Durchs Studium bis zum Grab verschuldet

Studienkredite seien "gerecht", meint FDP-Spitzenkandidat in NRW, in den USA wächst der Teil der Menschen, die noch in hohem Alter die Verschuldung durch Studiendarlehen vor sich herschieben

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Studiengebühren gibt es in Deutschland nur noch in Bayern und Niedersachsen. Das schwarz-gelbe Projekt ist schnell wieder eingedampft worden, zumal es grundsätzlich an der Finanzmisere der universitären Bildung nichts ändert und vor allem Studenten aus ärmeren Schichten belastet, die deswegen noch mehr Jobs abdienen oder Studentendarlehen aufnehmen mussten, die sie dann noch Jahre nach dem Ende des Studiums belasten, während Studenten aus reicheren Familien im buchstäblichen Sinne unverschuldet in die Zukunft schauen können.

Müssen Studenten Kredite etwa bei der KFW aufnehmen, um ihr Studium zu finanzieren, sind sie über Jahrzehnte dadurch teils schwer belastet. So hat die Bundesregierung 2006 auf eine Anfrage der Grünen hin ausgerechnet, dass bei dem damals gegebenen Zinssatz von 5,95 Prozent einiges zusammenkommt:

Unter den genannten Prämissen (490 Euro monatlicher Darlehensbetrag, 14 Semester Auszahlungsphase, kein Zinsaufschub, 18 Monate Karenzzeit und 25 Jahre Rückzahlungsphase) ergibt sich eine Rückzahlungssumme von 91 885,56 Euro. Die monatliche Annuität (Zinsen + Tilgung) würde 265,43 Euro betragen.

Bei der KFW laufen Studienkredite übrigens unter dem Oberbegriff der "Wissenskredite". Der Zinssatz ist variabel oder, zu schlechteren Bedingungen, mit einer wählbaren Zinsbindung. Wählt man variabel liegt der Zinssatz derzeit bei 3,69 Prozent und kann bis zum Höchstzinssatz von 8,61 Prozent hochgeschraubt werden. Legt man den Zinssatz auf 10 Jahre fest, ist man mit 4,93 Prozent dabei.

Noch ein aktuelles Beispiel. Nimmt ein Student einen Kredit mit einem Darlehensbetrag von 500 Euro monatlich für 10 Semester mit einem variablen Nominalzinssatz von 3,69 % (Effektivzins p.a. variabel 3,83 %), dann muss er mit der Darlehenssumme von 30.238, 00 Euro 16.999,96 Euro an Zinsen zurückzahlen. Bei einer Tilgungsphase von 240 Monaten (20 Jahren) müssen monatlich nach dem Studium 178,34 Euro entrichtet werden, wenn der Zinssatz ansteigt, sind es entsprechend mehr. Gegenüber den Studenten, deren Familie das Studium finanzieren kann, ist das ein erheblicher Nachteil.

Für die Liberalen ist das allerdings kein Problem. Deswegen hat der als Retter der NRW-Liberalen gekürte Christian Lindner denn auch keine Probleme, wenn die Gelben Chancen hätten, gleich wieder die von Schwarz-Grün abgeschafften Studiengebühren einzuführen. Für ihn sei es richtig, einen Teil des Studiums über ein später zurückzuzahlendes Darlehen zu finanzieren, erklärte er der Rheinischen Post. Das sei "auch nur gerecht, da jeder Handwerksmeister für seine Ausbildung komplett selbst aufkommen muss".

Würden Lindner und die Seinen mal einen Blick auf die segensreichen Folgen des angeblich gerechten studienkreditfinanzierten Studiums in den USA werfen, wäre dies vermutlich hilfreich, auch wenn harte Ideologen auch von Fakten unbeeindruckt bleiben. Schon kürzlich hatte Rainer Sommer darauf aufmerksam gemacht, dass in den USA bereits 867 Milliarden US-Dollar an Studienschulden aufgelaufen sind (27 Prozent der US-Studentenkredite in Verzug).

Die Washington Post hat die Zahlen der Fed noch wenig aufgedröselt und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen. Amerikaner im Alter von über 60 Jahren schieben noch Studienkredite in Höhe von 36 Milliarden US-Dollar vor sich her. Es käme durchaus vor, dass auch Über-80-Jährige noch von Schuldeneintreibern belästigt werden, die ihre vor Jahrzehnten gemachten Studienschulden eintreiben wollen. Während die Schulden bestehen bleiben und die Studienkosten anschwellen, ist keineswegs mehr garantiert, dass die Hochschulabgänger tatsächlich einmal so viel Geld kontinuierlich verdienen, dass sie die Schulden auch abbezahlen können. Allerdings stammen die Schulden nicht nur aus alten eigenen Studienkrediten, manche haben sich auch verschuldet, um den Kindern und Enkelkindern zu einem Studium und damit zu einem besseren Leben zu verhelfen. Studienkredite können zu Schulden werden, die man nicht loswird, bis man stirbt, weil sie in den USA auch durch ein Insolvenzverfahren nicht aufgelöst werden können.

Zwar werden weiterhin weniger Menschen arbeitslos, die eine Hochschulausbildung haben, und sie verdienen in der Regel auch mehr als Menschen mit geringerem Ausbildungsgrad, aber es ist vor allem seit der Finanzkrise nicht mehr sicher, ob sich die Investition in die eigene Ausbildung, wenn man Kredite aufnehmen muss, auszahlen wird. "Viele Eltern, die dachten, sie würden mit einem Kind mit College-Ausbildung in den Ruhestand eintreten, müssen weiterhin arbeiten, weil der Studentenkredit sonst nicht abgezahlt werden kann", so der demokratische Senator Richard Durbin. Er hat einen Gesetzesentwurf eingebracht, nachdem bei einer Insolvenz auch die Privatschulden erlassen würden. Das Hauptproblem seien allerdings die steigenden Kosten der Ausbildung, sagt Suzanne Martin von der Consumers Union, die einen weiteren Anstieg der Verschuldung prognostiziert: "Die gegenwärtige Schuldnergeneration wird eine Generation von Alten werden, die mit Schulden ins Grab gehen."