Die Piratenreligion breitet sich aus - nur nicht in Deutschland

Ende 2011 wurde die Kopimismuskirche in Schweden als Religion offiziell anerkannt, nun soll sie auch in den USA und anderen Ländern durch Kopieren verbreitet und als Kirche institutionalisiert werden

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In Schweden sind die Piraten um Pirate Bay entstanden, politisch haben sie jedoch keinen wirklichen Durchbruch geschafft, auch wenn immerhin zwei Piraten im Europarlament Abgeordnete wurden. In Deutschland feiert die Piratenpartei hingegen noch einen Erfolg nach dem anderen, sie zieht in die Landtage ein und die Mitgliederzahl wächst schnell. Vielleicht in Ermangelung einer erfolgreichen politischen Partei breitet sich in anderen Ländern eine Piratenreligion aus und sollen neue Kirchen gegründet werden: die Kopimismuskirche oder die Missionary Church of Kopimism in Uppsala. In Deutschland gibt es bislang nur eine inoffizielle, private Webseite.

Im schwedischen Uppsala hatte der Philosophiestudent Isak Gerson, der bei den schwedischen Jungpiraten ist, 2010 die Kirche Missionerande Kopimistsamfundet zusammen mit anderen Mitgliedern der Piratenpartei gegründet. Kopimi ist eine Übersetzung des obersten Gebots "Copy me". Und Gersonkonnte über ein mediales Echo hinaus auch bereits einen Erfolg erzielen, da die von ihm begründete Religion Ende 2011 in Schweden nach mehreren Anläufen offiziell anerkannt wurde. Seitdem soll auch die Zahl der Mitglieder stark angestiegen sein und schon mehr als 3000 betragen.

Dabei soll es nicht bleiben, denn es handelt sich ja um eine Religion mit Missionsauftrag. Bislang haben sich schon einige Anhänger weltweit gefunden, die Websites für die neue Kirche eingerichtet haben und deren Anerkennung einfordern wollen - dabei wurde die Vorlage fleißig oder eher ganz nach Vorschrift kopiert und teilweise übersetzt. Schließlich ist der Grundsatz der neuen Religion die heilige Pflicht zu kopieren. Die Vertreter und Befürworter des Urheberrechts - "Copyright-Gläubige" - würden nur das Wissen beschränken wollen, während die neue Religion den unbedingten Zugang zu allen hergestellten Informationen fordert. Heilig sollen das Wissen, die Suche nach Wissen und die Zirkulation des Wissens sein, weil der Sinn des Lebens "im Kopieren, Verbreiten und Mischen von Informationen" liege. Daher wird Copy&Paste zum Sakrament oder zumindest zu einem Ritual, das fortdauernd umgesetzt werden soll, und auch das unzensierte und nicht reglementierte Internet als unverzichtbares Mittel zum digitalen Kopieren wird heilig gesprochen.

In den USA hat der Student Christopher Carmean bislang einen Ableger in Illinois gegründet, wo die neue Religion auch registriert werden konnte. 450 Personen hätten sich bereits als Anhänger bekundet, aktiv tätig beim heiligen Kopieren - kopyacting - seien an die 30. Der US-amerikanische Kirchengründer will sich nun darum bemühen, die Kopimismus-Religion auch landesweit anerkennen zu lassen. Wie andere Fundamentalisten gelten Gesetze eines demokratischen Rechtsstaats für ihn nicht viel. Man dürfe nicht allein darauf ausgerichtet sein, die Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums zu verändern, sagt er. Gesetze könne man auch ignorieren und die Menschen unabhängig von den Gesetzen bestärken, Informationen zu verbreiten.

Die Anhänger der Kirche fühlen sich, wie immer wenn neue Sekten oder Religionen entstehen, bedroht. Da sie die Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums untergraben, würden sie verfolgt und unterdrückt. Zwar muss die Kritik an den Gesetzen, die analog und digital Verschlüsselung verbieten oder verhindern, öffentlich geäußert werden. Verschlüsselung aber sei gerade in repressiven Staaten notwendig, "um den Gottesdienst und die pastoralen Aktivitäten ungestört und ohne Bedrohung der Sicherheit der Gläubigen vollziehen zu können". Dann aber kopiert man hinter verschlossenen Türen und verletzt die Prinzipien der Religion. So aber ist das nun mal, wenn Visionen in der Realität ankommen, das war und ist in den großen Kirchen schließlich nicht anders.

Die "Freiheit zu kopieren" haben freilich nicht nur zahlreiche Internetnutzer oder Raubkopierer umgesetzt, sondern sie wurde auch zur Grundlage von Geschäftemachern, die ausprobieren oder ausprobiert haben, wie weit sie gehen können, und zum beliebten Mittel von Schülern, Studenten, Doktoranden und anderen geistigen oder kulturellen Produzenten. Hier wurde allerdings diese Kulturpraxis des digitalen Zeitalters nicht verklärt oder heiliggesprochen, sondern klammheimlich praktiziert.

