Welle schwerer Verbrechen in Bulgarien seit Jahresbeginn

Ein Gespenst ist zurückgekehrt nach Bulgarien, das Gespenst der "öffentlichen Auftragsmorde"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Drei Männer wurden in nur zwei Wochen im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt Sofia erschossen. Als "öffentliche Auftragsmorde" bezeichnen die Bulgaren auf offener Straße begangene Kapitalverbrechen, die zuweilen durch ferngesteuerte Sprengsätze, zumeist aber von Pistolenschützen ausgeübt werden. Bei ihnen wird davon ausgegangen, dass der Täter im Auftrag zahlender Dritter handelt.

Screenshot aus einem Video des Innenministeriums über die Polizeieinsätze gegen die Organisierte Kriminalität

Bis vor einigen Jahren war das Balkanland für spektakuläre Mordanschläge berüchtigt. 105 fatale Attentate hat die Gerichtsreporterin der Tageszeitung Trud, Anna Sarkova, in ihrem Standardwerk "Die großen Morde" für den Zeitraum 1993 bis 2001 aufgelistet. Und das Sofioter "Zentrum zur Erforschung der Demokratie" (CSD) geht in seinem aktuellen Bericht zur organisierten Kriminalität in Bulgarien von 138 Auftragsmorden zwischen 2001 bis 2011 aus.

Viele der in den letzten zwanzig Jahren Mordanschlägen zum Opfer gefallenen "Businessmen" waren bereits zu Lebzeiten Legenden. Dies gilt für den am 25. April 1995 ermordeten Begründer der "starken Gruppierung" VIS, Vassil Iliev, ebenso wie für den am 10. Februar 1996 erschossenen Andrej Lukanov, Bulgariens letzter kommunistischer Ministerpräsident. Als "Reichster der Bulgaren", mit einem geschätzten Vermögen von 1,5 Milliarden US-Dollar, fiel am 7. März 2003 Ilja Pavlov, Chef des Wirtschaftskonglomerats Multigroup, einem Scharfschützen zum Opfer. Und am 5. Januar 2010 wurde der als begnadeter Schwindler geltende "Mafia-Autor" Bobby Zankov auf dem Weg zu seinem Anwalt hinterrücks erschossen. Überbelegung und mangelhafte hygienische Bedingungen sind für Bulgariens Haftanstalten charakteristisch. Das Gefängnis der nordostbulgarischen Provinzstadt Schumen aber ist für besonders widrige Haftbedingungen bekannt. In ihm sitzen seit Herbst 2010 fünf Männer, die Bulgariens Innenminister Tsvetan Tsvetanov "Killerite" (die Killer) nennt.

"Wir fangen sie, aber die Richter lassen sie wieder laufen"

Auf einer Pressekonferenz im Juli 2010 hatte Tsvetanov die Aufklärung des wenige Wochen zuvor verübten Mordes an dem Geschäftsmann Juri Galev und die Verhaftung einer "Bande von Auftragskillern" gemeldet. "Erstmals ist es uns gelungen, eine Gruppe von Auftragsmörder in all ihren Hierarchieebenen zu überführen, vom Auftraggeber über Organisator, Waffenbeschaffer bis zum direkten Täter", freute sich Tsvetanov damals im Beisein seines Regierungschefs Boiko Borissov.

Wie zuvor bereits bei den großmaßstäblichen und medial begleiteten Polizeioperationen "Naglite" (Die Frechen) gegen angebliche Entführer und "Oktopod" (Oktopus) gegen den als "Kopf der Mafia" bezeichneten Ex-Geheimdienstagenten Alexej Petrov präsentierte Minister Tsvetanov in der Manier eines Tatort-Detektivs ein detailliertes Organisationsschema der mutmaßlichen "Killerbande". Wenig später musste es ihn wütend machen, dass die Richter die Festgenommenen wegen nicht ausreichender Beweislage wieder auf freien Fuß setzten. Es dauerte aber nicht lange, bis Tsvetanovs Polizeibeamte die Verdächtigen erneut festsetzten und ins Gefängnis nach Schumen brachten, wo sie derzeit vor Gericht stehen.

