50 Prozent Windkraft bis 2020

Die Energie- und Klimawochenschau: Von japanischer Desinformationspolitik, türkisch-chinesischen Windrädern, dänischen Fortschritten und gefährlichen Eisbergen vor Neufundland

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Nutzung der Atomkraft und Demokratie vertragen sich nicht recht. Die westdeutsche Anti-AKW-Bewegung hat das bereits in den 1970ern erfahren, als sie noch nicht die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hatte, sondern von den diversen Bundes- und Landesregierungen kriminalisiert, von Geheimdiensten überwacht und immer wieder mit brachialer Polizeigewalt konfrontiert wurde. Zumindest Letzteres hat, wenn es ums niedersächsische Wendland geht, bis heute Bestand.

Auch die japanischen Erfahrungen belegen die Unvereinbarkeit von demokratischen Gepflogenheiten wie Pressefreiheit, Offenheit und Informationspflicht der Behörden mit dem Betrieb von so gefährlichen wie profitablen Atommeilern.

Davon berichtete letzte Woche der japanische Journalist Takashi Uesugi auf einer Rundreise durch verschiedene deutsche Städte. Uesugi war am 15. März 2011, vier Tage nach dem Beginn der multiplen Reaktorkatastrophe im AKW Fukushima Daiichi, von seinem Fernsehsender gefeuert worden, weil er in einer Lifesendung berichtet hatte, dass im Reaktor 3 Radioaktivität austritt.

Sein Fall sei kein Einzelschicksal, berichtet der Journalist und Fernsehmoderator, der auf Einladung der IPPNW, der Internationalen Ärzte und Ärztinnen zur Verhinderung eines Atomkrieges, durch die Republik tourte. 28 weitere Kollegen seien gefeuert worden. Der Fukushima-Betreiber TEPCO gehöre zu den größten Geldgebern der Massenmedien.

Entsprechend sei deren Berichterstattung. Während die Behörden wichtige Informationen über den Zustand der Reaktoren oder den Grad der radioaktiven Belastung monatelang zurückhalten, Messungen manipulieren und Grenzwerte heraufsetzen, finden sich kaum noch Medien, die derlei kritisch hinterfragen und Gegenöffentlichkeit schaffen.

Auch über die Proteste werde in der inländischen Presse kaum oder gar nicht berichtet. So habe es zum Beispiel letzte Woche große Demonstrationen gegen die Wiederinbetriebnahme der Reaktoren Oi 3 und 4 gegeben, die von der Regierung betrieben wird. Bisher allerdings erfolglos (Ab 6. Mai wird kein AKW in Japan mehr am Netz sein). Es gebe zwar inzwischen unabhängige Messstellen, aber kritische Wissenschaftler und Journalisten würden ausgegrenzt und hätten es sehr schwer, ihre Informationen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Angesichts einer derartigen Informationspolitik ist es beachtlich, dass sich immer noch ein größerer Teil der japanischen Bevölkerung gegen die Wiederinbetriebnahme der abgeschalteten AKWs stemmt. Auch der sich beschleunigende Ausbau der erneuerbaren Energieträger im Land der aufgehenden Sonne lässt hoffen (Offshore-Fotovoltaik in Japan).

Viel Wind

Auch anderswo geht es diesbezüglich voran. Während hierzulande die schwarz-gelbe Koalition alles dran setzt, den Ausbau vor allem der Solarenergie zu verzögern, sind die erneuerbaren Energieträger in immer mehr Ländern auf dem Vormarsch. Zum Beispiel auch in der Türkei, wo der chinesische Hersteller Sinovel gerade dabei ist, einen Großauftrag an Land zu ziehen.

Ali Ağaoğlu, Chef der Ağaoğlu-Gruppe, die mit Sinovel über die Lieferung von Türmen und Turbinen für ein 600-Megawatt-Projekt verhandelt, will offensichtlich ganz groß ins Geschäft einsteigen. Das Vorhaben, an dem Sinovel sich beteiligen soll, wird insgesamt einen Umfang von rund 764 Millionen Euro, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Bereits Anfang März hieß es bei Ağaoğlu, dass man in den nächsten drei Jahren 2.5 Milliarden Türkische Lira (etwa 1,06 Milliarden Euro) in den Windsektor investieren wolle.