Leben ist kopieren

Die Church of Kopimism ist ein dadaistischer Anschlag auf die bürgerliche Eigentumsgesellschaft und die weiterhin in ihr gepflegten und geschützten Religionen. Die Idee ist ein wenig teuflisch. Könnte man es erreichen, den Kopimismus als Religion und als Kirche gesellschaftlich durchzusetzen, dann müsste die garantierte Religionsfreiheit auch die Rituale legitimieren, also auch das freie Kopieren von allem und jedem. Das kann natürlich in Staaten nicht funktionieren, in denen Religion und Staat getrennt sind, so dass der Kopimismus als Religion eigentlich einen religiösen Staat anstreben müsste, der aber wiederum kein Gottesstaat sein könnte, wie dies religiöse Fundamentalisten mit Verweis auf jeweils wörtlich zu verstehende Bücher Gottes anstreben, sondern ein Staat, der auf den natürlichen Evolutionsgesetzen basiert. Die Vertreter der Kopierkirche wollen sich nicht auf Götter oder übernatürliche Kräfte beziehen, sondern eine natürliche Ordnung vertreten. Sie beziehen sich auf das Leben, das mit der elementaren Möglichkeit der Reproduktion der DNA, der grundlegenden Informationseinheit, entstanden sei: "Reproduktion ist die Urbedingung für die Zellteilung und für das Leben, wie wir es kennen."

Das ist schön und gewagt gedacht, aber es gab auch in der Evolution permanent den Kampf, die Reproduktion zu sichern und Raubkopierer wie Viren oder Krebszellen abzuwehren. Sexualität beispielsweise ist eine evolutionäre Erfindung gewesen, um das bakterielle Raubkopieren einzuschränken, also die Zirkulation von Informationen egoistisch für die Art einzuschränken. Zudem wird auch das Ablesen und Kopieren auf der Ebene der Zellen bei mehrzelligen Lebewesen streng geregelt, wildes Kopieren oder eher Austauschen von Genen findet man nur bei Bakterien. Ganz so einfach ist es also nicht mit der evolutionär gestützten Religion des Kopieren, auch wenn Kopieren prinzipiell natürlich "für das Leben fundamental" ist.

Aber die "Kirche" der Kopierer hat auch einen expliziten missionarischen Auftrag, nämlich den Auftrag, permanent Information zu tauschen - "zur Freude von Jedermann". Ausgeschlossen werden soll niemand, jeder soll auf alle Informationen Zugriff haben, alle verteilen die Informationen oder das Wissen, wobei Information und Wissen selbstverständlich nicht dasselbe sind. Zwar kann man Informationen kopieren und tauschen, ohne diese zu verstehen oder ein Wissen von ihnen zu haben, aber ein Wissen setzt voraus, Informationen auch entschlüsseln und verstehen zu können, der reine Zugang zu Informationen ist für die Ausbildung von Wissen nicht ausreichend.

"Kopieren ist erzeugen"

Das Erzeugen von Information kommt allerdings ein wenig kurz. Als Grundlage dienen Sprachen, sie würden zeigen, dass die Verbreitung von Kultur mit dem Schaffen einhergehe. Wenn sich Sprache und Kultur nicht verbreitet, würden sie nutzlos werden. So landet man dann bei dem Glaubenssatz: "Kopieren ist erzeugen. Etwas zu erzeugen, ist kopieren. Dass etwas aus dem Nichts heraus entsteht, ist eine absurde Idee."

Ach ja, es gibt auch ein Symbol für die neue Kirche: eine Pyramide mit einem C (für copy) oder einem K (für kopiera). Allerdings gibt man sich so frei, dass jeder auch andere Symbole kopieren, schaffen und remixen kann. Wichtig ist auch noch "ctrl C + ctrl V" oder der Spruch (Segen?): "Copy and Seed". Und die heiligen Orte sind im Prinzip überall einrichtbare "Interaction Points", die aber nicht Gegnern der Kirche überwacht werden dürfen. Und wie wird man ein Kopimist? Ganz einfach: Man schickt via Email seinen Namen an die Kirche, während man ein Symbol der Kirche kopiert. Das Aufnahmeritual" ist dann doch wohl zu gefinkelt, so dass es auch einen weiteren Vorschlag gibt: Wer mit den Werten und Zielen der Kirche übereinstimmt, ist schon in der Kirche aufgenommen und darf sich schon Kopimist nennen.

Warum also gibt es in Deutschland noch keine Kopimismuskirche? Sind die Mitglieder der Piratenpartei nur eine verdeckte Missionstruppe für die Religion des freien Kopierens? Sollen sie die Grundlage in stärker säkularisierten Staaten schaffen, um später den Kopimismus-Gottesstaat einzuführen? Oder ist die Piratenpartei ein weltlicher Ersatz für eine Kirche, die sowieso eine Schnapsidee oder ein philosophisches, aber kein politisches Studentenprojekt ist?