Volle Dröhnung vergütungspflichtig, nicht aber Hintergrundmusik!

Wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vergütungspflicht von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen. Müssen in Zukunft auch andere Unternehmen keine GEMA-Gebühren mehr zahlen?

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Wer Musik komponiert, Texte schreibt oder Filme dreht, hat ein gesetzlich eingeräumtes Recht auf Vergütung, wenn die Werke nicht nur im privaten Kreis, sondern öffentlich wiedergegeben werden. Weil Komponisten, Journalisten und ausübende Künstler nicht persönlich überall gleichzeitig feststellen können, in welchem öffentlich zugänglichen Raum gerade ein Radio, Fernseher oder CD-Player eingeschaltet ist und ob auch ihre Komposition oder ihr Wortbeitrag gerade dann übertragen werden, haben sie sich zu Verwertungsgesellschaften zusammengeschlossen, die in ihrem Auftrage die Kontrolle flächendeckend vornehmen. Die bekannteste Verwertungsgesellschaft ist die GEMA, in der die Musikurheber und -Verleger zusammengeschlossen sind. Neben der GEMA gibt es 11 weitere Verwertungsgesellschaften, etwa die VG Wort für Autoren und Verlage oder die GVL für ausübende Künstler und Tonträgerhersteller. Die ertragstärkste Verwertungsgesellschaft ist die GEMA. Ihre Einnahmen betrugen im Jahre 2011 825,5 Mio. Euro.

Wenn Musikstücke öffentlich wahrnehmbar gemacht werden, fordert die GEMA Gebühren, die sich nach der Fläche eines Geschäftsbetriebes oder der Größe eines Fernsehbildschirmes für das Public Viewing richten. Der Einzelhandel, Friseursalons, Fitness- und Sportstudios sowie Arztpraxen mit Hintergrundmusik, aber auch Hotels mit Radio- und Fernsehgeräten in den Gästezimmern oder Gaststätten, in den Musik als MP3, von CDs oder ähnlichem abgespielt wird, sind es daher gewohnt, regelmäßige Zahlungen an die GEMA zu leisten. Dies kann sich jetzt ändern, da die Richter am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg - weise wie sie von Berufswegen sind - erkannt haben, dass ein Patient nicht zum Zahnarzt geht, um dort Musik zu genießen, und eine Wiedergabe von Musik nicht zur Zahnbehandlung gehört.1

EuGH-Entscheidung

Die SCF, die italienische Schwestergesellschaft der GEMA, hatte den Zahnarzt Del Corso verklagt, weil er in seiner Zahnarztpraxis in Turin Hintergrundmusik gespielt, sich aber geweigert hatte, eine Vergütung zu entrichten. Das Tribunale di Torino wies die Klage der SCF mit der Begründung ab, dass im vorliegenden Fall eine öffentliche Wiedergabe ausgeschlossen sei, da die in der Zahnarztpraxis verbreitete Musik keinen Einfluss auf die Wahl des Zahnarztes durch den Patienten habe, die Zahnarztpraxis privat sei und daher keinem öffentlichen oder öffentlich zugänglichen Ort gleichgestellt werden könne. Auch stellten die Patienten kein unbestimmtes Publikum dar, sondern seien einzeln bestimmbar und hätten üblicherweise nur Zugang zu der Praxis aufgrund vorheriger Terminabsprache. Die SCF legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Auch das Berufungsgericht war der Ansicht, es bestünden Zweifel, ob die Wiedergabe von Musik in Zahnarztpraxen vom Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ erfasst werde und hat deshalb den Europäischen Gerichtshof angerufen. Den Europäischen Gerichtshof deshalb, weil der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ durch zwei EU-Richtlinien europaweit vereinheitlicht wurde.2 Der Europäische Gerichtshof folgte den italienischen Gerichten und legte den Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ dahin aus, dass er nicht die kostenlose Wiedergabe von Hintergrundmusik in einer Zahnarztpraxis für die Patienten betrifft, die unabhängig von ihrem Willen in den Genuss dieser Wiedergabe kommen. Infolgedessen begründet eine solche Wiedergabe für eine Verwertungsgesellschaft keinen Anspruch auf Vergütung. Dies gilt selbst dann, wenn der Zahnarzt die Hintergrundmusik bewusst auch für seine Patienten spielt, da die Zusammensetzung seiner Patienten weitgehend stabil und der Kreis der gleichzeitig in der Praxis anwesenden Patienten im Allgemeinen sehr begrenzt ist. Die Patienten suchten auch abwechselnd die Praxisräume auf. Sie sind in aller Regel auch nicht Hörer derselben Musikwerke, insbesondere wenn diese über Rundfunk verbreitet werden.

