Wer kommt für Stilllegung und Entsorgung der deutschen AKWs auf?

Bettina Meyer und Thomas Breuer. Bild: S. Duwe

Studie sieht Rückstellungen der AKW-Betreiber in Gefahr

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Aktien von Energieversorgern wie E.on und RWE laufen derzeit gar nicht gut. Egal, ob man den Kursverlauf auf ein, drei oder fünf Jahre betrachtet, der Trend zeigt ganz klar abwärts, was auch an der von der Bundesregierung beschlossenen Energiewende und damit dem Ausstieg aus der lukrativen Atomstromerzeugung bis zum Jahr 2022 liegt. Für die Rückstellungen, die die Stromkonzerne zum Rückbau und zur Entsorgung ihrer alten Atomkraftwerke angehäuft haben, bedeutet dies jedoch ein Risiko, warnt nun die Umweltschutzorganisation Greenpeace.

Die vier großen Stromkonzerne, so erläutert Thomas Breuer, Leiter des Bereichs Klima und Energie bei Greenpeace, hätten durch eine falsche Portfoliostruktur in ihrem Kraftwerkspark Marktkapitalisierung verloren. Breuer muss es wissen, immerhin war er vor seiner Zeit bei Greenpeace im Vermögensverwaltungsgeschäft der Deutschen Bank tätig und hat dort als Finanzanalyst und Portfoliomanager gearbeitet.

Nachdem sich die Stromerzeugung in Atomkraftwerken erzwungenermaßen auf dem Rückzug befindet, basiert ein Großteil des Kraftwerksparks der großen Vier auf Braun- und Steinkohle - für Breuer ist das ein gigantisches Risiko, das zudem noch wenig diversifiziert ist. Immerhin ist auch die Kohleverstromung in der Bevölkerung immer umstrittener, zumal sich diese Kraftwerke nur schlecht in ein System der Erneuerbaren Energien integrieren lassen. Breuer sieht daher die Rückstellungen der Stromkonzerne, mit denen Rückbau und Entsorgung der ausgedienten AKWs finanziert werden soll, in Gefahr - weshalb die Bürger langfristig auf den Entsorgungskosten sitzen bleiben könnten.

Denn die Rücklagen, die die Betreibergesellschaften der Atomkraftwerke gebildet haben, fließen derzeit in die Bilanz der Muttergesellschaften mit ein und werden von diesen investiert - mit allen Chancen und Risiken, die das so mit sich bringt. Dass ein einziges Unglück reicht, um einen großen Stromversorger in die finanzielle Krise und in die Verstaatlichung zu treiben, zeigt derzeit der japanische AKW-Betreiber Tepco, der aufgrund der Katastrophe von Fukushima kurz vor der Insolvenz steht.

Kosten für Stilllegung und Rückbau der AKWs können zwischen 25 und 43 Milliarden Euro betragen - aber auch höher ausfallen

Dabei malt die von Greenpeace beim Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft (FÖS in Auftrag gegebene Studie nicht einmal schwarz, was die Höhe der von den Konzernen gebildeten Rücklagen angeht. Diese haben Ende 2011 rund 33 bis 34 Milliarden Euro betragen, so die Autorin der Studie, . Zugleich geht die Studie davon aus, dass 19 Milliarden Euro für die Stilllegung und den Rückbau sowie 15 Milliarden Euro für die Entsorgung der bestehenden Atomkraftwerke benötigt würden - was insgesamt exakt 34 Milliarden entspricht.

Das FÖS nimmt an, dass sich die Kosten durch Risiken und Probleme nochmals um 10 Milliarden Euro erhöhen werden, weshalb am Ende eine Gesamtbelastung von 44 Milliarden Euro angenommen wird. Da die Rückstellungen der Energieversorger jedoch verzinst angelegt werden, könnten sie trotzdem noch reichen. Dafür sei lediglich eine Realverzinsung von zwei Prozent nötig, was sich in der Vergangenheit als durchaus erreichbar erwiesen habe. Immer unter der Voraussetzung natürlich, dass keine unerwarteten Kosten auftauchen. Zudem fehlen in der Kostenrechnung Forschungsreaktoren, die Atomanlagen der ehemaligen DDR sowie die zugehörigen Lagerkosten, da diese ohnehin von der Bundesrepublik übernommen werden.

