Irankrieg: Russen warnen vor horizontaler Eskalation

Einige Auguren wollen wissen, ein israelischer Luftschlag stehe noch in diesem Jahr bevor. Neue Informationen über eine Verwicklung von Aserbaidschan in die Kriegsplanungen bestätigen diese Befürchtungen

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Für ihren beabsichtigten Angriff auf die iranischen Atomanlagen stehen der israelischen Luftwaffe (Heyl Ha'Avrir) über hundert Kampfflugzeuge zur Verfügung - die Boeing F-15I Ra'am mit einer maximalen Reichweite von 5.745 km und die F-16I Sufa, die unbeladen 3.200 km weit fliegen kann. Aber wenn die Maschinen mit Bomben und Raketen schwer beladen werden, verringert sich die Reichweite entsprechend (Kaum Chancen für den Frieden). Bis heute konnten die israelischen Experten das Reichweitenproblem technisch nicht lösen, da die Entfernung Tel Aviv-Teheran immerhin 1.590 km beträgt, in der Angriffsplanung muss die doppelte Entfernung für Hin- und Rückflug einkalkuliert werden.

Um ihre Kriegsplanung dennoch voranzubringen, plant die israelische Regierung im Angriffsfall ausländische Militärstützpunkte zu nutzen. Zur Auswahl stehen Militärbasen in den früheren Republiken der Sowjetunion, insbesondere in Aserbaidschan. Hier könnten die Flugzeuge auf dem Rückflug nach einem Angriff (!) einfach eine Zwischenlandung einlegen, um aufzutanken. Damit würde sich die Flugstrecke, die die Flugzeuge ohne Pause zurücklegen müssten, nahezu halbieren, so dass die Flugzeuge im Umkehrschluss fast die doppelte Waffenlast einsetzen könnten.

F-15I Ra'am der israelischen Luftwaffe. Bild: U.S. Air Force

Schon im Dezember 2006 hatte der israelische Brigadegeneral Oded Tira dies gefordert: "We should also coordinate with Azerbaijan the use of airbases in its territory." Wie die Zeitschrift Foreign Policy am 28. März 2012 meldete, hat die israelische Regierung diesbezüglich Verhandlungen mit der aserbaidschanischen Regierung in Baku aufgenommen. Neben vier Luftstützpunkten der aserbaidschanischen Luftwaffe (Baku Kala, Ganja, Kyurdamir und Nasosnaya) gibt es im Lande noch vier ungenutzte Fliegerhorste aus Sowjetzeiten, die nun als mögliche Einsatzbasis der Israelis in Frage kämen: Dollyar, Nakhichevan, Sanqacal und insbesondere Sitalcay am Kaspischen Meer.

In diesem Zusammenhang ist aufschlussreich, dass die Modernisierung der zivilen und militärischen Flughäfen in Aserbaidschan in den letzten Jahren insbesondere durch israelische Firmen durchgeführt wurde. Außerdem könnten die israelischen Streitkräfte dort eine SAR-Helikoptereinheit bereithalten, um eventuell abgeschossene Piloten vor einer Gefangennahme zu bewahren. Dies würde aber voraussetzen, dass die Hubschrauber kurzfristig nach Aserbaidschan verlegt werden könnten.

F-16I Sufa der israelischen Luftwaffe. Bild: MathKnight. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Schon länger hat die iranische Regierung das Regime des mafiösen Autokraten Ilham Aliyev in Verdacht, als geheime Einsatzbasis für die israelischen Geheimdienste (Mossad und Aman) und den israelischen Abhördienst (Shmone Matayim) zu fungieren. Aus Teheran heißt es, die Regierung in Baku würde es zulassen, dass Mossad-Agenten von Aserbaidschan aus den Iran infiltrieren um Atomwissenschaftler umzubringen.

Außerdem dient Aserbaidschan wahrscheinlich schon heute als Startbasis für Aufklärungseinsätze israelischer Dronen. Der Verdacht kam auf, als am 12. September 2011 eine Drohne israelischer Bauart mit aserbaidschanischen Hoheitszeichen von der russischen Flugabwehr über der Provinz Nagorny-Karabach abgeschossen wurde. Es war zum damaligen Zeitpunkt gar nicht bekannt gewesen, dass die aserbaidschanische Luftwaffe über ein solches Aufklärungssystem überhaupt verfügte. Bis heute ist ungeklärt, ob die Drohne damals auf dem Weg zu einem Einsatz im Iran war.

