"Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter"

Anja Maier über Gentrifizierungseltern im Hochpreissegment

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In ihrem Buch "Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter" schildert die Taz-Autorin Anja Maier die Verwandlung des Prenzlauer Berges in eine riesige Spielwiese für dauerbrunchende, Latte-Macchiato süffelnde und sich durch Bioläden shoppende Edel-Eltern, die ihre Kinder bereits im Kleinstkindalter für das zukünftige Leben im ständigen Konkurrenzkampf wappnen wollen und dabei eine Generation von gnadenlosen Egoisten heranziehen.

Frau Maier, kann man sagen, die Kinder sind die Winnetous und Nscho-tschis einer nicht gerade verheißungsvollen Zukunft?

Anja Maier: Lieber Herr Jellen, das fängt ja gut an. Um Ihre Frage überhaupt verstehen zu können, musste ich herausfinden, wer "die Winnetous und Nscho-tschis" sind. Im Netz bin ich fündig geworden. Ich hab den Wiki-Eintrag quergelesen und bin immer noch nicht schlauer. Soll das heißen, die Prenzlauer-Berg-Kinder pflegen ihre Eltern, um sie anschließend zu töten? Oder werden sie von gierigen Goldräubern getötet? Wer sind dann die Goldräuber? Sie sehen, schon hier klafft der kulturelle Ost-West-Graben mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall immer noch erstaunlich tief. Karl May war ja in der DDR Bückware. Es wäre stark übertrieben, wenn ich behauptete, mich nach Indianerromanen gesehnt zu haben. Dann eher nach Bukowski und anderen Verächtern des satten Lebens. Versuchen wir es einfach mit der nächsten Frage.

Anja Maier. Foto: Winkler

Die Eltern aus dem postmodernen Edelbürgertum haben ihre Kinder in Fetische verwandelt, aus denen nun wiederum Bekleidungs- und Spielzeughersteller eine Goldgrube machen. Können Sie uns die Gründe für das massenhafte Hervortreten dieser Edel-Eltern nennen? Und seit wann benutzt man Kinder über den Erwerb von Luxus-Kinderwagen als Mittel für den Distinktionsgewinn?

Anja Maier: Die Edeleltern treten nicht hervor, sie weisen sich per Kreditkarte aus. Wer kennt nicht das Bedürfnis, dem kleinen Malte oder der süßen Milla das handgefilzte Mützchen zu spendieren? Und ist es nicht so, dass das mitwachsende Kinderbett Leander trotz 915 Euro Anschaffungskosten eine in Geld ausgedrückte Wertschätzung vermittelt, die wir - bei guter Kassenlage - gerade mal uns selbst gönnen würden? Kurzum: indem wir den Nachwuchs mit dem Besten vom Guten versorgen, beglücken wir uns selbst als Eltern. Und wir erzeugen auf diese Weise ein Sicherheitsgefühl gegenüber der Welt da draußen: Die Filzmütze erkauft Fürsorge wie zu Omas Zeiten; das Bett beugt hoffentlich Millas Haltungsschaden vor. Gute Idee. Aber beim ersten Zahnen werden wir trotzdem die Kotze und den Durchfall von den Designverstrebungen kratzen.

Dass in der Gegend um den Prenzlauer Berg eine eigene Infrastruktur für Mütter und Kinder gibt, könnte man durchaus auch positiv sehen. Sie tun das nicht. Welche Elemente stören Sie daran?

Anja Maier: Weil diese Infrastruktur - die übrigens auch für Väter etabliert wurde - einen unguten Me-first!-Habitus vermittelt. Die mannigfachen Eltern-Kind-Cafes, Buggy-Läden, Baby-Yoga-Studios, ökologisch sanierten Spielplätze und Schritttempo-Straßen gaukeln Erwachsenen in der Erziehungsphase vor, die Welt sei tatsächlich ein einziges Familienparadies. Was sie dafür in Kauf nehmen, ist die Verdrängung anderer Lebensentwürfe: Scheitern, Krankheit, Kinderlosigkeit - derlei.

Eine Illusion auf Zeit. Denn erstens enthalten sie ihrem Nachwuchs vor, dass Leben auch anders gelebt werden kann als im Familienglücksbezirk. Und zweitens werden binnen nur anderthalb Jahrzehnten aus den kleinen Trollen pubertierende Jungmänner und -frauen, die ihre Erzeuger verachten werden für dieses langweilig bürgerliche und komplett ungefährliche Leben. Mein Tip: die wandern irgendwohin aus, wo es ihre Eltern richtig gruselig fänden. Manila, Hoyerswerda, die Mojave-Wüste.