Block A des AKW Gundremmingen wird seit 1985 zurückgebaut. 2006 genehmigte die bayerische Regierung, die ehemaligen Technikgebäude (ohne das Reaktorgebäude) als Technologiezentrum zu nutzen. Nach Angaben der Betreiber können die "anfallenden ca. 10.000 Tonnen Schrott aus Block A " zu 86 Prozent wiederverwendet werden, 14 Prozent müssen endgelagert werden. Bild: Michael Meding/CC BY-SA 2.5

Ob die genannte Summe tatsächlich ausreichen wird, um alle Kernkraftwerke fachgerecht abzubauen und zu entsorgen, kann mangels Erfahrungswerten ohnehin nicht genau ermittelt werden. Die FÖS-Studie, die sich in ihrer Kostenberechnung auf eine umfassende Analyse der deutschen Fachliteratur und ähnlicher Kostenprognosen aus der Schweiz stützt, geht von einer Kostenspanne zwischen 25 und 43 Milliarden Euro aus, jeweils ohne den oben genannten Risikopuffer.

Vor diesem Hintergrund kritisiert die Studie die mangelnde Transparenz über die Rückstellungen. So ist es beispielsweise unmöglich, die vorhandenen Rückstellungen einzelnen Kraftwerken zuzurechnen. Zudem fehlen Informationen darüber, woraus die jährlichen Veränderungen der Rückstellungen bei den einzelnen Unternehmen resultieren. Denn schon heute werden die Rücklagen in Anspruch genommen, beispielsweise für Zahlungen an das Bundesamt für Strahlenschutz. Zugleich sorgen unter anderem Zinseinnahmen für Zuflüsse. Doch derartige Kapitalbewegungen lassen sich derzeit nicht nachvollziehen. Hinzu kommt, dass die Energiekonzerne nicht offen legen, mit welchen Kosten sie für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung ihrer alten Anlagen rechnen. Das erschwert eine Schätzung darüber, ob die bestehenden Rücklagen ausreichen, zusätzlich.

Greenpeace und FÖS fordern daher die Konzerne auf, ihre Gutachten und Kalkulationen offen zu legen und einer unabhängigen Überprüfung durch den Bund zugänglich zu machen.

Wer kommt für die Endlagerung auf?

Um die Rückstellungen im Falle einer Insolvenz nicht zu gefährden, fordern Umweltverbände schon lange einen öffentlich-rechtlichen Fonds, in den die Gelder eingezahlt werden. Dies hätte auch zur Folge, dass die Stromkonzerne ihre Rücklagen nicht zugleich für Investitionen nutzen und so einen Wettbewerbsvorteil erzielen. Jedoch müssen auch die FÖS und Greenpeace einräumen, dass dieser Fonds rechtlich nicht mehr umsetzbar ist, denn eine erzwungene Verlagerung der Mittel in einen öffentlich-rechtlichen Fonds würde einen Eingriff in das Eigentum der Unternehmen bedeuten. Da die Masse der Kosten langfristig für die Endlagerung anfällt, sollte der Studie zufolge zumindest dieser Teil über einen Fonds finanziert werden.

Breuer fordert zudem, gesetzlich zu verhindern, dass sich die Konzerne ihrer Verantwortung für die Entsorgung entziehen. Diese Gefahr sieht er spätestens, wenn es um die Endlagerung geht. Hintergrund ist die Insolvenzgefahr der Betreibergesellschaften der Kernkraftwerke. Diese Tochterunternehmen der Energiekonzerne stehen nach dem Ende der Atomstromproduktion ohne Einnahmen da, müssen aber aus ihren Rücklagen Stilllegung, Rückbau und Endlagerung der ausgedienten Anlagen finanzieren.

Zwar sind die Energieversorger gezwungen, mittels einer so genannten Patronatserklärung die Verbindlichkeiten ihrer Betreibergesellschaften zu übernehmen. Doch diese Verpflichtung läuft nur bis zum 27. April 2022, also pünktlich zum derzeit geplanten Atomausstieg aus. FÖS und Greenpeace befürchten, dass nach diesem Datum die bereits bestehenden Patronatserklärungen wieder gekündigt werden und die Energiekonzerne so ihre Betreibergesellschaften sich selbst - und die finanziellen Risiken somit dem Steuerzahler überlassen.

Die Studie des Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft macht somit einmal mehr deutlich, dass mit dem Atomausstieg längst noch nicht alle Probleme gelöst sind - und sich die Frage, wer für die Kosten der Atomkraft am Ende zahlen muss, noch lange Zeit immer wieder neu stellen wird.