Helden des Vor-Videospielzeitalters

Bild: © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators

Als Comics noch schwarzweiß waren, Scheckheftchengröße hatten und die Fantasie und die Träume der Nachkriegs- und Trümmerkinder nach Abenteuer, Freiheit und fernen Welten befeuerten

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Teenies, die in den 50ern oder Anfang der 60er des vorigen Jahrhunderts aufwuchsen, hatten es noch ziemlich leicht. Das mediale Freizeitangebot damals war noch extrem überschaubar. Sie mussten weder twittern und facebooken noch konnten sie zwischen Hunderten von Fernsehprogrammen oder unzähliger digitaler Spielsoftware auswählen.

Überschaubar

Vor gut fünfzig Jahren gab es zunächst nur ein Fernsehprogramm (später auch mal zwei). Erst am späten Nachmittag, nachdem die Hausaufgaben gemacht waren, ging das Programm auf Sendung und dauerte gerade mal zwei Stunden. Zu dieser Zeit hörte man, und das noch in Schwarzweiß, vielleicht gebannt Luis Trinker zu, wie er vom "Rausch" der Berge erzählte, oder man fieberte bei den Abenteuern mit, die Lassie, Fury oder Rin Tin Tin erlebten. Mehr war nicht.

Wer schon etwas älter war, sich für Musik, Hüftschwung und Stars interessierte und vielleicht auch etwas mehr auf sich hielt, der konnte am Kiosk die Zeitschrift "Bravo" für etwas weniger als eine Deutschmark erwerben. Oder sich an jenen Tollheiten erfreuen, die die Füchse "Fix und Foxi" gemeinsam mit oder ohne Wolf "Lupo" Woche für Woche erlebten, die Ende der 50er der Bastei Verlag herausgab.

Kleinformatig

Wer sich diesen "Luxus" nicht gönnen konnte (nicht alle profitierten damals vom so genannten "Wirtschaftswunder" gleichermaßen) oder an derartiger "Literatur" nicht interessiert war, der suchte sein Heil meist bei jener Heftchen-Kultur, die wegen der allgemeinen Papierknappheit anfangs nur in Scheckheftchengröße erschien, knapp zweiunddreißig Seite umfasste und pro Heftchen erst 20, später 30 Pfennige kostete.

Bild: © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators

Erst viel später, Mitte der Sechziger, als die D-Mark auch in den Taschen breiterer Bevölkerungsgruppen zu klimpern begann, gab es auch Hefte im DIN-A4-Format zum Preis von 60 oder gar 80 Pfennig. Die aber waren meist nicht mehr so interessant wie die kleinformatigen Ausgaben, die ihren besonderen Reiz daraus zogen, dass man sie bequem in die Jackentasche stecken oder sie vorteilhaft unter der Schulbank, in Büchern und Schulheften vor den kritischen Augen der Erwachsenen verstauen oder verstecken konnte.

Tauschhandel

Billig war das für damalige Verhältnisse zwar auch noch nicht. Vor allem wenn man bedenkt, dass so ein Kleinheft den Gegenwert von zwei Nusshörnchen oder drei Brötchen entsprach. Verglichen mit US-amerikanischen Comics, mit "Batman", "Superman" und den Disney-Größen aus Entenhausen, waren die 17 mal 7,5 cm großen Piccolos, wie man sie auch nannte, jedoch deutlich preis- und kostengünstiger.

Hinzu kam, dass es schon damals nicht nur eine recht gut entwickelte Tauschkultur unter Kindern und Heranwachsenden gab, ohne dass sich ein vermeintlicher Urheber darüber aufregte und Konsumenten mit Abmahnungsschreiben überschwemmte, sondern auch findige Grossisten, die diese "Schundliteratur", wie die Deutschlehrer die "Heftchen" nannten, in Holzkästen sammelten und sie entweder in Second Hand Manier oder im Tausch zu Pfennigpreisen anboten und sie auf diese Weise weiter unters Jugendvolk brachten.

Zwar hatte dieser Art der Rezeption den großen Nachteil, dass man den Abenteuern seiner Helden nur ungeordnet und scheibchenweise folgen konnte. Eine verpasste Ausgabe bedeutete mithin auch, dass man große Lücken im Wissen um das Schicksal der oder des Helden hatte. Der allgemeinen Begeisterung tat das seinerzeit aber ebenso wenig einen Abbruch wie die Tatsache, dass diese Heftchen mit Ausnahme des Titelblattes allesamt in schwarzweiß oder später zweifarbig in rosa oder blau eingefärbt erschienen.