Ist dieser Trend eine rein westdeutsche Angelegenheit oder beobachten Sie am Prenzlauer Berg auch Eltern aus der ostdeutschen Urbevölkerung, die solche Sitten und Gebräuche entwickelt?

Anja Maier: Ich möchte nicht unhöflich sein - aber das es heißt im Prenzlauer Berg. Im. Das ist auf den ersten Blick grammatikalisch kompletter Blödsinn, ich weiß. Aber so isses nun mal. Übrigens danke, dass Sie nicht Prenzlberg schreiben. Noch schlimmer: auf dem Prenzlberg. Nun zu Ihrer Frage: Dieser Trend ist nach meiner Beobachtung eine Ost-und-West-Angelegenheit. Mehr als zwanzig Jahre nach der Maueröffnung hat sich da ein kultureller Austausch vollzogen. Euer West-Biobrot gegen unser Ost-Design. Euer Geburtshaus gegen unsere pragmatischen, unesoterischen Hebammen. Und für uns alle zusammen dann eine Bürgerinitiative, die autofreie Straßen erkämpft. Gehört uns zwar nicht - aber sorry, nach soviel Gentrifizierung und Sanierung ist auch der öffentliche Raum quasi unser Eigentum. Für die Militanten und Ungehobelten gibt’s auch dies

"Privates Glück sieht anders aus"

Spiegeln sich in dieser Entwicklung Veränderungen in der sozioökonomischen Struktur wieder?

Anja Maier: Klar, da verändert sich richtig was. Der Prenzlauer Berg war immer ein Transit-Bezirk. Hier kamen vor über hundert Jahren die Dienstmädchen aus Polen an, auch die Borsig-Arbeiter und die Künstler. Und so, in dieser proletarisch-bohemistischen Mischung, hat es immer ganz gut geklappt mit dem Mythos Prenzlauer Berg. Erst in den letzten zehn, fünfzehn Jahren haben sich die Eigentumsverhältnisse verändert. Aus den runtergekommenen Mietwohnungen wurden durchsanierte und, zugegeben, sehr coole Eigentumswohnungen. Grundstücksbrachen heißen nun Baulücken. Es wird nicht mehr gebaut, sondern es werden Immobilien entwickelt.

Es macht was mit Menschen, wenn sie eine Viertelmillion Euro Kredit am Hacken haben. Dann werden sie nämlich ziemlich strikt, wenn es darum geht, ihre persönliche Vorstellung von gutem Leben durchzusetzen. Wer wollte es ihnen verdanken? Ich hatte in Brandenburg auch einige Jahre einen Nachbarn, der mir das Leben zur Hölle machte, weil er mich Ostlerin als "zugezogene Wessi-Schlampe" beschimpfte, die "hier allet uffkooft". Privates Glück sieht anders aus, und deshalb ist man dann schon eher bereit, Störendes wegzuklagen oder steigende Mieten einfach zu verdrängen. Der Einzelne verschuldet diesen Wandel natürlich nicht. Aber es reicht ja, wenn genug Leute auf solche Ideen kommen.

Was stört Sie am meisten an den von ihnen kritisierten Klasse von Eltern: Die Dummheit? Das Geprotze? Die Wichtigtuerei? Die Rücksichtslosigkeit? Das vollkommen ungerechtfertigte Selbstbewusstsein? Die Selbstgerechtigkeit? Die Gehirngewaschenheit? Der Narzissmus? Die generelle Arschlochhaftigkeit? Oder ist es doch schicht und einfach der schlechte gute Geschmack?

Anja Maier: Lieber Herr Jellen, das ist ja dermaßen offensichtlich gefragt! Was erwarten Sie? Soll ich antworten: Die Dummheit? Never! Aber es gibt tatsächlich etwas, was mich bei einigen stört. Das ist die Ironiefreiheit, vor allem in Hinsicht auf sich selbst. Wenn sie sich ein paar Stunden Zeit nehmen, finden Sie die schillerndsten Beispiele neospießigen Nebenwiderspruchs-Diskurses bei kompletter Außerachtlassung des Hauptwiderspruchs - nämlich der Gentrifizierung - hier. Mehr als 700 Kommentare! Ich habe irgendwann aufgehört, das zu lesen.

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