Die jüngsten Spannungen zwischen Aserbaidschan und Iran sind der aktuelle Ausdruck für die Verschlechterung der bilateralen Beziehungen in den letzten Jahren. So stellen die Aseris 95 Prozent der 9,2 Millionen Einwohner Aserbaidschans, während gleichzeitig rund 20 Millionen Aseris im Nordiran leben; sie stellen rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung und sind damit die größte Minderheit. Außerdem gibt es Streit um die Grenzziehung im ölreichen Kaspischen Meer.

Auf der anderen Seite konnten Aserbaidschan und Israel ihre bilateralen Beziehungen in den letzen Jahren weiter ausbauen: Israel ist der zweitgrößte Abnehmer der aserbaidschanischen Ölindustrie über die Baku-Tibilisi-Ceyhan-Pipeline. Außerdem beliefert Israel die Regierung in Baku mit Waffensystemen. Im September 2011 sagten die Israelis eine Lieferung von 60 Drohnen der Typen Orbiter 2M und Aerostar zu. Erst kürzlich, am 26. Februar 2012, unterzeichneten beide Seiten einen Vertrag zur Lieferung von Aufklärungsdrohnen und Luftabwehrraketen in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar durch die Israel Aerospace Industries. Mit diesen Waffenlieferungen unterläuft die aserbaidschanische Regierung das Waffenembargo, das die OSZE wegen des andauernden Konfliktes zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Region Berg-Karabach verhängt hat. In den letzten drei Jahren hat Aserbaidschan seine Militärausgaben verdoppelt.

Sollte sich die aserbaidschanische Regierung tatsächlich an einem israelischen Angriff auf den Iran direkt oder indirekt beteiligen, ist mit einem iranischen Vergeltungsschlag gegen aserbaidschanische Ziele zu rechnen. Das wäre dann die befürchtete regionale Ausweitung des Krieges.

Vorwärtsdislozierung der USA in anderen ex-Sowjetrepubliken?

Nicht nur in Aserbaidschan, auch in Kirgisien könnte eine Militärbasis für einen Angriff auf den Iran missbraucht werden: Sollten sich die US-Streitkräfte an einem solchen Militärschlag beteiligen, könnten sie dazu möglicherweise den Fliegerhorst Manas bei Bischbek nutzen. "Es ist nicht auszuschließen, dass dieses Objekt in einem potenziellen Konflikt mit dem Iran genutzt wird", erklärte am 22. Februar 2012 der Sprecher des russischen Außenministeriums Alexander Lukaschewitsch.

Die amerikanischen Streitkräfte sind seit 2001 auf der kirgisischen Basis disloziert, um ihren Einsatz Enduring Freedom in Afghanistan logistisch zu unterstützen. Der entsprechende Nutzungsvertrag läuft 2014 aus. Der neue kirgisische Präsident Almasbek Atambajew setzt sich für eine möglichst schnelle Schließung der Basis ein, da er befürchtet, im Falle eines Irankrieges könnte sein Land in den Konflikt hineingezogen werden.

Außerdem gibt es Spekulationen auf russischer Seite darüber, ob im Falle eines US-Angriffs auf den Iran auch Georgien den Amerikanern die Nutzung von Militärstützpunkten erlauben würde.

In beiden Fällen würde es der Regierung in Moskau sicherlich gar nicht gefallen, wenn die US-Streitkräfte ex-sowjetisches Territorium nutzen würden, um ein Nachbarland zu überfallen.

Regionale Destabilisierung

Bei den Kriegsplanungen geht es sicherlich nicht nur um die Zerstörung der iranischen Atomanlagen, weil die Perser angeblich an einer Atombombe herumbauen; im Falle eines Irankrieges geht es auch um ein "Regimewechsel" in Teheran und die Verfügungsgewalt über die iranischen Rohstoffvorkommen.

Außerdem befürchtet die russische Regierung, dass ein Angriff auf den Iran die Konflikte in den Nachbarstaaten anheizen und so ein Flächenbrand entstehen könnte. Schließlich ist die ganze Region durch die zahlreichen Kriege und ungelösten Konflikte der letzten Jahrzehnte ein Pulverfass, das jederzeit durch einen Funken zur Explosion gebracht werden könnte. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach in diesem Zusammenhang von einer drohenden "Kettenreaktion": "Ich weiß nicht, wo diese stoppen würde," warnte der Minister.