Nur Zahnärzte?

Inhaber von anderen Arztpraxen, egal ob sie Humanmediziner oder Tierärzte sind, können ohne jeden Zweifel unter Berufung auf das Del Corso - Urteil in Zukunft Zahlungen an die GEMA verweigern. Deren Patientenkreis setzt sich ebenfalls wie bei Zahnärzten nicht aus einer unbestimmten Zahl potenzieller Leistungsempfänger und nicht aus recht vielen Personen zusammen. Auch für sie dient die „öffentliche Wiedergabe“ von Hintergrundmusik nicht Erwerbszwecken und sie wenden sich auch nicht gezielt an ein für die Hintergrundmusik aufnahmebereites Publikum. Deren Patienten hören ebenso nur bloß zufällig die Hintergrundmusik.

Andere Unternehmer?

Die vom Gerichtshof entwickelten Kriterien für eine „öffentliche Wiedergabe“ könnten auch vom Einzelhandel, Friseursalons, Fitness- und Sportstudios erfüllt und sie ebenfalls von GEMA-Zahlungen befreit sein:

Einzelhandel

Ein Kunde kauft sicherlich keinen Liter Milch, einen Pullover, eine Handcreme oder einen Laib Brot nur in einem bestimmten Geschäft, weil dort auch Hintergrundmusik gespielt wird. Vielmehr sucht er ein bestimmtes Ladenlokal auf, weil dort die größte oder die preisgünstigste Auswahl vorhanden ist oder weil die von ihm nachgefragte Marke nur in diesem einen Geschäft geführt wird. Kein Kunde wird seine Einkäufe statt in der Innenstadt zu erledigen in ein Einkaufszentrum verlegen, nur weil er dort mit Musikuntermalung von Geschäft zu Geschäft bummeln kann. Will der Kunde seinen Stadtteil belebt wissen, wird er seine Einkäufe in der Nachbarschaft tätigen, und zwar unabhängig davon, ob in den Geschäften Hintergrundmusik gespielt wird oder auch nicht. Durch die kostenlose Wiedergabe von Musik in einem Ladenlokal wird der Einzelhandel auch keinen Kunde gewinnen, es sei denn, das Warensortiment ist von einer Musikrichtung beeinflusst mit der Folge, dass die Musik im Ladengeschäft zum modischen Trend gehört.

Teile des Einzelhandels können sich deshalb auch auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes berufen und der GEMA mit den Argumenten des Gerichtshofes zukünftig entgegentreten. Auch in Einzelhandelsgeschäften kommen Kunden unabhängig von ihrem Willen in den Genuss der Musikwiedergabe. Die Befreiung von der Vergütungspflicht gilt aber nur für Einzelhandelsgeschäfte, die einen kleinen Kundenkreis ansprechen, der nicht aus vielen Personen besteht.

Auf jeden Fall kann die GEMA keine Vergütung mehr verlangen - wie in der Vergangenheit häufig geschehen und von der Rechtsprechung gebilligt - wenn Musik aus Nebenräumen auch im Verkaufsraum zu hören ist.3 Diese Musikdarbietung richtet sich nicht an Kunden. Sie werden bloß zufällig erreicht. Auch die Musikdarbietung zur Verbesserung der Arbeitsatmosphäre in Mitarbeiterräumen ist keine öffentliche Wiedergabe, da der Unternehmer mit seinen Mitarbeitern durch das Angestelltenverhältnis verbunden ist und sie deshalb keine Öffentlichkeit darstellen.

