Peak Oil: Großbritanniens Ölförderung in 2011 um fast ein Sechstel gesunken

Großbritannien hat sein Ölfördermaximum 1999 überschritten. Seitdem sinken die Fördermengen. Angesichts der Benzinpreisdebatte lohnt ein Blick auf das schwindende Nordseeöl

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

17,4% niedriger als im Vorjahr war 2011 die Ölproduktion Großbritanniens, berichtete Energy Trends. Damit fördert das Land so wenig wie zuletzt 1970. Sein Ölfördermaximum (Peak Oil) hatte Großbritannien bereits 1999 erreicht, damals produzierte das Land 3 Millionen Barrel pro Tag. Heute liegt die durchschnittliche Produktion nur noch bei einem Drittel dieses Fördermaximums und der Trend zeigt eindeutig nach unten. Die Decline-Rate, also die Geschwindigkeit mit der die Fördermengen von Jahr zu Jahr sinken, ist enorm. Würde die Welt-Ölproduktion mit derselben Geschwindigkeit sinken wie jene Großbritanniens, würde schnell ein Vielfaches des deutschen Imports fehlen.

Da der Ölverbrauch der Briten in 2011 nur um 5% zurückging, also bei weitem nicht mit der Fördersenkung mithalten konnte, sanken auch die Ölexporte: um 20,5%. Der Import von Öl stieg um 5,7%. Die Schere zwischen Import und Export geht also immer weiter auseinander. Dabei kam dem Land noch ein relativ mildes Wetter zugute, das einen Großteil dazu beitrug, den Gesamtprimärenergieverbrauch um 7,3% zu senken - ohne die günstigeren Witterungsverhältnisse läge die Verbrauchssenkung nur bei 2,2%.

Seit 2011 importiert Großbritannien mehr Öl, als es selbst fördert. In seinen besten Jahren lieferte das Land einen nicht geringen Anteil zum globalen Energieverbrauch, indem es Förderüberschüsse exportierte. Seit 2006 ist Großbritannien wieder Netto-Importeur, importiert also mehr Öl, als es exportiert. Zu seinen besten Zeiten lieferte Großbritannien fast die Hälfte des deutschen Verbrauchs auf den internationalen Markt. Seit 2006 tritt das Land statt als Lieferant als Nachfrager am Markt auf und die Exportmengen sinken weiter. Das Phänomen weltweit steigender Ölpreise ist sicherlich nicht nur auf den Wandel Großbritanniens vom Öl-Lieferanten zum Öl-Nachfrager zurückzuführen, doch erstaunlich ist, dass diese sich grundlegend ändernde Marktsituation in der Diskussion um die steigenden Spritpreise kaum eine Rolle spielt.

Der Ölverbrauch findet mit 70% überwiegend im Transportbereich statt, doch auch die Ölraffinerien verbrauchen 6,7% der Verbrauchsmengen. Die stoffliche Verwertung in der Chemie- und Bauindustrie macht 10% aus, der Rest fließt in energetischen Verbrauch in der Industrie (6%), Haushalte (3%) und Sonstiges.

Auch die Gasproduktion Großbritanniens befindet sich in einer Phase des Förderrückgangs. Um 21% weniger Erdgas wurde in 2011 gegenüber dem Vorjahr gefördert. Der Peak Gas war im Jahr 2000, seitdem hat sich die jährliche Fördermenge halbiert. Dass Großbritanniens Gas-Exporte dennoch weiter stiegen, liegt an den zugleich steigenden Importen und dem sinkenden Verbrauch. Das Land importiert seit 2009 verstärkt Flüssiggas (LNG=liquified natural gas) - überwiegend aus dem arabischen Katar - und exportiert dafür das einheimische Gas. Der Gasverbrauch sank in 2011 ebenfalls aufgrund des milden Wetters um 17% auf den niedrigsten Stand seit 1995.