In Moskau denkt man dabei vor allem an das transkaukasische Gebiet der früheren Sowjetunion, das an den Nordiran unmittelbar angrenzt: In Georgien gibt es die Konflikte um die abtrünnigen Unruheprovinzen Abchasien und Südossetien, die 2008 zu einem georgisch-russischen Krieg geführt haben. Das Verhältnis zwischen Armenien und der Türkei ist traditionell getrübt. Das Gebiet Nagorny-Karabach hat sich Anfang der neunziger Jahre von Aserbaidschan abgespalten, um sich langfristig mit Armenien zu vereinigen. Durch diesen Konflikt wiederum wurde das Gebiet Nachitschewan von Aserbaidschan geographisch abgespalten und bildet heute eine autonome Enklave. Ein Waffenstillstand vom 12. Mai 1994 konnte den Konflikt nur scheinbar eindämmen. Weiter nördlich schwelen die ethnonationalen Konflikte um Tschetschenien und Dagestan.

Die russische Regierung befürchtet im Falle eines Irankrieges eine "horizontale Eskalation":

Präventivschläge der Armee Aserbaidschans gegen Armenien und Bergkarabach mit dem Ziel, den Gebietsstreit endlich für sich zu entscheiden, sind durchaus möglich. (...) Wenn Aserbaidschan vor dem Hintergrund eines Krieges im Iran mit Unterstützung der Türkei Armenien überfällt, wird Russland natürlich alle Luftangriffe auf Armenien mit Hilfe der armenischen Fla-Kräfte abwehren. (...) Schwer zu sagen, ob dies als eine Beteiligung Moskaus an den Kampfhandlungen gelten wird. Zweifellos werden russische Truppen nicht an etwaigen Kampfhandlungen auf dem Territorium von Bergkarabach teilnehmen. (...) In der ungünstigsten Variante, wenn Teheran eine totale militärische Niederlage als Folge einer Invasion von US- und Nato-Truppen in den Iran drohen würde, könnte ihm Russland militärische Hilfe erweisen, zumindest auf militärtechnischer Ebene". erklärte dazu der russische Oberst Wladimir Popow.

Die russischen Regierungsvertreter haben wiederholt darauf hingewiesen, dass ein Irankrieg die nationalen Sicherheitsinteressen unmittelbar berühren würde. So erklärte Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow am 20. März 2012: "Das Spektrum der Bedrohungen für die militärische Sicherheit Russlands hat sich im zurückliegenden Jahrzehnt erweitert. (...) Die Tendenz zur Eskalation von Spannungen an unseren Grenzen vergrößert das Risiko einer Einbeziehung Russlands in verschiedene militärische Konflikte." Der damalige russische Botschafter bei der NATO und jetzige Vizepremier Dmitri Rogosin wurde am 13. Januar 2012 noch deutlicher: "Wenn etwas mit dem Iran passiert, wenn er in Kampfhandlungen, welcher Art auch immer, verwickelt wird, wird das unsere Sicherheit unmittelbar bedrohen."

Vielleicht übertreiben die russischen Politiker, vielleicht spielen sie aber auch ein doppeltes Spiel. Im Windschatten eines Irankrieges, wenn die US-Streitkräfte durch die laufenden Militäroperationen gebunden sind, könnten die Regierung in Moskau versucht sein, ihre eigenen machtpolitischen Interessen im Transkaukasus durchzusetzen.

Mittlerweile befürchtet auch die US-Regierung durch einen israelischen Angriff auf den Iran in einen länger andauernden Krieg hineingezogen zu werden. Dies ist das Ergebnis eines "Wargames" der Internal-Look-Serie, das das US Central Command COMMAND kürzlich durchgeführt hat (Wargame im Pentagon über die Folgen eines israelischen Angriffs auf iranische Atomanlagen). Die "New York Times" berichtete dazu am 19. März 2012: "A classified war simulation held this month to assess the repercussions of an Israeli attack on Iran forecasts that the strike would lead to a wider regional war, which could draw in the United States (...)."

