Schalke, Sozialdemokraten, Gazprom und die Mafia

Für Jürgen Roth ist Gazprom eine politische, wirtschaftliche und geheimdienstliche Waffe der Kreml-Kleptokratie

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Jürgen Roth, geboren 1945, arbeitet seit 1971 als investigativer Journalist. "Gazprom - das unheimliche Imperium - Wie wir Verbraucher betrogen und Staaten erpresst werden" ist gerade im Westend-Verlag erschienen. Für Jürgen Roth ist Russland unter dem gerade wieder neu zum Präsidenten gewählten Putin ein durch und durch korrupter Staat. Der Energiekonzern Gazprom stützt nach seiner Ansicht das System Putin, Ex-Bundeskanzler Schröder, der schon zu seiner Amtszeit den Pipeline-Deal mit Putin eingefädelt hat, ist vom politischen Posten gleich zu Gazprom gewechselt. Kein Wunder, dass der Sozi nun auch gestern bei der erneuten Amtseinführung von Putin seine Aufwartung machte.

Wie gefällt es Ihnen, dass Schalke in der nächsten Spielzeit in der Champions League spielt und quer durch Europa reisen wird?

Jürgen Roth: Auf der einen Seite ist es mir ziemlich egal, weil ich kein Schalke-Fan bin. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein ziemlicher Imagegewinn für Gazprom. Damit machen die Schalke-Fans, ob sie wollen oder nicht, Propaganda für ein totalitäres System in Russland. Das halte ich für ziemlich zynisch. So gesehen wünsche ich mir, dass Schalke häufiger verliert.

Warum ist Gazprom kein normaler Konzern und damit auch kein normaler Sponsor?

Jürgen Roth: Gazprom ist eine politische, wirtschaftliche und geheimdienstliche Waffe der Kreml-Kleptokratie. Und Russland ist bis heute der korrupteste Staat in Europa. Von daher unterscheidet sich der Konzern von allen anderen Multis in der Welt. Natürlich gibt es auch bei denen Korruption – insbesondere bei den Energiekonzernen – und das Geld fließt in die Taschen der Aktionäre. Nur der zentrale Unterschied ist, dass sie in aller Regel in demokratischen Staaten beheimatet sind. Dort gibt es einen mehr oder weniger funktionierenden Rechtstaat, ein demokratisches System, und es herrscht zumindest ein wenig Transparenz. All das trifft auf Gazprom beziehungsweise Russland nicht zu.

Die persönlichen Verbindungen des russischen Staatsapparats liegen aber doch in der Vergangenheit?

Jürgen Roth: Die liegen nicht in der Vergangenheit, sondern funktionieren bis heute. Putin und Medwedew wären ohne Gazprom nicht dort, wo sie heute stehen. Gazprom wäre auf der anderen Seite nicht der mächtige imperiale Konzern – diese politische Waffe eines durch und durch korrupten Systems. Medwedew ist da eher eine austauschbare Figur im Spiel um Macht und skrupellose persönliche Bereicherung. Im Wesentlichen hängt das System Putin ja immer noch von seinen Freunden im einstigen KGB, dem heutigen FSB, ab.

Eine kleine Clique im Kreml streicht die Gewinne ein

Wie einflussreich ist Gazprom, wenn man das in Zahlen ausdrückt?

Jürgen Roth: Das weiß niemand so genau. Es arbeiten ungefähr 400.000 Menschen für Gazprom und in der Regel werden jährlich 30 bis 40 Milliarden Euro Profit gemacht. Der russische Staat ist mit über 50 Prozent an Gazprom beteiligt. Die erwirtschafteten Gewinne werden nicht an die Bevölkerung weitergegeben. Sie verschwinden nach meinen Recherchen vielmehr in den privaten Taschen einer kleinen Clique im Kreml, die damit ihren Reichtum mehren und ihre feudale Herrschaft zementieren. Von daher haben die normalen Bürger in Russland ziemlich wenig von den Profiten, die mit und über Gazprom erwirtschaftet werden.

Welche Methoden setzt der Konzern ein, um seine Interessen durchzusetzen?