Konzernchef Ağaoğlu hofft, die schlechte Position der Türkei im Außenhandel verbessern zu können. Mehr als die Hälfte des Handelsbilanzdefizits gehe auf Energieimporte zurück. Ende 2011 war in der Türkei eine Windleistung von 1799 MW installiert. 470 MW waren im letzten Jahr hinzugekommen. Bis 2023 will die Türkei 30 Prozent ihres Bedarfs an elektrischer Energie mit Hilfe erneuerbarer Energieträger abdecken.

Windkraftanlagen an der dänischen Küste in Bønnerup Strand. Bild: Dirk Goldhahn/CC BY-SA 2.5

In neue Dimensionen stößt derweil Dänemark, das Mutterland der Windindustrie, vor. Nachdem die Windbranche dort im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends zunächst lange Zeit auf hohem Niveau stagniert hatte, weil das Land sich eine extrem neoliberale und rassistische Regierung leistete, die von erneuerbaren Energieträgern wenig hielt, nahm der Ausbau der Windenergie zuletzt wieder an Fahrt auf. Während Windräder jahrelang maximal 20 Prozent zur Stromproduktion beigetragen haben, waren es 2011 nach unterschiedlichen Angaben zwischen 24 und 28,2 Prozent. Damit ist das Land weiter einsamer Spitzenreiter.

Die neue sozialdemokratische Regierung hat sich aber weitergehende Ziele gesteckt, wie der britische Guardian schreibt. Bis 2020 soll die Hälfte des Stroms von Windrädern geliefert und zugleich der Energieverbrauch deutlich gesenkt werden. Für das Land hat das auch eine wesentliche ökonomische Dimensionen, denn von der Importkohle einmal abgesehen ist es seit langem Selbstversorger in Sachen Energie. Seine Ölfelder in der Nordsee haben bisher genug hergegeben, um die Kraftfahrzeugflotte am Laufen zu halten. Angesichts zurückgehender Förderung wird damit aber demnächst Schluss sein, weswegen sich schon bald der steigende Ölpreis in der Außenhandelsbilanz niederschlagen wird. Gegensteuern könnte neben dem Ausbau der Windenergie auch ein Elektro-Auto-Projekt, das allerdings noch immer nicht seine Vorbereitungsphase abgeschlossen hat.

Was die installierte Leistung angeht, führt allerdings weiter China mit inzwischen 62,4 GW. Sollte der Zubau sich weiter wie in den letzten Jahren um die 18 GW jährlich bewegen, wird sich an der Spitzenposition der Volksrepublik wohl kaum so schnell etwas ändern. Die USA haben inzwischen 46,9 GW installiert, und die dortige Industrie hat sich in den letzten Jahren kräftig entwickelt, wie ein Bericht der Amerikanischen Windenergie Vereinigung AWEA zeigt. Zugleich muss die Branche derzeit aber wieder einmal um die Verlängerung ihrer Steuerprivilegien bangen. Mehrmals schon sind diese in den vergangenen Jahren erloschen und erst nach ein oder zwei Jahren erneuert worden. Das ewige Auf-und-Ab hat der Industrie meist stark zugesetzt.

Hierzulande geht es derweil zumindest der Windindustrie prächtig. Im letzten Jahr sind 2009 MW neuer Leistung ans Netz gegangen, was seit Jahren das beste Ergebnis und gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um rund 30 Prozent war. In diesem Jahr könnte es sogar noch mehr werden, denn auch Offshore tut sich einiges. Parks mit einer Leistung von 1600 MW befinden sich vor den Küsten im Bau. Das Geschäft lockt inzwischen auch diverse ausländische Unternehmen an, um deren Investitionen die Bundesregierung aktiv wirbt. In Wilhelmshaven ist bereits eine chinesische Firma mit 50 Millionen Euro in den Bau von Stahlfundamenten für die Offshore-Anlagen eingestiegen.

