Druck auf Russlands Homosexuelle nimmt zu

Die russische Duma berät ein Gesetz, welches die Werbung für Homosexualität unter Strafe stellt. Die Gesetzes-Initiatoren sehen sich als Retter der europäisch-christlichen Kultur

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Nachdem vier russischen Regionen Gesetze gegen die "Werbung für Homosexualität" verabschiedet haben, liegt seit Mittwoch ein entsprechender Gesetzentwurf der Duma vor, der "die öffentliche Darstellung von Homosexualität als normales Verhalten" landesweit unter Strafe stellen soll. Der Gesetzentwurf wurde vom Gebietsparlament Nowosibirsk eingebracht.

Gegendemonstrant beim Gay Pride Protest 2007. Bild: U. Heyden

Nach dem Gesetz, welches landesweit gelten soll, müssen Privatpersonen, welche sich strafbar machen, umgerechnet 128 Euro zahlen. Amtspersonen müssen mit Strafen von bis zu 1.280 Euro und juristische Personen mit Strafen von 12.820 Euro rechnen.

Ein ähnlicher Gesetzentwurf war 2009 von der Duma abgelehnt worden. Doch fühlen sich die konservativen Kräfte stärker. Die Parlamente der Regionen Rjasan, Archangelsk, Kostroma und St. Petersburg haben in den letzten Jahren Gesetze verabschiedet, welche die Werbung für Homosexualität verbieten. Führende Politiker, wie die Föderationsratsvorsitzende Walentina Matwijenko und der russische Außenminister Sergej Lawrow, habe die Gesetzesinitiative, die der Duma vorliegt, unterstützt.

Angst vor alten Zeiten

Beobachter fürchten einen Rückfall in sowjetische Zeiten. Zwar betonen die Initiatoren der Anti-Homo-Gesetze, ihnen gehe es nur um den Schutz der Jugend, Erwachsenen könnte man in ihr Liebesleben nicht reinreden, doch Beobachter befürchten, dass das Gesetz Schnüffelei und Hexenjagd Tür und Tor öffnet. Die Situation homosexueller Paare, die ein Kind großziehen, werde mit dem neuen Gesetz noch schwieriger.

Eine öffentliche Debatte über Homosexualität gibt es in Russland bisher nur in Ansätzen. Als Prellbock gegen jegliche Neuerung erweist sich die russisch-orthodoxe Kirche. In den 1990er Jahren hatten die Kirchenoberen erfolgreich jede Aids-Aufklärung in der Moskauer U-Bahn verhindert. Ausstellungs-Kuratoren wurden wegen einer Kirchen-kritischen Kunst-Ausstellung 2010 zu Geldstrafen verurteilt.

In der Sowjetunion kamen Tausende Homosexuelle ins Gefängnis. 1922, wenige Jahre nach der Oktoberrevolution, wurde die Homosexualität zwar legalisiert, doch 1934 wurde die Schrauben wieder angezogen. Auf Anweisung Stalins wurde ein Gesetz gegen männliche Homosexualität verabschiedet, welches Mindeststrafen von drei bis fünf Jahren vorsah. Erst 1993 wurde das Verbot von Sex zwischen männlichen Erwachsenen aus dem russischen Strafgesetzbuch gestrichen. Der Grund war aber kein Sinneswandel in der Gesellschaft, wie LGBT-Aktivist Nikolaj Aleksejew erklärt. Russland wollte unbedingt in den Europarat, was nur mit einer Streichung des Anti-Homo-Gesetzes zu machen war.

"Homosexuelle Informationslawine"

Die Initiatoren des Anti-Homo-Gesetzes im russischen Unterhaus behaupten nun, Homosexualität sei in Russland durch Propaganda in den Massenmedien bereits "zur Verhaltensnorm geworden". Kinder und Jugendliche seien gegen die "Informationslawine, die täglich auf sie niedergeht", nicht geschützt.

Der Aktivist der russischen LGTB-Bewegung, Igor Kotschetkow, meinte gegenüber der Internetzeitung gazeta.ru, das geplante Gesetz bedeute "faktisch ein Verbot auf Information". Wenn die Kinder nicht über sexuelle Beziehungen aufgeklärt werden, könnten sie Opfer von sexueller Gewalt und Ausbeutung werden. Falls die Duma das Gesetz annehme, werde man gerichtlich dagegen vorgehen und notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

Mit der Schnüffel-Kamera auf Madonna-Konzert

Initiator des Anti-Homo-Gesetzes in St. Petersburg - welches die Werbung für Homosexualität und Pädophilie unter Strafe stellen will - war Witali Milonow. Der Abgeordnete gehört der St. Petersburger Duma-Fraktion der Kreml-Partei Einiges Russland an. Milonow hat sich jetzt damit gebrüstet, er werde zusammen mit Vertretern der russisch-orthodoxen, der katholischen und muslimischen Kirche das Madonna-Konzert am 9. August in St. Petersburg besuchen und Videoaufnahmen von dem Geschehen auf der Bühne machen.

Außerdem forderte der Abgeordnete die Staatsanwaltschaft auf, ein Konzert der deutschen Band Rammstein, welches vor einem Monat in St. Petersburg stattfand, auf Werbung für Homosexualität zu untersuchen. Rammstein, das sei "eine Geschmacksache", sagte der Abgeordnete gegenüber der Moscow Times. Wenn aber auf der Bühne erotische Szenen zwischen Männern gezeigt werden, müsse man Jugendlichen unter 18 Jahren den Besuch so eines Konzertes verbieten.

Der Abgeordnete Milonow sieht sich selbst als Retter der europäisch-christlichen Kultur. Die Väter dieser Kultur, wie Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, wären "entsetzt", wenn sie sähen, was heute als "Norm" gelte. Der selbsternannte Kämpfer für die Rettung der christlichen Kultur in Russland warf dem LGTB-Aktivisten Nikolai Aleksejew vor, er arbeite mit seinem Protest gegen das neue Gesetz in St. Petersburg nur die Gelder ab, die er aus dem Ausland erhalte. Aleksejew kündigte an, seine Reputation vor Gericht zu verteidigen und gegen Milonow zu klagen.

Madonna kommt trotzdem

Die bekannte russisch-amerikanische Journalistin Mascha Gessen hatte Madonna aufgefordert, das Konzert in St. Petersburg aus Protest abzusagen. Auch LGTB-Aktivist Nikolaj Aleksjew hat das geplante Konzert kritisiert. "Das Gesetz bleibt in Kraft, Madonna fährt weg und die russische LGTB-Gemeinschaft wird noch mehr gequält." Madonna aber verdiene mit ihrem Konzert aber "Millionen".

Die Sängerin erklärte auf ihrer Facebook-Seite, sie werde wie geplant in St. Petersburg auftreten, um Solidarität mit denen zu zeigen, die in Russland für die Rechte der sexuellen Minderheiten kämpfen. Während ihrer Show werde sie auch über das neue Gesetz ("diesen absurden Unsinn") sprechen.