Jürgen Roth: Es gibt Beziehungen zwischen Gazprom, den vielen Tochtergesellschaften und klassischen Kriminellen, zum Beispiel dem Top-Gangster Semion Mogilevich. Ein anderer, Sergej Mikhailov, von europäischen Sicherheitsbehörden als Top-Gangster bezeichnet, wird sogar von Gazprom gesponsert. Also nicht nur Schalke. Da kann der Konzern nicht sagen, dass man nichts davon weiß.

Es gibt das Prinzip der Erpressung von Politikern. Es werden Konkurrenzfirmen liquidiert, um die Monopolstellung zu verteidigen - und das trifft auch seriöse Unternehmen in Russland selber. Da gibt es das Beispiel vom Hedge-Fond-Besitzer William Browder, der in Gazprom investiert hat. Bei der von ihm eingeforderten Offenlegung der Bücher hat er festgestellt, dass die Bilanzen sehr unsauber waren und Firmenanteile an Putins Freunde zu extrem günstigen Preisen verscherbelt wurden. Deshalb gab es dann ein Verfahren wegen Steuerbetrugs gegen ihn und er durfte nicht mehr nach Russland einreisen. Sein Anwalt kam ins Gefängnis und wurde dort zu Tode geprügelt, weil er seinen Mandanten nicht belastet hatte. Die Beamten des FSB und der Steuerpolizei, die ihn ins Gefängnis brachten und für seinen Tod mitverantwortlich waren, sind seitdem Multimillionäre. Und nichts wurde gegen sie unternommen, weil sie den Segen des Kreml hatten.

Gerhard Schröder hat sich einfach verkauft

Bei den Aktivitäten in Deutschland spielen ja auch einige Politiker der SPD eine herausragende Rolle. Wie passt das zu den fragwürdigen Praktiken des Konzerns?

Jürgen Roth: Mit dem Begriff der Moral wäre ich bei der heutigen SPD vorsichtig. Ich spreche lieber von politischer Ethik - und solche Werte stehen ja auch im Grundsatzprogramm der SPD. Die werden natürlich durch bestimmte Repräsentanten der Partei - an der Spitze natürlich Gerd Schröder und jetzt auch Henning Voscherau – mit Füßen getreten. Die haben beide wichtige Posten bei Tochtergesellschaften von Gazprom übernommen.

Es kann ja nicht sein, dass ein Sozialdemokrat und ehemaliger Bundeskanzler in einem Konzern arbeitet, der ein undemokratisches und korruptes System stabilisiert. Schröder sagt ja immer noch, dass Wladimir Putin ein lupenreiner Demokrat sei. Ich habe nach den gefälschten Parlamentswahlen im Dezember letzten Jahres eine Reihe von Abgeordneten der SPD angeschrieben. Von Nahles, Oppermann bis Heil haben alle geantwortet, aber kein einziger hat zur Rolle ihres ehemaligen Vorsitzenden bei Gazprom und seinen unsäglichen Aussagen zu Putin als lupenreinen Demokraten Stellung genommen. Da haben sie allen den Schwanz eingezogen und das zeigt schon einen bedenklichen Zustand der ethischen Verkommenheit bestimmter Repräsentanten in der SPD.

Wie wichtig sind die Genossen für die Geschäfte von Putin und Co.?

Jürgen Roth: Gerhard Schröder wurde von Putin direkt ausgewählt für die Funktion bei North Stream, also einer Gazprom-Tochtergesellschaft. Er hat ja als Bundeskanzler das Projekt dieser Ostsee-Pipeline vehement durchgesetzt. Da hat er sich bereits gegen Nabucco-Pipeline entschieden – ein europäisches Projekt mit dem Ziel größerer Unabhängigkeit von Russland bei der Gasversorgung. Er ist sehr wichtig für das Image von Gazprom und dessen weltweiten Geschäfte.

Schalke beim Training. Bild: M. Voregger

Gerhard Schröder hat sich da einfach verkauft, man könnte auch sagen politisch-ethisch prostituiert. Die beiden Genossen haben sich auf jeden Fall gegen Europa und für sehr kurzfristige Profitinteressen von Gazprom und für die Kreml-Kleptokratie entschieden. Beide gehören dem neoliberalen Flügel der SPD an und das passt dann wieder zusammen.

