"Extreme Downloading" versus Fanfreude im kleinen Kreis

Retroshare bietet interessante Ansätze für Filesharing Communities

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Bis Januar war die Welt der Downloader in Ordnung. Ein Album in mp3-Form war innerhalb weniger Minuten auf der heimischen Festplatte, eine komplette DVD innerhalb von anderthalb bis zwei Stunden. Der Schweizer Anbieter Rapidshare ermöglichte diesen geradezu verführerischen Zugriff auch den sogenannten „Free Usern“, die dort lange Zeit mit beinahe voller Leistung saugen konnten, ohne Anmeldung - von Bezahlung ganz zu schweigen.

Nach der Verhaftung von Megaupload-Betreiber Kim Schmitz reduzierte Rapidshare die Kapazitäten für die nicht angemeldeten User drastisch. Statt mit etwa 800 KB/s ist ein Download nur noch mit 30 KB/s möglich – was bedeutet, dass für eine Datenmenge von 100 MB eine Downloadzeit von etwa einer Stunde veranschlagt werden muss. Dazu kommen die kurzen, zusammengerechnet aber nicht unerheblichen Pausen zwischen den einzelnen Hunderter-Blöcken. Für eine 4,5 GB schwere Film-DVD müsste der Internet-Rechner also mindestens zwei Tage angeschaltet bleiben.

Die bisher denkbar luxuriös gebettete Direct-Download-Szene sitzt also wieder wie zu Napsters Zeiten vor dem Rechner und beobachtet das Schneckenrennen, statt wie bisher hektisch zu versuchen, genügend auf der Festplatte zwischengelagerte Daten rechtzeitig auf Rohlinge zu brennen, bevor der jDownloader die nächste komplette Disco- oder Filmographie ausspuckt. Es wurden tatsächlich Einzelfälle berichtet, in denen DDL-Junkies versuchten, das aufkommende Gefühl seelischer Leere zu bekämpfen, indem sie sich mit den heruntergeladenen Inhalten beschäftigten, statt Musik und Filme lediglich anzuhäufen und zu horten wie Dagobert Duck die geliebten Taler.

Dieser Niedergang der One-Click-Hoster könnte natürlich auch der Neubesinnung dienen. Warum sind die Massen der Filesharer aus Netzwerken wie eMule oder bitTorrent geflüchtet, um DLC-Anbietern wie Rapidshare oder Netload in die Arme zu laufen? Weil professionelle Abmahner nicht mehr nur den initialen Upload eines urheberrechtlich geschützten Werks zur Profitmaximierung nutzten, sondern jede passive Beteiligung an der Verbreitung des Files.

Für halbwegs vorsichtige Downloader verbot es sich also geradezu, weiter in den erwähnten Netzwerken aktiv zu sein, da die Clients nur einen steten Upstream vom eigenen Rechner aus mit einer vernünftigen Download-Leistung belohnten - außer man entschied sich für die ehrlose Leecher-Variante und brachte eine den eigenen Upstream vollständig blockierende Variante des jeweiligen Clients zum Einsatz. Das eine zunehmende Verbreitung dieser Mods letzten Endes für die stete Verschlechterung der auf dem Nehmen/Geben-Prinzip beruhenden Filesharing-Netzwerke sorgen würde, lag auf der Hand.

Da kamen die One Click Hoster gerade recht; schließlich war hier von vornherein kein Upstream gefragt. Zügig entstand eine Art digitales Schlaraffenland aus „Direct Download Links“, die jeden User in die Lage versetzten, mit ein wenig googeln auch noch die obskurste 1960er Garagenrock-Platte oder den bizarrsten 1974er Gruselporno von Jess Franco zu entdecken und binnen kürzester Zeit „sein eigen“ zu nennen, von vergleichsweise verbreiteten Kulturschöpfungen ganz zu schweigen. Diese Zeiten scheinen für Free User endgültig vorbei; auch die aktuelle Rechtssprechung verheisst nichts Gutes.

Mit Retroshare befindet sich jedoch derzeit ein Client in der Testphase, der großes Potenzial zu haben scheint. Programmierer DrBob (sic!) erklärt die Zielsetzung in einem Interview: „Wir möchten das bestmögliche private Netzwerk erstellen. Damit die Leute miteinander chatten können, Links und Dateien austauschen können, anonym in Foren schreiben, Aktivitäten gemeinsam planen, Dokumente ändern können und so weiter. Also eigentlich alles, was man in den bestehenden sozialen Netzwerken tun kann - aber mit Wahrung der Privatsphäre. Alles was wir im Internet tun, wird von Marketingfirmen und sozialen Netzwerken ausgewertet. So muss es nicht sein. Man sollte in der Lage sein, sich wirklich privat auszutauschen. Und dieses Programm zeigt, dass es möglich ist.“

Retroshare erzeugt für jeden Anwender beim ersten Start einen Schlüssel, der dann, in der Regel per eMail, zwischen einzelnen Usern ausgetauscht wird. Die beiden Parteien können nun serverlos und verschlüsselt miteinander kommunizieren. Auch ein uneingeschränkter Dateiaustausch ist auf diese Weise möglich - zwischen Teilnehmern, die sich gegenseitig als Freunde bestätigt haben, wohlgemerkt. Der Uploader eines Files entscheidet selbst, ob er die Datei nur seinen Freunden oder aber auch deren Freunden, Freundesfreunden usw. zur Verfügung stellt. Entscheidet er sich für die zweite Möglichkeit, werden die Datenmengen ausschließlich von Freund zu Freund weitergeleitet, bis sie ihren Empfänger erreicht haben. Auch die als Zwischenstationen des Datentunnels fungierenden Teilnehmer können dabei nicht ersehen, woher die Datei ursprünglich kommt und wohin sie letzten Endes geht.

Retroshare ist damit zumindest für bereits bestehenden Filesharing-Communities sehr interessant. Gruppen, die nicht zwangsläufig und ausschließlich möglichst große Datenmengen auf die Festplatten schaufeln wollen, sondern auch mit ähnlich interessierten Zeitgenossen kommunizieren wollen, können dabei nicht nur diskret chatten und tauschen, sondern über die Foren- und Kanalfunktionen auch die bisher im WWW zu findenden und deshalb risikoanfälligen Boards als wirklich private Räume betreiben. Die ersten Torrent-Klans sind bereits bei Retroshare aktiv.

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