Geheimtreffen zu "Sicherheitsfragen" in München

Sechs europäische Innenminister treffen sich mit EU-Kommission und US-Heimatschutz zur informellen Plauderei. Auf der Agenda stehen polizeilicher Datentausch und mehr Druck auf Griechenland

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Nächste Woche treffen sich die Innenminister der sechs einwohnerstärksten EU-Mitgliedstaaten zum Treffen der sogenannten "Gruppe der Sechs" (G6) in München. Dies teilte die Bundesregierung am Freitag in ihrer Antwort auf eine Schriftliche Frage im Bundestag mit. Die heimliche Zusammenkunft findet demnach "am 17. Mai abends und 18. Mai 2012 ganztägig" statt. Auf der Tagesordnung stehen zahlreiche Initiativen im Bereich Justiz und Inneres, die gegenwärtig auf EU-Ebene beraten werden. Neben der EU-Kommissarin für Inneres werden auch die Heimatschutzministerin der USA sowie der für Justiz zuständige Generalbundesanwalt zu Teilen des Treffens eingeladen.

In der "Gruppe der Sechs" organisieren sich seit 2003 die sechs einwohnerstärksten Regierungen der EU. Neben Deutschland gehören dazu Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien. Mit dem EU-Beitritt ist Polen seit 2005 Mitglied des informellen Zirkels. Die Regierung in Warschau wurde erstmals bei einer Zusammenkunft im Seebad Heiligendamm im Kreis der Gründerstaaten begrüßt.

Die Initiative zur Einrichtung der "G6" geht unter anderem auf den damaligen französischen Innenminister Nicolas Sarkozy zurück: Laut einem kritischen Bericht des britischen House of Lords hatte sich Sarkozy hierzu mit dem damaligen Innenminister Großbritanniens David Blunkett verständigt. Seitdem trifft sich die Gruppe mehrmals jährlich zu zweitägigen Treffen. Eines der teilnehmenden Länder hat jeweils den rotierenden Vorsitz inne, dessen Übernahme nach einem festgelegten Muster abläuft: Bis zur Teilnahme Polens folgten auf Deutschland jeweils Großbritannien, Italien, Spanien und Frankreich. Zu den Aufgaben der austragenden Regierung gehört auch die Gestaltung der Tagesordnung. Diese wird laut dem Bericht des House of Lords nach informellen Gesprächen und Vortreffen hochrangiger Beamter festgelegt.

Kritik an Heimlichtuerei

Stetig wiederkehrende Themen sind "Sicherheitsfragen" im weitesten Sinne, jedoch vorrangig zum internationalen polizeilichen Datentausch und zur Migrationsabwehr. Auch die Sicherheitsarchitekturen anstehender Großereignisse werden vorgetragen. Viel mehr erfährt die Öffentlichkeit nicht über die Inhalte: Manchmal werden wie im Falle des Treffens in Heiligendamm "Schlussfolgerungen" veröffentlicht . Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch übt heftige Kritik an dem im Verborgenen tagenden Zirkel:

Es gibt keine formalen Bestimmungen zur Veröffentlichung der Tagesordnung oder von Protokollen, es gibt keine Regelung zum Zugang zu Dokumenten, es gibt keine öffentliche Konsultation oder Folgenabschätzung.

Statewatch

Tatsächlich finden sich auf den Webseiten des jeweiligen Vorsitzes selten Hinweise auf bevorstehende Treffen. Auf dem Internetauftritt des Bundesinnenministeriums ist die Zusammenkunft in zwei Wochen ebenfalls nicht angekündigt.

Deutlich wird aus den dürftigen Meldungen der Innenministerien immerhin, dass die beteiligten Länder vor allem Einfluss auf die Politik der EU-Agenturen Frontex und Europol nehmen. In Heiligendamm war etwa die Einrichtung der Plattform "Check the Web" beschlossen worden. Die Leitung dieser bei Europol angesiedelten Beobachtungstelle inkriminierter Webseiten sicherte sich das deutsche Bundeskriminalamt.