Friseursalons

Der Besuch eines Friseursalons dient in der Regel nicht dazu, den Alltag zu vergessen und Musik zu genießen, sondern um die ständig nachwachsenden Haare stutzen oder um sich ein neues Outfit verpassen zu lassen. Maßgeblich für die Auswahl eines Friseursalons ist die Kunst des Personals, das Kopfhaar zu pflegen und die Frisur zu gestalten. Auch stellen die Kunden kein unbestimmtes Publikum dar, vielmehr sind sie einzeln bestimmbar und besuchen den Salon üblicherweise nach vorheriger Terminabsprache nacheinander, weshalb sie meistens auch nicht gleichzeitig dieselben Musikwerke hören. Den Vergütungsverlagen der GEMA kann ein Inhaber eines Friseursalons daher ebenso wie ein Arzt mit den Argumenten des Europäischen Gerichtshofes entgegentreten.

Es gibt aber immer mehr Cut & Go Salons, in denen Nummern gezogen und günstige, peppige Schnitte von meist jungen Friseuren angeboten werden, die das Föhnen den Kunden überlassen. Diese Salons haben ihr Konzept auf ein bestimmtes Publikum ausgerichtet und bieten etwa laute Techno-Musik, um den Interessen und dem Lebensgefühl ihrer Kundengruppe zu entsprechen. Bei diesen Salons spielt die öffentliche Wiedergabe neben der Preiswürdigkeit des Angebots eine entscheidende Rolle, weshalb die Musik nicht mehr nur Hintergrundmusik ist, sondern Teil des Angebotes. Die GEMA kann also argumentieren, dass diese Art der Musikwiedergabe den Tatbestand der „öffentlichen Wiedergabe“ erfüllt.

Fitness- und Sportstudios

Wird in Fitness- und Sportstudios für Spinning oder Step-Aerobic passende Musik gespielt, um die Teilnehmer anzuspornen und die Qualen der Bewegung zu erleichtern, gehört die Musik zum vergütungspflichtigen Angebot. Die GEMA kann für die Kurse deshalb weiterhin eine Vergütung verlangen, die sich nach der Anzahl der Kursteilnehmer richtet. Gleiches gilt für das Musikangebot in den Bereichen in denen die Trainingsgeräte stehen, da die richtige Musikauswahl die Sportler zu Höchstleistungen antreiben und sie anspornen kann, wenn sie schon am Ende ihrer Kräfte sind. Der anspornende Effekt von treibenden Beats führt bei Laufwettbewerben deshalb auch nach der Wettkampfregel 144.2c des Deutschen Leichtathletik-Verbandes zur Disqualifikation, weil sich laufende Musikhörer einen Wettbewerbsvorteil verschaffen und Anzeichen von Überlastung nicht mehr wahrnehmen. Der Vergütungspflicht für Hintergrundmusik in Fitness- und Sportstudios bleibt in Zukunft der GEMA also erhalten, auch wenn die Kunden das Studio üblicherweise nacheinander besuchen und nicht gleichzeitig dieselben Musikwerke hören.

Hotels und Gastronomie

Die Bereitstellung von (Musik-)Empfangsgeräten in Hotels stellt eine zusätzliche Leistung des Betreibers dar, durch die er seinen Gästen Zugang zu Musikwerken verschafft. Zwar ist der Kreis der gleichzeitig in einem Hotelzimmer anwesenden Personen begrenzt, jedoch wirkt sich die Ausstattung auf den Standard des Hotels und damit auf den Preis des Zimmers aus, weshalb keine kostenlose Wiedergabe von Musik stattfindet und damit der Tatbestand der „öffentlichen Wiedergabe“ erfüllt ist.4 Die Hoteliers müssen daher weiterhin für jedes entsprechend ausgestattete Zimmer eine Vergütung an die GEMA zahlen.

