Die leuchtende Spur der Erinnerung

Mit einem faszinierenden Experiment konnten Wissenschaftler zeigen, dass Erinnerungen im Hippokampus in Neuronengruppen gespeichert werden

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Wie werden Erinnerungen im Gehirn gespeichert? Eine Zeitlang florierte die Hypothese vom "Großmutterneuron": Jedem Erinnerungsgegenstand - also beispielsweise auch der Oma - entspräche demnach die Aktivität einer einzelnen Nervenzelle. Denke ich an die Oma, feuert die Nervenzelle. Doch recht schnell wurde klar, dass diese Hypothese mehr Probleme aufwirft, als sie löst. Wie "erkennen" alle übrigen Nervenzellen, was jede einzelne "bedeutet"? Und was passiert, wenn diese Nervenzelle zerstört wird - vergesse ich dann meine Oma? Wie Vittorio Gallese, einer der Entdecker der Spiegelneuronen, einmal bei einem Vortrag sagte, muss er jedesmal, wenn er von einer Nervenzelle eines Affen erfolgreich abgeleitet hat, diese zerstören, um sie zu markieren. Aber der Affe wird davon nicht dümmer.

Daher ist man seit einiger Zeit der Ansicht, Erinnerungen würden in der koordinierten Aktivität verstreuter Gruppen von Neuronen - sogenannter neuronaler Ensembles - kodiert. Jedes Neuron kann Bestandteil vieler verschiedener Ensembles sein, so dass die Menge speicherbarer Informationen ins Unendliche geht. Wenn ein bestimmtes Ensemble erneut gemeinsam aktiv ist, wird die von ihm kodierte Erinnerung abgerufen.

Diese Hypothese wird derzeit wohl von den meisten Neurowissenschaftlern akzeptiert. Aber es ist offensichtlich nicht leicht, sie zu überprüfen. Wie will man unter den Abermillionen Neuronen im Gehirn diejenigen finden, die einer einzelnen Erinnerung entsprechen? Schon vor einigen Jahren hatten Forscher um Sheena Josselyn (Toronto) Nervenzellen in der Amygdala, die während einer bestimmten Lernleistung aktiv waren, markiert und anschließend selektiv zerstört - mit der Folge, dass die Tiere sich an das Gelernte nicht mehr erinnern konnten. Bestimmte Gruppen von Neuronen mögen also notwendig sein, um eine Information zu behalten - aber sind sie auch hinreichend?

Eine Arbeitsgruppe um den Nobelpreisträger Susumu Tonegawa hat nun in einer Studie, die in der Zeitschrift Nature erschienen ist, bewiesen, dass die Aktivität eines definierten Ensembles imstande ist, eine bestimmte Erinnerung abzurufen.

Dazu bedienten sich die Forscher einer der raffiniertesten Methoden der aktuellen Neurowissenschaften, der sogenannten Optogenetik (hier ein schönes Video dazu). Damit bezeichnet man Vorgehensweisen, die sich lichtgesteuerte Ionenkanäle zunutze machen, die auf genetischem Wege eingebracht werden. Ein solcher Kanal, das Channelrhodopsin, wurde erstmals aus der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii isoliert. Wird Channelrhodopsin mit blauem Licht von der Wellenlänge 460nm bestrahlt, öffnet sich der Kanal und lässt Natriumionen in die Zelle strömen. Neuronale Aktivität beruht auf Ionenflüssen; der Natriumeinstrom lässt die Zelle feuern.

Mittlerweile sind auch Kanäle bekannt, die hemmend wirken, zum Beispiel Halorhodopsin. Und da Halorhodopsin bei gelbem Licht (570nm) aktiv wird, kann man Zellen, die man mit diesen Kanälen versehen hat, mit gelben Licht ein- und mit blauem Licht wieder ausschalten. Das hat man schon vor einigen Jahren mit dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans gemacht, einem der Lieblingstiere der Entwicklungsbiologen. In diesem Video sieht man ihn munter schwimmen, bis das gelbe Licht (symbolisiert durch einen gelben Punkt) angeht.