Deutschland ist ja ein großer Abnehmer von Gas aus Russland. Welchen Nutzen haben die Verbraucher davon?

Jürgen Roth: Gazprom achtet darauf, den Gaspreis immer an den Ölpreis zu binden. Weltweit sinken die Gaspreise wegen des großen Angebots und die Ölpreise steigen. Das bezahlen wir schon mal durch immer höher steigende Gaspreise. Und die Lieferverträge sind immer sehr langfristig angelegt – 10, 15 oder 20 Jahre. Die Verbraucher profitieren hier also nicht von den weltweit sinkenden Preisen. Der Verbraucher zahlt außerdem, was die Verantwortlichen bei Gazprom in die eigene Tasche wirtschaften. Der Verbraucher zahlt auch die Kosten für den Bau der Pipelines, wo bis zu fünffach erhöhte Preise eingefordert werden. Das fließt in die Kassen von Putins Amigos. Der Verbraucher trägt schließlich (ohne es zu wollen) dazu bei, dass sich an den demokratiefeindlichen Verhältnissen in Russland nichts ändert.

Mit Gazprom wird ein kriminelles System gestützt

Der russische Konzern ist ja nur ein Akteur auf dem deutschen Markt - wie einflussreich ist er für die Energieversorgung?

Jürgen Roth: Gazprom ist der wichtigste Spieler auf dem deutschen Markt, denn er hat sehr enge Verbindung zu den deutschen Konzernen - egal ob EON, Wintershall oder RWE und zu den deutschen Top-Managern. Gazprom versucht direkt bis zum Endverbraucher vorzudringen und die gesamte Lieferkette abzudecken. Das hat dann ja quasi Monopolcharakter und die Preise können entsprechend bestimmt werden. Wir leben in Europa, haben auch Verantwortung für die anderen Länder und das gilt auch für Osteuropa. Hier sind einige Staaten mit bis zu 100 Prozent von Lieferungen aus Russland abhängig.

Was tun?

Jürgen Roth: Man muss Druck auf Gazprom ausüben und dafür sorgen, dass die Verträge für alle transparent sind. Es gibt Energiechartas von Transparency International und anderen Organisationen, die auf Transparenz bei den Preisen bestehen, dass alle Gaseinnahmen öffentlich gemacht werden und die Gewinne nicht auf irgendwelchen Offshore-Inseln landen wie den Caymans oder in Zug in der Schweiz. Transparenz bei der Preisgestaltung kann man beim Abschluss der Verträge verlangen.

Solche Forderungen werden von den Europäern ja gegenüber anderen undemokratischen Systemen gerne eingefordert – also Transparenz, demokratische Offenheit und Achtung der Menschenrechte und Ächtung der Korruption. Die Nabucco-Pipeline hätte eine Alternative sein können, da hier das Gas zum Beispiel aus Turkmenistan gekommen wäre. Allerdings herrschen hier auch Despoten und kriminelle Clans, die im Prinzip nicht besser als die Kleptokratie im Kreml sind.

Wieso ist das Image von Gazprom in der Öffentlichkeit immer noch relativ gut?

Jürgen Roth: Man weiß in der Öffentlichkeit einfach nicht Bescheid, was und wer sich tatsächlich hinter Gazprom verbirgt. Deutsche Politiker und Wirtschaftsführer versuchen uns den Konzern als ganz normales Unternehmen im Energiesektor zu verkaufen. Man sollte zwar eine gewisse intellektuelle Beschränktheit bei der politischen Elite nicht ausschließen, aber eigentlich müsste jeder verantwortliche Politiker wissen, was für ein Imperium Gazprom tatsächlich ist. So dumm kann eigentlich niemand sein, nicht die politische Bedeutung von Gazprom für die Kreml-Kleptokratie zu erkennen. Denn mit Gazprom wird ein kriminelles System – das Putin-System – gestützt. Wenn man das endlich begreifen würde, dann würde man Gazprom endlich mit anderen Augen sehen.

Michael Voregger ist seit den 60er Jahren Fan der Schalker Knappen und besitzt ein Trikot mit dem einzig wahren Sponsor – einem Getränkehersteller aus dem Sauerland.

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