Neuronale Grundlagen des Bewusstseins

Bild: Jaakko W. Långsjö et al./Journal of Neuroscience

Neurowissenschaftler haben dem Gehirn zugeschaut, wie es von der Narkose aufwacht und wieder Bewusstsein entstehen lässt

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Was ist Bewusstein und Selbstbewusstein? Die Frage, die eng mit dem alten Leib-Seele-Problem zusammenhängt, treibt Philosophen, Psychologen und Gehirnforscher schon lange um. Diskutiert wird beispielsweise, ob Bewusstsein gewissermaßen eine kognitive Funktion ist, die in einem oder mehreren Arealen des Gehirns lokalisiert ist, ob Bewusstsein kausal aus neuronalen Abläufen zu erklären ist oder ob es sich um Phänomen handelt, das sich nicht auf messbare neuronale Abläufe oder irgendwelche biochemischen Prozesse reduzieren lässt, sondern beispielsweise etwas Subjektives und Emergentes ist.

Bewusstsein lässt sich aber gezielt ausschalten. Das machen Ärzte regelmäßig vor Operationen, wenn sie mit Anästhetika bei den Patienten mit dem Bewusstsein auch das Schmerzempfinden ausschalten. Für Neurowissenschaftler ist dies eine gute Möglichkeit zu prüfen, ob sich durch Gehirnscans erkennen lässt, dass das Bewusstsein ausgeschaltet ist und welche Areale beim Aufwachen aus der Narkose aktiv werden und sich so als materielle Grundlagen des Bewusstseins zeigen. Während allerdings die Narkose bei allen Menschen in der Regel schnell wirkt und zum Bewusstseinsverlust (LOC) führt, kann sich neben anderen Komplikationen oder auch Wachphasen der Aufwachprozess sehr unterschiedlich vollziehen.

Finnische und kalifornische Wissenschaftler schreiben im Journal of Neuroscience, dass sie erstmals im Detail alle neuronalen Prozesse sichtbar machen konnten, die sich beim Aufwachen eines Gehirns aus der Narkose nach und nach abspielen, bis das Bewusstsein wieder erlangt wird (ROC). Und sie glauben, damit der Klärung der Frage, ob es ein neuronales Substrat des Bewusstseins gibt, näher gekommen zu sein.

Für ihre Studie wurden 20 junge Männer in Narkose versetzt. Die eine Hälfte wurde mit Dexmedetomidin sediert, die andere mit Propofol narkotisiert. Abwesenheit von Bewusstsein (LOC) wurde dann konstatiert, wenn die Versuchspersonen nicht mehr auf die Bitte reagierten, die Augen zu öffnen. Gehirn-Scans mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) wurden vor der Sedierung, während der Sedierung bzw. Narkose (LOC) und beim Wiedererwachen gemacht.

Während der Sedierung ließen sich die Versuchspersonen durch Berührungen oder verbale Bitten wieder ins Bewusstsein holen. Dabei wurden zahlreiche Areale aktiviert, die mit Bewusstsein korrelieren: der vordere Gyrus cinguli (ACC), der mittlere Teil des Thalamaus, der Hypothalamus, der Locus caeruleus im Hirnstamm, das Cerebellum und Teile des präfrontalen Cortex. Das Aufwachen aus der Propofol-Narkose betraf dieselben Areale, allerdings war die Aktivierung im Neocortex deutlich schwächer. Die Wissenschaftler versuchten, die mit dem erwachenden Bewusstsein zusammenhängenden Prozessen von denen zu unterscheiden, die mit den anästhesierenden Wirkungen zu tun haben. Da die mit Dexmedetomidin bei unveränderter Medikation in einen bewussten Zustand geholt werden konnten und dann wieder das Bewusstsein verloren, haben die Wissenschaftler aus diesen Unterschieden die mit dem Sedativum verbundenen Wirkungen von denen der Bewusstwerdung abgeleitet.

Danach finden die entscheidenden Aktivierungen im Hirnstamm, im Thalamus, im Hypothalamus und im ACC statt. Das Aufwachen beginnt in den phylogenetisch alten Hirnstrukturen und erreicht erst später den Neocortex, so dass erst einmal ein primitives subkortikales und limbisches Wahrnehmungs- und Bewusstseinsnetzwerk aktiviert sein muss, bis sich über die Aktivierung von neokortikalen Arealen zur Planung und Steuerung von Bewegungen höhere kognitiven Strukturen entfalten können. Das ist auch ähnlich beim Erwachen aus einem normalen Schlaf. Werden die Areale direkt stimuliert, so lässt sich die mit der Anästhesie verbundene Bewusstlosigkeit aufheben. So scheint es einen allgemeinen neuronalen Mechanismus des Aufwachens zu geben, bei dem allmählich und bottum-up Bewusstsein und Wahrnehmung der Außenwelt wiederkehren.

Dass für das Aufwachen nur eine minimale kortikale Aktivität erforderlich zu sein scheint, ist zunächst überraschend, für die Wissenschaftler aber nachvollziehbar, weil "die Entstehung eines bewussten Zustand, der die entscheidende Grundlage des Bewusstseins ist, der vollen Wiederherstellung der neokortikalen Prozesse vorhergeht, die für reichhaltige bewusste Erfahrungen erforderlich sind." Aus diesem Grund ist auch die übliche Steuerung und Überwachung der Narkosetiefe durch ein EEG auch problematisch, da damit nicht genau bewusste und unbewusste Zustände diagnostiziert werden können. Da mit dem EEG Hirnströme nur am Schädel gemessen werden, werden die mit dem Aufwachen verbundenen Aktivitäten in den tieferen Schichten des Gehirns nicht erfasst, so dass möglicherweise Wachzustände in der Narkose nicht entdeckt werden.

Die Studie stellt heraus, welche Areale eine Rolle spielen, wenn das Bewusstsein wieder erwacht, aber damit wurde natürlich nicht das neuronale Substrat des Bewusstseins ausgemacht. Und selbst wenn man dieses lokalisieren könnte, so wäre weiterhin unklar, wie aus neuronalen Prozessen subjektive Wahrnehmung oder Selbstbewusstsein entsteht. Wieder bewusst zu werden, ist schließlich auch nicht identisch damit, wie es ist, bewusst zu sein.