Die Quelle des Unglaubens

Gibt es ein Gottes-Gen? Flößt uns ein Glaubens-Zentrum im Gehirn religiöse Gefühle ein? Statt nach dem Sitz des Glaubens suchen Forscher jetzt nach der Ursache für Unglauben

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Es gibt sicher einfachere Forschungsgegenstände, als ausgerechnet den menschlichen Glauben mit den rationalen Mitteln der Wissenschaft zu untersuchen. Denn was immer dabei herauskommt, wird zwangsläufig manchem nicht gefallen. Das musste zum Beispiel der Biochemiker Dean Hamer erfahren, der 2004 mit seinem Buch "Das Gottes-Gen" eine erregte Diskussion anstieß. Die Idee einer genetischen Vorbestimmung und einer rein biochemischen Vermittlung des Glaubens stieß nicht nur bei Theologen auf Ablehnung, sondern auch bei Forscherkollegen, die ihm (wohl nicht ganz zu unrecht) voreilige Schlüsse und unzulässige Spekulationen vorhielten.

Sitzt Gott womöglich nicht in den Genen, sondern im Gehirn? Einen replizierbaren Beweis dafür haben Forscher bisher nicht gefunden, trotz anderslautender Behauptungen. Ein direkter Magnetresonanztomografie-Blick etwa in das Denkorgan von Nonnen zeigt, dass sich Religiosität im Hirn sehr unterschiedlich manifestiert. Allerdings existieren durchaus Gebiete, die sich typischerweise mit Glauben und Unglauben verknüpfen lassen.

In einer Studie legte man zum Beispiel Probanden Wissen vor, das diese entweder glaubten, nicht glaubten oder nicht beurteilen konnten. Dabei wurden jeweils unterschiedliche Areale aktiviert - und zwar unabhängig von der Art des Wissens. Verrät es etwas über den Nutzen des Glaubens, wenn man weiß, dass Unglauben sich zusätzlich in den Bereichen des Gehirns manifestiert, die man sonst Gefühlen wie Schmerz und Unbehagen zuordnet?

Lässt man den Schluss zu, dass Glauben nicht aus einer direkten Wechselwirkung mit einem Gott, sondern aus Vorgängen und Strukturen des Gehirns resultiert (anders wäre die von vielen Theologen postulierte "bewusste Entscheidung" zum Glauben auch nicht möglich), dann ist natürlich die Art und Weise der Denkprozesse interessant, die ihn ermöglichen.

Die kanadischen Psychologen Will Gervais und Ara Norenzayan versuchen sich in einem Artikel im Wissenschaftsmagazin Science genau daran. Darin widmen sie sich den Unterschieden zwischen analytischem und intuitivem Denken (vulgo "Bauchgefühl"). Tatsächlich gehört die Vorliebe für eine dieser Denkweisen zu den grundlegenden Persönlichkeitsmerkmalen eines Menschen. In welcher Beziehung steht dazu der religiöse Glaube?

Dazu entwarfen die Forscher fünf Versuche. In einer ersten Studie legten sie den Probanden Aufgaben vor, deren korrekte Lösung die analytische Korrektur einer ersten Bauch-Entscheidung erforderte, so etwa: Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 Dollar. Der Schläger kostet einen Dollar mehr als der Ball. Was kostet der Ball? Hier drängt sich zunächst die falsche Antwort "10 Cent" auf. Die Aktivierung des analytischen Denkens führte spontan zu einem interessanten Ergebnis: Bei einer anschließenden Befragung zu ihren religiösen Einstellungen ergab sich eine signifikante Verringerung der Religiosität.

Analytisches Denken: eine Quelle des Unglaubens

In den Folge-Experimenten 2 bis 5 versuchten die Forscher, die Ursache-Wirkungs-Beziehung zu konkretisieren und gleichzeitig mögliche Auswirkungen des Experiments selbst zu minimieren. Unter anderem legte man den Probanden Bilder von Kunstwerken vor, die analytisches Denken symbolisierten (etwa Rodins "Der Denker") - erneut ergab sich eine signifikante Verringerung der Religiosität im Vergleich zur Kontrollgruppe, der man neutrale Kunstwerke gezeigt hatte. In den Experimenten 3 und 4 mussten die Versuchsteilnehmer Sätze umstellen, die einmal auf die Ratio verweisende Wörter enthielten, bei der Kontrollgruppe aber neutral gestaltet waren.

Den letzten Versuch gestalteten die Forscher derart, dass die Probanden nicht einmal explizit analytisches Denken aktivieren mussten - man brachte ihr Gehirn lediglich in einen Zustand, von dem man weiß, dass er analytisches Denken anregt. Lernforscher haben nämlich herausgefunden, dass man sich Wissen NICHT umso leichter aneignet, je einfacher es präsentiert wird. Derselbe Satz, aber in einem schwerer lesbaren Font gedruckt, wird vom Gehirn besser erlernt, wohl weil es sich unterbewusst intensiver damit befasst. Die Forscher nutzten diese Verknüpfung, indem sie den Fragebogen bewusst in einem schwer lesbaren Zeichensatz präsentierten - und tatsächlich zeigten sich die damit traktierten Probanden erneut signifikant weniger religiös als die Kontrollgruppe.

Analytisches Denken scheint damit tatsächlich eine Quelle des Unglaubens zu sein. In ihrem Paper stellen die Forscher allerdings heraus, dass es wohl nicht die einzige Quelle ist. Als weitere Ursachen kommen demnach unter anderem bestimmte Defizite in den kognitiven Prozessen in Frage, die für die mentale Repräsentation religiöser Konzepte nötig sind (Unglauben wäre damit eine Art Minderleistung, jedenfalls in diesem Bereich), dazu kommen eine weitgehend säkulare Umwelt, die keine Anstöße für den Glauben liefert. Außerdem bestehen die Autoren darauf, mit ihrer Arbeit keine Bewertung bestimmter Denkstrukturen abgegeben zu haben.