"Wir fangen sie, aber die Richter lassen sie wieder laufen", lautet ein geflügeltes Wort, das Ministerpräsident Boiko Borissov in seiner Zeit als Hauptsekretär im Innenministerium von 2001 bis 2005 prägte, als er Bulgariens oberster Verbrechensbekämpfer war. Auftragsmörder hatten damals Hochkonjunktur, wurden im Jahr 2003 durchschnittlich alle zwei Wochen aktiv. Trotz einer äußerst niedrigen Erfolgsquote bei der Verbrechensaufklärung erwarb sich "General" Borissov damals mit seiner populären Art die Sympathien der Bulgaren. Sie wählten ihn 2005 zum Bürgermeister Sofias und 2009 gar zum Regierungschef.

Screenshot aus einem Video des Innenministeriums über die Polizeieinsätze gegen die Orgaanisierte Kriminalität

Der von der Regierung ausgerufene Kampf gegen die organisierte Kriminalität hatte nur vorübergehend Erfolge vorzuweisen

Das Kabinett Borissov rühmt sich, durch "entschlossen Kampf gegen das organisierte Verbrechen" die bis 2009 akute Epidemie an Entführungsfällen beseitigt und die Zahl öffentliche Auftragsmorde drastisch reduziert zu haben. Tatsächlich registrierte CSD für die Jahre 2010 und 2011 mit 3 bzw. 2 registrierten Auftragsmorden historische Tiefststände seit Anfang der 1990er Jahre. Die Tatsache aber, dass sich zuletzt in nur zwei Monaten fünf öffentliche und zwei diskretere Mafiamorde ereigneten, dürften beim Regierungschef und seinem Innenminister die Alarmglocken läuten lassen.

Am Vormittag des 17. Februar befand sich der 30-jährige Drogenhändler Assen Lasarov mit zwei Freundinnen in seiner Wohnung am Sofioter Boulevard Zar Boris III., als sein Handy klingelte. Er verließ das Haus, um "kurz etwas zu erledigen". Als er nicht zurückkam, gingen seine Bekannten aus dem Haus und fanden ihn vor der Haustür erschossen in seinem Blut liegen.

Der mit Meeresfrüchten handelnde Jordan Harasimov näherte sich am Freitagmorgen des 24. Februar 2012 mit seinem Audi einer Straßenkreuzung im Zentrum der bulgarischen Schwarzmeerkapitale Varna, als ein an seinem Auto angebrachter Sprengsatz explodierte. Zwei schwarze Limousinen entfernten sich in eiliger Fahrt vom Tatort, der 52-jährige Harasimov starb im Krankenhaus.

Im Dezember 2009 war Kiril Kirilov alias Schkaffa (der Schrank) im Rahmen der Polizeiaktion Naglite als mutmaßlicher Entführer verhaftet worden. Anfang April sollte er zusammen mit acht angeblichen Komplizen im Sofioter Stadtgericht sein Urteil wegen der ihm vorgeworfenen Beteiligung an Entführungsfällen hören. Doch dazu kam es nicht, da er in der Nacht des 24. März auf dem Nachhauseweg vor seinem Wohnblock im Sofioter Plattenbauviertel Mladost (Jugend) erschossen wurde.

Der 39-jährige Jordan Dinov war als Repräsentant der österreichischen Firma für Sportwetten Sky Sport 365 erfolgreich, hatte in wenigen Jahren ein Netz von rund einhundert Wettfilialen etabliert. Als ihn sein Killer am 4. April um 9 Uhr morgens im zentralen Altstadtviertel von Sofia mit drei Schüssen aus Nahdistanz niederstreckte, führte er rund 20.000 € in verschiedenen Währungen mit sich.

Als der 53-jährige Vasil Lasov aka Schelesnia (der Eiserne) am 9. April in der Nähe seiner Wohnung aus dem Auto stieg, wurde er von drei Kugeln in den Kopf getroffen, die ihm die halbe Schädeldecke wegsprengten. Kinder, von einem nahegelegenen Spielplatz kommend, fanden ihn und alarmierten die Polizei. Lasov soll sich mit Zinswucher beschäftigt haben, schreiben die Gazetten.

Fünf maskierte Männer mit Maschinengewehren beraubten am frühen Abend des 11. April einen Geldtransporter im nordostbulgarischen Sevlievo und erbeuteten ersten Meldungen zufolge zwei Millionen Lewa (eine Million Euro). Menschen kamen dabei nicht zu Schaden, doch die Tat reiht sich ein in die Serie schwerer Verbrechen seit Anfang des Jahres. Sie ist ein klares Indiz dafür, dass es der bulgarischen Regierung in zweieinhalb Jahren trotz medialer Polizeiaktionen mit klingenden Code-Namen nicht gelungen ist, das Problem der organisierten Kriminalität nachhaltig zu lösen.