Für ihre Studie brauchten Tonegawa und Kollegen aber nur das Channelrhodopsin. Sie erzeugten Mäuse, in denen das Gen nur in denjenigen Zellen abgelesen wurde, die gerade eine genetische Antwort auf einen Umweltreiz ausführten, also wahrscheinlich an einem Lernvorgang beteiligt waren. Man sieht vermutlich sofort, wie diese Konstruktion den Forschern dazu dienen konnte, ihre Hypothese zu bestätigen. Aber es blieb noch ein Problem: Wenn diese Ableseregel zeitlebens aktiv gewesen wäre, dann hätten viele, wenn nicht alle Neuronen Channelrhodopsin eingebaut, weil ein Tier im Laufe seines Lebens sehr viel lernt. Wie sollte man da die Spur einer einzelnen, definierten Erinnerung auftun? Dazu bauten die Forscher einen zusätzlichen genetischen Schalter ein: Sie platzierten die Ablesung unter Doxyzyklinkontrolle: Solange die Mäuse das Antibiotikum Doxyzyklin im Trinkwasser hatten, war das Channelrhodopsin-Gen abgeschaltet. Ließen sie das Antibiotikum weg, dann funktionierte der Schalter und lernende Neuronen wurden lichtempfindlich.

Im Gyrus dentatus bildeten beim Lernen Neuronen das lichtempfindliche Protein Channelrhodopsin. Bild: Nature

Und nun konnten die Wissenschaftler den eigentlichen Versuch durchführen: Kurz vor dem Versuch wurde bei den Mäusen Doxyzyklin abgesetzt: Der genetische Schalter war in Betrieb. Nun kamen die Mäuse in eine neue Umwelt und erhielten dort einen Fußschock. Sie verbanden jetzt die neue Umgebung mit dem Schmerz; setzte man sie erneut in diese Umwelt, dann erstarrten sie. "Freezing" nennen Wissenschaftler dieses kurze Erstarren, das als Readout des erfolgreichen Lernens dient. Diese Art von Furchtlernen geschieht im Hippokampus in den Schläfenlappen, der räumliche Information verarbeitet und das Langzeitgedächtnis bildet. Tatsächlich bildeten danach einige Neuronen im Hippokampus - genauer, in seiner Eingangsstruktur, dem Gyrus dentatus - das lichtempfindliche Protein Channelrhodopsin. Und da die Wissenschaftler das Channelrhodopsin zu allem Überfluss mit einem gelb fluoreszierenden Protein gekoppelt hatten, leuchteten sie in Schnitten gelb.

Für das zentrale Experiment aber lebten die Tiere noch: Sie bekamen einen Glasfaser-Lichtleiter in den Hippokampus eingepflanzt. Und tatsächlich: Wurde das Licht eingeschaltet, dann erstarrten die Mäuse kurz, so als ob sie in der schmerzassoziierten Umgebung wären. Zur Kontrolle ließen die Forscher den Fußschock weg: Dann wurden zwar trotzdem Neuronen lichtempfindlich (die Tiere hatten eine neue Umgebung kennengelernt), aber sie kodierten keine Furcht, und somit führte Licht auch nicht zum Freezing. Auch die Aktivierung eines zufälligen, gleich großen, aber nicht mit der Furcht zusammenhängenden Ensembles rief kein Freezing hervor. Indem die Wissenschaftler eine spezifische Erinnerung wachrufen konnten, wenn sie das Licht einschalteten, hatten sie bewiesen, dass die Aktivierung eines neuronalen Ensembles hinreichend ist, um eine Erinnerung zu kodieren.

Diese faszinierende Studie erhält zusätzlichen Reiz dadurch, dass der Gyrus dentatus des Hippokampus an sich schon keine langweilige Struktur ist: Er ist notwendig für die Langzeitgedächtnisbildung und eine der einzigen beiden Regionen des Gehirns, in denen zeitlebens neue Nervenzellen gebildet werden. Es ist schon länger bekannt, dass diese neuen Neuronen im Hippokampus besonders lernfähig sind, und erst vor wenigen Wochen hatten Forscher in Buenos Aires herausgefunden, dass sie leichter erregbar sind als etablierte Zellen, weil sie in einem anderen Erregungs-Hemmungs-Gleichwicht eingebunden sind. Die Annahme liegt nahe, dass sich die Neuronen, die an den markierten Ensembles beteiligt sind, vorwiegend aus jungen Nervenzellen rekrutieren. Es bleibt abzuwarten, ob diese Annahme demnächst bestätigt wird.