Die neue Abhängigkeit von Katar dürfte die Außenpolitik des Landes beeinflussen. Da Flüssigerdgas per Tanker transportiert wird, ist Großbritannien auf eine freie Seestraße von Hormuz angewiesen. Durch die Meerenge zwischen Iran und Saudi Arabien fließt ein so großer Teil des weltweiten Gas- und Ölbedarfs, dass eine Beeinträchtigung nicht nur die Preise für beide fossile Rohstoffe explodieren lassen dürfte, sondern auch die Versorgung einzelner Länder bedrohen könnte - inklusive der britischen Gasversorgung.

Dass die fossilen Energieträger konfliktreich sind, wissen wir nicht erst, seit die Familiendynastie Bush zweimal im Irak einmarschiert ist oder seitdem eine Bundeswehr-Studie zu Peak Oil die Öffentlichkeit erreichte. Großbritannien erlebt dieser Tage seinen nächsten Ölkonflikt, der an einen alten Konflikt anknüpft: Rund um die Falkland-Inseln wird Öl vermutet und zwischen Argentinien und der alten Kolonialmacht findet bereits altbekanntes Säbelrasseln statt.

Dass die britische Insel auch bei Kohle auf Importe angewiesen ist, macht die Situation nicht besser. Auf über 40% stieg die Importabhängigkeit für Energie im 3. Quartal 2011, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern liegt bei fast 90%. Diese Erkenntnis ist sicherlich Antrieb dafür, dass ausgerechnet in Großbritannien die Idee der Transition Towns entstand, der "Städte im Wandel", die auf kommunaler Ebene die Energiewende nicht nur mit technischen, sondern vor allem mit sozialen Entwicklungen angehen wollen.

Die Idee, dass die Energiewende auch eine Kulturwende sein könnte, ist im deutschen Diskurs bislang nicht angekommen. Dort dominieren Rufe nach Anhebung der Entfernungspauschale und dem Absenken der Energiesteuern als Reaktion auf die steigenden Ölpreise. Dass Energie inflationsbereinigt weiterhin historisch billig ist und Steuersenkungen den absehbaren Preisanstiegen aufgrund des "Ende des billigen Öls" nur zeitweise etwas entgegensetzen können, wird kaum debattiert. Populismus regiert. Dabei könnte ein Blick auf die britische Förderentwicklung auch Kerneuropa zeigen, wo seine Zukunft liegt: In sinkender Verfügbarkeit fossiler Energieträger bei gleichzeitigem Preisanstieg. Kein Wunder, dass Großbritannien eines der wenigen Länder ist, wo man Statistiken über Energiearmut führt.

Norwegen hat seinen Peak Oil 2001 erreicht. Die deutsche Ölhoffnung Mittelplate, ebenfalls in der Nordsee beheimatet, erreichte seinen Peak 2003. Für ein Land, das nur 2% seines Ölverbauchs selbst produziert (zu großen Teilen auf Mittelplate) und 98% importiert (überwiegend aus Russland und von den Nordseeproduzenten), sollten die steigenden Benzinpreise eigentlich ein Weckruf sein: Die Zeit des billigen Öls ist vorbei! Wir befinden uns in der Phase, in der sich die Fördermengen nicht mehr nennenswert steigern lassen, daran ändern auch die neuen Fördermethoden wie Fracking und Tiefseeförderung wenig, die mit hohen Risiken (Riskante Förderung in der Nordsee) und "Umweltverbrauch" einhergehen. Steuersenkungen verschieben das Problem nur kurzfristig - weg von den Tankstellen hin zum Staatsbankrott. Bleibt zu hoffen, dass die Medien und die Politik sich intensiver mit der Fördersituation in den Lieferländern beschäftigen und zu langfristigeren Strategien kommen.

Gelegenheit dazu ist bald. In Berlin findet am 21. Mai die Jahrestagung der deutsche ASPO-Sektion (Association for the Study of Peak Oil & Gas) statt, die sich dieses Jahr primär dem "Hoffnungsträger unkonventionelles Erdgas" widmet. Vom 30. Mai bis 1. Juni tagt das internationale ASPO-Netzwerk in der direkten Nachbarschaft der OPEC: in Wien.