Insgesamt erreichten die Serien im Schnitt eine Auflage von gut einer Million. Denkt man sich den florierenden Tauschhandel noch dazu, der damals in Nachkriegsdeutschland frei flottierte, dann dürften es Zigmillionen Leser sein, die die Heftchen erreichten. Längst werden die verblichenen Originalreihen oder einzelne Heftchen der Serien wie rohe Eier und zu Großpreisen gehandelt, auf Ebay oder anderen Verkaufsmessen.

Ehrenwerte Helden

Zu diesen Helden, die, was mittlerweile längst vergessen worden ist, jede Woche die Fantasie und die Sehnsucht einer ganzen Nachkriegsgeneration nach Abenteuer, Freiheit und fernen Ländern oder Welten angeregt und mitgeprägt haben, gehörten neben "Tibor, Sohn des Dschungels" und "Nick, dem Weltraumfahrer" vor allem "Sigurd, der ritterliche Held" und "Falk, Ritter ohne Furcht und Tadel", der diesem später auf dem Fuß, aber nicht ganz so erfolgreich, folgte.

Bild: © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators

Besonders Sigurd mit seiner blonden Tolle, im rotem Wams und Kettenhemd, dem in Bodo ein treuer Knappe zur Seite stand, den er erst im Duell besiegt hatte, der ihn aber danach durch dick und dünn begleitete, hatte es den Lesern angetan. Die Figur erschien nicht zufällig als Kopie von Prinz Eisenherz, die aber ins 12. Jahrhundert versetzt und einer isländischen Ausgabe des Nibelungenliedes nachempfunden worden war.

Bild: © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators

Auch wenn das Umfeld und die Zeiträume, in dem diese Comicfiguren sich bewegten, völlig andere waren (Tibor spielte in Afrika, Nick im Weltall, Sigurd im hohen Norden Europas und Falk in den Schweizer Bergen) und sie sich in Haartracht und Kleidung unterschieden, so glichen sich die Protagonisten dieser Reihen doch in ihrer Physiognomie und in dem, was sie taten.

Gleich, ob sie nun Tibor, Falk, Nick oder Sigurd hießen - alle Serienhelden hatten kantige, ziemlich eckige Gesichter. Sie besaßen echte Freunde und Begleiter, die ihnen stets treu zur Seite standen und sich durch eine edle Gesinnung auszeichneten, die sie dazu zwang, den Schwachen zu helfen und das Böse stets zu besiegen.

Ko-Produktion

Erfunden und gezeichnet hatte die Comics allesamt der Zeichner und Autor Hansrudi Wäscher, der lange anonym und unbekannt blieb. Auf den Titelblättern (wie üblich bei Groschenheften) war stets nur der Name des Helden, der Titel, der Preis und die Seriennummer zu lesen. Zu sehen und abgelichtet darauf war eine dramatische Szene aus dem Heftchen, niemals aber der Name des Autors.

Angeregt wurde Wäscher, der lange Zeit in Lugano in der Schweiz lebte und heute bei Freiburg im Breisgau mit seiner Frau seinen Ruhestand genießt, dazu durch den Italiener Augusto Pedrazza, der einst für die Serie "Akim" verantwortlich zeichnete, die Wäscher dann später im Auftrag des Walter Lehning Verlags kurz fortführte.

Der Hannoveraner Verleger war damals bei einem Italienurlaub mit "Akim" und dieser Heftchenkultur in Berührung gekommen und hatte die Rechte dafür erworben. In Wäscher, der sich ebenfalls für diese Form der Kultur sehr begeisterte, fand er dann einen eifrigen Mitstreiter, der diese Ideen zeichnerisch umsetzen wollte und auch konnte.

Harte Arbeit

Wäscher, der sich selbst nie für einen Kunstschaffenden gehalten hat, sondern eher für einen Unterhaltungskünstler, der Werke verkaufen will, muss während all dieser Jahre ein rasantes Arbeitspensum absolviert haben. Schon deswegen konnten seine Zeichnungen keine Kunstwerke sein. Häufig wurde nur die Kleidung, der Wams mit dem Lendenschurz, und die Haarfarbe ausgetauscht. Sowohl die Ästhetik der Bilder und Zeichnungen als auch die intellektuelle Anregung und Anstrengung waren schon wegen der vielen Sprechblasen und Sprachverstümmelungen, die den Zeichnungen beigefügt waren, eher dürftig.

Bild: © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators

Doch 32 Seiten pro Woche bedeuteten für Wäscher mindestens sieben Seiten pro Tag. Und wenn man bedenkt, dass er in den besten Jahren an vier oder gar fünf verschiedenen Heftserien gleichzeitig arbeitete, dann kann man sich ausmalen, was dieser Mann an Schnell- und Akkordarbeit am Schreibtisch geleistet hat. Schließlich unterstand ihm neben der zeichnerischen Umsetzung auch noch die inhaltliche Ausformulierung immer neuer visionärer Abenteuer und Dramaturgien, und das simultan in den unterschiedlichsten Genres, Zeitaltern und Kulturen.