Insellösungen

Fortschritte gibt es auch an Orten, wo bis vor kurzem noch ganz auf Erdöl gesetzt wurde. Auf den Färöern zum Beispiel, eine autonome Inselgruppe mitten im Atlantik, die nur noch wiederwillig Verbindung zu Dänemark hält. Dort hatte die Mehrheit im Løgting, nach Angaben auf Wikipedia eines der ältesten Parlamente der Welt, bis vor kurzem einseitige Hoffnungen in die Ölförderung in den Küstengewässern gesetzt.

Doch die neue Regierung hält mehr vom Klimaschutz und hat sich auf das enorme Windpotenzial der Inseln besonnen. Derzeit wird noch 55 Prozent des Stroms mit Dieselgeneratoren gewonnen. An Windleistung sind nur ein paar alte Anlagen mit zusammen vier Megawatt installiert.

Das soll sich in den nächsten Jahren ändern. Bis 2020 sollen die erneuerbaren Energieträger bereits 75 Prozent des Bedarfs decken und die CO2-Emissionen um 20 Prozent gesenkt werden. Langfristig ist daran gedacht, den gesamten Verkehr an Land auf Erneuerbare und die Heizungen auf elektrische Wärmepumpen umzustellen. Die Elektrizitätsversorgung könnte später durch die Kombination von Wasser- und Windkraft sowie Pumpspeichern vollständig abgedeckt werden. Nur bei den Dieselmotoren der Kutter und Schiffe ist man sich noch nicht recht schlüssig, welche klimafreundliche Lösung in Betracht kommt.

Eisberg-Vorhersagekarte für April und Mai 1912, die auf Berichten von Schiffen basierte, die die Region passierten. Bild: DWD

Lehren der "Titanic"-Katastrophe

Dieser Tage hat sich der Untergang des britischen Luxusliners "Titanic" zum hundertsten Male gejährt. Am späten Abend des 14. April 1912 stieß das Schiff südwestlich des kanadischen Neufundlands auf einen Eisberg, der seinen Rumpf aufriss. Zweieinhalb Stunden später ging es unter und riss rund 1500 Menschen mit in die Tiefe. Der Deutsche Wetterdienst gedachte dem tragischen Ereignis mit einer Sondersendung seines Wetterfunksenders.

Eisberge sind übrigens auch heute vor der nördlichen Küste Nordamerikas keine Seltenheit. Zehntausende bis Hunderttausende driften ständig durch die arktischen Gewässer, heißt bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, und die allermeisten davon dürften im nördlichen Nordatlantik anzutreffen sein. Denn die Hauptquelle der Eisberge ist nicht etwa das zurückgehende Meereis. Vielmehr brechen die Berge vor allem von den Gletschern Grönlands ab und treiben hauptsächlich westlich der Riesen-Insel nach Süden.

Das gelbe Rechteck markiert das Operationsgebiet der Internationalen Eis Patrouille. In dessen Süden ist der Untergangsort der "Titanic" markiert. Rot sind die transatlantischen Schifffahrtsrouten eingezeichnet. Bild: IIP/ESA

Eine unmittelbare Lehre aus dem Untergang der "Titanic" war die Einrichtung der Internationalen Eispatrouille, die bereits im Folgejahr ihren Dienst aufnahm und seit 1913 die internationale Schifffahrt mit Daten über die Gefahrenlage versorgt. Nach eigener Darstellung ist seitdem kein Schiff, das die von der Patrouille bekanntgegebene Eisgrenze nicht überfahren hat, zu Schaden gekommen.

Die Beobachtungen wurden zunächst mit Patrouillenbooten der US-Küstenwache gemacht und per Telegraph übertragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging man dann zu regelmäßigen Erkundungsflügen über. Seit 1992 werden auch Satellitendaten zur Hilfe genommen, die aber bisher die Flüge nicht ganz haben ersetzen können. Die Satelliten-Radars können zwar auch nachts und bei Bewölkung Daten sammeln, haben aber unter anderem Schwierigkeiten, zwischen Eisbergen und Schiffen zu unterscheiden.