Auch ist die Gastronomie weiterhin vergütungspflichtig, da sie eine unbestimmte Zahl von für die Hintergrundmusik aufnahmebereite Gäste anspricht und auch die „öffentliche Wiedergabe“ von Hintergrundmusik dem eigentlichen Erwerbszweck dient. Die Gäste hören auch nicht nur bloß zufällig in der Gastronomie Musik, bestimmt sie doch die Atmosphäre und Außenwirkung eines Lokals wesentlich mit.

Musik in Telefonwarteschleifen und Anrufbeantwortern

Anrufer kommen ebenso wie Patienten unabhängig von ihrem Willen in den Genuss von Musik in Telefonwarteschleifen und Anrufbeantwortern. Auch hat die Musik keinen Einfluss auf das Bedürfnis einen bestimmten Anschluss anzurufen, vielmehr will der Anrufer unter dem Anschluss mit einem Mitarbeiter sprechen, um einen Auftrag zu erteilen oder Auskünfte zu erhalten. Das Warten, insbesondere bei einer kostenpflichtigen Hotline, kann mitunter selbst mit Musikuntermalung eher nervtötend sein, wodurch manche Anrufer schon nach wenigen Minuten mürbe werden und den Anruf beenden. Nur wenige Anrufer haben den Langmut wie eine Kundin der British Telekom, die sich insgesamt 20 Stunden Warteschleifen-Musik angehört hat, um endlich einen Servicetechniker zu erreichen.5 Der sich daran anschließende Nervenzusammenbruch der Kundin verdeutlicht, dass Musik in Telefonwarteschleifen kein Werkgenuss ist und eine solche Wiedergabe infolgedessen für eine Verwertungsgesellschaft keinen Anspruch auf Vergütung begründen kann.

Was tun?

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes befasst sich nur mit Zahnärzten, aber dennoch betreffen die Grundzüge des Urteils nicht nur Zahnärzte. Jedoch kann weder ein Zahnarzt, noch ein anderer Unternehmer jetzt einfach die Zahlungen an die GEMA einstellen. Denn jeder Arzt, Einzelhänder, Friseur etc. hat mit der GEMA einen auf die bisherige vergütungspflichtige Musiknutzung zugeschnittenen Lizenzantrag mit einer bestimmten Laufzeit abgeschlossen. Diese Verträge sind einzuhalten und die vereinbarte Vergütung muss für die Laufzeit des Vertrages weitergezahlt werden. Die Verträge können aber gekündigt werden. Ebenso muss beim Neuabschluss von sog. Gesamtverträgen mit der GEMA durch Unternehmerverbände der geänderten Rechtslage Rechnung getragen werden.

Die GEMA und andere Verwertungsgesellschaften haben bisher keine Stellungnahme zu dem Del Corso - Urteil abgegeben. Es ist aber damit zu rechnen, dass sie in jedem Einzelfall argumentieren werden, das Urteil des Gerichtshofes sei nicht einschlägig. Es bedarf daher weiterer Urteile, um nicht nur für Ärzte, sondern auch für andere Unternehmen Rechtssicherheit zu erlangen. Es sei denn, es wird nur sog. GEMA-freie Musik dargeboten. GEMA-frei ist Musik, wenn die Rechteinhaber länger als 70 Jahre tot sind und die Aufnahme vor mehr als 70 Jahren aufgenommen wurde, also die Schutzfristen abgelaufen sind, oder wenn die Beteiligten keine Mitglieder von Verwertungsgesellschaften sind. Wird jedoch das Werk eines Komponisten bearbeitet, der schon 70 Jahre tot ist, und die Bearbeitung veröffentlicht, fällt für die Nutzung des bearbeiteten „GEMA-freien Werkes“ wieder eine GEMA-Gebühr an, wenn der Bearbeiter Mitglied der GEMA ist.