Späte Würdigung

Darum wundert es auch nicht, dass seine Comiczeichnungen bei Kollegen und Kritikern nicht gerade in gutem Ruf standen und ihnen häufig auch "zeichnerische und typologische Primitivität" unterstellt wurden. Noch 1955 nahm, was man sich heute so gar nicht mehr vorstellen kann, die "Bundesstelle für jugendgefährdende Schriften", die damals noch in Bonn ihren Sitz hatte, die Reihen kritisch unter die Lupe und setzte einen Sigurd-Bildband gar auf die Liste jugendgefährdender Schriften.

Erst posthum, nachdem die Serien zum Großteil längst eingestellt und vergriffen waren, fand sein Werk endlich auch die nötige Anerkennung beim Fachpublikum und bei Kollegen. Kurz vor der Jahrtausendwende erhielt der gut siebzigjährige "Meister", wie er von seinen Fans auch gern genannt wird, für seine Comicschöpfungen den verdienten "Deutschen Fantasie-Preis". Und neun Jahre später, als Achtzigjähriger, vom "Internationalen Comic-Salon" in Erlangen auch noch für seine "Pionierleistung" den "Max-und-Moritz-Preis", die bedeutendste Auszeichnung für deutsche Comiczeichner.

Prachtband

Wer sich über das Leben des heute 85-Jährigen, aber und vor allem über diese teilweise in arge Vergessenheit geratene Kultur neu oder wieder informieren will, die damals (neben Karl May, Winnetou und Old Shatterhand natürlich) den Alltag, das Weltbild und die moralischen Werte einer ganzen Generation geprägt hat, der kann das mithilfe eines großformatigen, mehrere Kilo schweren Prachtbandes tun, den der Kleinverleger Hartmut Becker zusammen mit dem Journalisten Andreas C. Knigge jüngst dazu herausgegeben hat.

In diesem über fünfhundert Seiten umfassenden opulent ausgestatteten und bebilderten Buch zeichnet Knigge das Leben Wäschers, die Anfänge der Comics, ihrer Helden und Kultur in Deutschland seit 1953 ebenso nach wie die Hintergründe und Begleitumstände der Entstehung dieser Heftreihen, die erst auf Geheiß des Lehning Verlags, Ende der 60er dann auch vom Hethke Verlag, herausgebracht wurden, der wiederum später das Werk Wäschers ausschließlich betreute und weiterführte.

In dem Werk kommen nicht nur viele Zeitzeugen zu Wort, Frau und Freunde des Zeichners oder der Verlage, sowie Leute, die Wäschers Werk lang begleitet oder auch kritisiert haben. Es werden auch Bilder über Wäscher und seine Jugend präsentiert, die bislang noch nicht zu sehen waren.

Liebhaber am Werk

Was den Band aber erst richtig interessant macht, besonders für alle jene, die mit diesen Helden der Vor-Fernsehzeit und Vor-Videospielzeitära aufgewachsen und sozialisiert worden sind, sind die ausgesprochen gut recherchierten Geschichten über die jeweiligen Serienhelden, die alle einzeln und ausführlich dargestellt und dem Leser so auch nochmals nahe gebracht werden. Allein die Geschichte Sigurds umfasst an die achtzig Seiten.

Danach folgt jeweils eine penibel errichtete Bibliografie, mit Auflistung aller Serien und Hefte, die jemals dazu erschienen sind, mit Angaben der Preise, Größe, Erscheinungsort und -jahr. Angereichert wird das Werk, anders als bei den Originalen damals, mit knallig-farbigen Illustrierungen, die auch wegen ihrer Größe und der gestochen scharfen Darstellung ihresgleichen suchen.

Der Leser merkt sofort, dass die Macher ihre Figuren und Geschichten lieben. Hier waren Liebhaber am Werk, denen es vor allem um die Sache und nicht um den Profit ging. Auf diese Weise ist ein wichtiges Stück deutscher Nachkriegsgeschichte nachbereitet und vergegenwärtigt worden, das Jahrzehnte lang auch von der Forschung verdrängt und so in Vergessenheit geraten ist. Selbst mir, der die Abenteuer von Sigurd und Falk, Tibor und Nick, wenn auch meist in Second Hand und Tausch, gern verfolgt und die Episoden gierig verschlungen hat.

Hartmut Becker sei Dank, dass er dieses wieder in Erinnerung gerufen hat.

Andreas C. Knigge: "Allmächtiger. Hansrudi Wäscher - Pionier der deutschen Comics", Verlag Comics etc, 494 Seiten, 49,90 Euro.

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