Russische Truppenverlegungen

Während sich die westliche Öffentlichkeit in den letzten Monaten und Jahren mit der Frage beschäftigte, ob es eindeutige Beweise für ein iranisches Atomwaffenprogramm gibt oder nicht, haben die russischen Streitkräfte "klammheimlich" ihre Truppen im so genannten Militärbezirk Süd zusammen gezogen: "Im militärischen Bereich hat die Vorbereitung Russland auf eine Verringerung der Verluste infolge von Militäroperationen gegen Teheran vor mehr als einem Jahr begonnen. Nun ist sie faktisch abgeschlossen", berichtete die Zeitung "Nesawissimaja Gaseta" bereits am 15. Dezember 2011.

Für die zunehmende Militärpräsenz gibt es verschiedene, sich überschneidende Gründe: die Bekämpfung islamistischer Freischärler in Nordkaukasus, eine mögliche Eskalation im Georgienkonflikt oder Berg-Karabach-Konflikt und ein drohender Irankrieg quasi vor der russischen Haustür. Für diesen Fall will man auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.

"Die um Syrien und den Iran entstehende geopolitische Situation zwingt Russland zu einer beschleunigten Vervollkommnung seiner militärischen Gruppierungen in Transkaukasien, am Kaspischen Meer sowie in den Regionen des Mittel- und des Schwarzmeeres", so die russische Nachrichtenagentur Nowosti am 15. Dezember 2011.

So wurden der strategisch wichtige 102. Militärstützpunkt in Gjumri (Armenien) verstärkt. Desgleichen wurden die russischen Militärbasen in Abchasien und Südossetien ausgebaut. Zwei Spezialeinheiten bezogen Stellungen in Stawropol und Kislowodsk (Nordkaukasus). 30.000 Soldaten wurden nach Dagestan verlegt. Außerdem wurden die russischen Bodentruppen in Südossetien und Abchasien und die Schwarzmeerflotte bereits in erhöhte Gefechtsbereitschaft versetzt. Die Schiffe der kaspischen Flotille wurden nach Machatschkala zusammengezogen. Gleichzeitig evakuierte man die Familienangehörigen der Soldaten. Allerdings können die russischen Einheiten in Armenien zur Zeit nur noch auf dem Luftweg oder über den Iran versorgt werden, da Georgien im April 2011 den Transit von russischen Militärgütern untersagt hat.

Die russischen Militärs schwadronieren schon darüber, dass durch einen Angriff auf den Iran diese letzten Versorgungswege zu ihren Truppen in Armenien zusammenbrechen könnten. Es heißt, in diesem Fall wäre man gezwungen zu handeln, so, als wolle man sich selbst schon vorab einen Persilschein für eigene Militäroperationen ausstellen.

Außerdem ist für September 2012 ein Großmanöver geplant. Die Übung KAUKASUS-2012 wird sich über das Territorium von Südrussland, Abchasien, Südossetien und Armenien erstrecken. An dem diesjährigen Manöver werden nicht nur das Heer, die Luftwaffe, die Marine und die atomaren Raketentruppen teilnehmen, sondern auch der zivile Katastrophenschutz, die Polizeikräfte des Innenministeriums und der Inlandsgeheimdienst FSB. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Nowosti "werden die Übungs- und Kampfaufgaben auf mögliche Konflikte im Raum des kaspischen Meeres und des Südkaukasus zugeschnitten sein, vor allem auf einen eventuellen Krieg der USA und anderer Staaten gegen den Iran".

Der Zeitpunkt für das Manöver spricht dafür, dass man in Moskau offenbar der Auffassung ist, dass es vor einem Ende der Olympischen Sommerspiele in London (27. Juli bis 12. August 2012) nicht zu einem israelischen Angriff kommen wird. Sollten die israelischen Streitkräfte aber im September angreifen, könnten die russischen Streitkräfte aus der Manöverlage heraus zu "echten" Militäroperationen übergehen.

Derweil haben die Mitgliedsstaaten der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) ihre gegenseitigen Konsultationen verstärkt. Dabei ging es u. a. um die Lenkung von möglichen Flüchtlingsströmen aus dem Iran. Der genannte Vertrag war am 15. Mai 1992 zwischen den früheren Sowjetrepubliken Russland, Weißrussland, Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan unterzeichnet worden.

"Ein Krieg ist kein Picknick", bekannte der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak im November 2011, dennoch müssen die Israelis aufpassen, dass sie am Ende nicht das kleine Würstchen in einem großen Krieg sind.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit