Alkohol lässt das Denken kreativer werden

Psychologen wollen einen ersten empirischen Beweis erbracht haben, dass mäßig Alkoholisierte deutlich bessere Ergebnisse als Nüchterne in einem Assoziationstest erzielen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Man kann sich wissenschaftlich mit vielem beschäftigen, beispielsweise auch damit, welche Wirkung Alkohol auf das Denkvermögen bzw. auf Kreativität hat. Normalerweise geht man davon aus, dass Alkohol nicht nur die Stimmung verändert, also die Menschen zunächst euphorischer und risikobereiter und später mitunter aggressiver werden lässt, sondern auch kognitive Leistungen wie die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit und vor allem das Reaktionsvermögen beeinträchtigt. Allerdings soll Alkohol - wie andere Drogen - auch die Kreativität erhöhen können. Psychologen der University of Illinois in Chicago führen hier Leistungen großer Menschen wie Beethoven, Poe, Hemingway, Pollock oder Sokrates, die durch Alkoholkonsum befördert worden sein sollen. In einer Studie wollen sie nun empirisch geklärt haben, dass Alkohol, in Maßen getrunken, kreatives Denken fördert.

Ob ein betrunkener Silen noch sehr geistig kreativ ist, darf bezweifelt werden. Röm. Skulptur aus dem 2. Jhdt., Louvre. Bild: ferbr1/gemeinfrei

Für die Studie, die in der Zeitschrift Consciousness and Cognition erschienen ist, wählten die Psychologen 40 gesunde Männer im Alter zwischen 21 und 30 Jahren aus, die gelegentlich Alkohol zu sich nehmen, aber keine Problemtrinker sind. Die Versuchspersonen wurden in zwei Gruppen mit je 20 aufgeteilt. Die eine Gruppe erhielt das Äquivalent von einer Maß Bier, um einen durchschnittlichen Blutalkoholwert von 0,7 Promille zu bewirken, die andere Gruppe blieb nüchtern.

Vor dem eigentliche Start des Versuchs mussten die Teilnehmer den Test Operation Span Task (OSpan) ausführen, mit dem die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses gemessen wird. Beim Lösen von Rechenaufgaben müssen Worte erinnert werden. Beide Gruppen erzielten hier dieselben Ergebnisse. Der eigentliche Versuch bestand dann aus einem Wortassoziationstest (Remote Associate Test), mit dem Aspekte der Kreativität und Intelligenz gemessen werden. Die Versuchspersonen erhielten wiederholt drei Begriffe und mussten einen dazu passenden vierten Begriff ergänzen. Weil die Begriffe nicht eng verbunden sind, soll das Finden die Kreativität im Assoziieren erkennen lassen.

Die etwas angetrunkenen Versuchsteilnehmer lösten nicht nur deutlich mehr von den Assoziationsaufgaben als die nüchternen, nämlich 40 Prozent mehr, sondern sie taten dies auch schneller. Benötigten die Nüchternen durchschnittlich 15,2 Sekunden, so die Alkoholisierten nur 11,5 Sekunden. Die Alkoholisierten beurteilten ihre Testergebnisse stärker als die Nüchternen als Folge der Intuition und nicht des Nachdenkens. Beim OSpan-Test hielten sich die Alkoholisierten auf ihrem Level, den sie nüchtern erreicht hatten, die Nüchternen konnten beim zweiten Mal aber ihr Leistung verbessern, so dass nüchtern vermutlich ein besserer Lerneffekt möglich ist.

Für die Psychologen bestärken die Ergebnisse ihre Ausgangshypothese, dass durch mäßigen Alkoholkonsum die Kontrolle der Aufmerksamkeit nachlässt, wodurch kreativere Prozesse als im nüchternen Zustand stattfinden können. Auch andere neurowissenschaftliche Studien würden einen solchen Zusammenhang nahelegen. Aber man habe nun den "ersten empirischen Beweis für die Wirkung von Alkohol auf kreative Problemlösung" geben können. Das sei zwar nur ein erster Schritt, beschränkt auf Assoziationen, der aber auch bereits Einsichten in die Mechanismen nahelege, weswegen Alkohol die Leistung beim Problemlösen verbessern kann.

Freilich wäre Alkohol nur eine Möglichkeit der kognitiven "Enthemmung", um eine diffusere Aufmerksamkeit zu erzeugen, mit der es besser gelingen kann, Informationen außerhalb des üblichen Wahrnehmungsrahmens einzubeziehen, während nüchternes Denken, das die Psychologen mit einem eher analytischen Vorgehen und einer konzentrierten Aufmerksamkeit gleichsetzen, periphere Informationen und damit ein Abschweifen stärker ausklammert. Die Autoren sprechen zwar nicht von Fantasie, aber dass Drogenkonsum erst einmal die Fantasie anregt oder sie aus der normalen Kontrolle befreit, ist wohl eine Erkenntnis, die weit verbreitet ist. Dabei ist der Weg von der Kreativität zum Unsinn bekanntlich nicht weit.