diese Töchter etablierter Veranstalter fast durchgängig ein „X“ im Namen führen. Im sogenannten Dynamic Packaging werden ad hoc aus verfügbaren Hotelzimmern und Flügen zum Tagespreis günstige Pauschalreisen geschnürt.

Im Gegensatz zu klassischen Pauschalreisen sind jedoch Transfers und Reiseleitung vor Ort teilweise nicht im Paket enthalten. Damit sind die Preise nur bedingt vergleichbar. In Preissuchmaschinen tauchen die Angebote jedoch meist unter den günstigsten auf. Diese Reisepakete lassen sich sowohl online als auch im stationären Reisebüro buchen. Betrug zu Beginn dieser Entwicklung die Verfügbarkeit eines spezifischen Angebots teilweise gerade einmal 30 Sekunden, so lassen jetzt manche Anbieter mit der Möglichkeit, eine Option auf ein bestimmtes Paket einzutragen, dem Kunden wenigsten eine begrenzte Bedenkzeit.

Eine zunehmende Überschneidung von stationärem Handel und Online-Welt zeigt sich inzwischen bei einem immer wichtiger werdenden Kundenkreis, den sogenannten RoPos (Reseach online – Purchase offline). Das sind Kunden, die sich im Netz informieren und sich dann erst an den passenden lokalen Anbieter wenden. Bei Finanzprodukten soll der RoPo-Anteil der Kunden inzwischen schon bei etwa 60% liegen und Patienten vertrauen wohl schon zu 75% erst einmal der Suchmaschine und dann erst ihrem Arzt oder Apotheker. Im Touristik-Bereich soll inzwischen schon fast ein Drittel aller Urlauber zu dieser Kundengruppe zählen - und ihr Anteil scheint im Wachsen begriffen. Die Online-Reiseportale sind also offensichtlich nicht der Tod der klassischen Reisebüros, sondern eher deren Steigbügelhalter. Dummerweise scheinen zahlreiche Reisebürobetreiber diese Entwicklung noch nicht zu kennen oder zu ignorieren.

Ein Vorteil dieser Entwicklung könnte darin liegen, dass sich Kunden vor dem Kauf selbst informieren und im Zweifelsfalle mit konkreten Fragen zu ihrem Händler (oder Arzt) kommen. Das systembedingte Dilemma dieser Entwicklung ist jedoch die bittere Erkenntnis, dass nur noch das wahrgenommen wird, was in der Suchmaschine zu finden ist. „Das kann nicht sein, weil Google dazu keinen Treffer liefert“ ist ein in der Praxis kaum zu widerlegendes Argument.

Dass Hersteller oder zumindest ihre Betriebswirte und Juristen das Internet immer noch am liebsten als kostenloses Prospektverteilungssystem sehen, zeigt sich derzeit am Vorgehen von Sony gegen ein Blog, das tagesaktuell über das Fotosortiment des japanischen Herstellers informiert. Rechtlich wohl nicht in der Position, den Domain Name unterdrücken zu können, bedrängt man die Affiliate-Partner der Seite, die Zusammenarbeit zu beenden. Andere Hersteller sind in diesem Punkt schon deutlich näher an den Möglichkeiten, die das Netz bietet, indem sie gezielt vorab Informationen streuen, um die entsprechende Marktresonanz abzufragen.

Nikon D800 Bild: Nikon.

Wie man bei der Abfrage der Marktakzeptanz jedoch gravierende Fehler machen kann, zeigt das aktuelle Beispiel von Nikon. Bei den hochwertigen DSLR-Modellen aufgrund der Tsunami-Schäden im Werk im japanischen Sendai und der Hochwasserkatastrophe in der Nikon-Werksgruppe im thailändischen Ayutthaya unter massivem Zeit- und Kostendruck hat man offensichtlich den empfohlenen Endpreis zu knapp kalkuliert. Mit dem Beginn der Erstauslieferung ist dies offenbar ins Auge gesprungen.

Nachdem der Wettbewerber Canon an der Preisschraube gedreht hatte, will man nun wohl die vermeintliche Gunst der Stunde nutzen. Auf den britischen Inseln hat man daher die Endverbraucherpreise der drei Modelle D4, D800 und D800E noch schnell um etwa 10% erhöht. Nikon UK sagt, dass sich die Preiserhöhung nur auf ihr Vertriebsgebiet beziehen. Nikon Deutschland kann diese Aussage bisher so nicht bestätigen. Nachdem auch aus den USA erste Preisanpassungen gemeldet werden, dürfte auch auf dem Kontinent die Preisschraube bald angezogen werden.

Kurz vor Ostern hat der japanische Hersteller dem Handel damit ein tolles Osterei ins Netz gelegt. Dass feste Vorbestellungen zum ursprünglichen Preis abgewickelt werden sollen, ist da nur ein geringer Trost. Die Bugwelle der aktuellen Fotoblogs schiebt die Information über das Missgeschick schneller um den Erdball, als Nikon lieb sein dürfte.

Solange Hersteller und Händler nicht verstehen, dass sie im gleichen Boot sitzen, das nicht vom Fleck kommt, wenn jeder in eine andere Richtung rudert, wird sich an der traditionell gewachsenen Situation nichts ändern. Und so ist zu erwarten, dass auf der einen Seite immer mehr Hersteller/Importeure eigene Einzelhandelsgeschäfte entwickeln und Händler weiterhin mit eigenen Handelsmarken aus fernöstlichen Quellen ihr Glück suchen.