Den in der "G6" organisierten Regierungen geht die informelle Zusammenarbeit bisweilen aber nicht schnell genug: Die sechs Innenministerien trafen sich deshalb zusammen mit den USA 2007 in Potsdam, um Polizeien und Geheimdiensten zu mehr Kompetenzen einer "präventiven" Gefahrenabwehr zu verhelfen. Gastgeber Wolfgang Schäuble konnte dort sein Mantra einer "überkommenen Grenze zwischen innerer und äußerer Sicherheit" vortragen. Die deutsche Delegation habe zur Bekämpfung von "Gefahren des internationalen Terrorismus" laut dem Innenministerium "wichtige Impulse" gesetzt.

Friedrich lanciert initiative zu "Schengen-Regierungsführung"

Deutschland hatte den "G6"-Vorsitz zuletzt 2009 inne. Auf einem deshalb unter Innenminister Wolfgang Schäuble in Berlin abgehaltenen Treffen standen wie üblich Maßnahmen zur "Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität" und der "Terrorismusbekämpfung" auf der Agenda. Auch Janet Napolitano war zugegen: Die US-Heimatschutzministerin wollte ausloten, wie sich die USA Zugang zum Datentausch unter den EU-Mitgliedstaaten nach dem "Vertrag von Prüm" verschaffen könnte. Kurz vor dem Stelldichein der Innenminister hatte sich Schäuble allein mit der damals neu gewählten Napolitano getroffen.

Das letzte "G6"-Treffen fand im Dezember in Paris statt. Laut der EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sei dort auch die "Situation in Griechenland" thematisiert worden. Gemeint sind mehrere Maßnahmen, mit denen die EU sowie einzelne Mitgliedstaaten die Regierung in Athen zu einer schärferen Migrationsabwehr zwingen wollen (Migranten unerwünscht). Lediglich ein Bericht des britischen Innenministeriums verweist auf weitere Inhalte des Pariser Treffens, darunter etwa die Forderung der stärkeren Einbindung der EU-Agenturen Frontex und Europol in die Bekämpfung einer sogenannten "Wanderkriminalität". Der fragwürdige Begriff umschreibt zahlreiche Maßnahmen der EU gegen vermeintlich von Roma-Gruppen organisierte Kriminalität in Europa.

In Paris wurde auch über eine verstärkte "Schengen-Regierungsführung" diskutiert, was schließlich in eine gemeinsame Initiative der Innenminister Deutschlands und Frankreichs mündete: Hans-Peter Friedrich und Claude Guéant forderten in einem Brief an den Rat der Europäischen Union, dass die EU-Mitgliedstaaten - beispielsweise wegen eines "unerwarteten Migrationsdrucks" - jederzeit Kontrollen an den Binnengrenzen einführen dürfen. Der Schengen-Vertrag bestimmt indes, dass alle Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten unabhängig von der Staatsbürgerschaft von Reisenden ohne Anhalt übertreten werden dürfen.

Druck auf Griechenland im Mittelpunkt

Laut der Bundesregierung stehen auch in München strittige Maßnahmen auf dem Programm: Wieder soll es um eine "Solidarität beim Außengrenzschutz" gehen, womit die gegen Griechenland gerichtete deutsch-französische Initiative gemeint ist. Fraglich ist allerdings, inwiefern die Regierung in Paris nach den Neuwahlen an dieser restriktiven Politik festhalten will: Womöglich wird der Vorstoß zur Aufwertung einer nationalkonservativen Innenpolitik dann von Innenminister Friedrich allein vertreten.

Auch die Situation in "Nordafrika und Syrien" wird in zehn Tagen von den Innenministern thematisiert. Dabei geht es aber kaum um Solidarität und Menschenrechte. Stattdessen liegt der Focus auf "Migration, Aufbauhilfe, Sicherheit". Hier dürften auch die sogenannten "Dialoge" eine Rolle spielen, mit denen die EU Marokko und Tunesien unter Druck setzt. Die Regierungen sollen sogenannten "Mobilitätspartnerschaften" zustimmen, die eine gesteuerte, am Arbeitsmarkt der EU-Mitgliedstaaten orientierte Migration erlauben. Gleichzeitig sollen die Länder aber jegliche weitere, unerwünschte Migration in Richtung EU bekämpfen und ihre Grenzsicherung aufrüsten.

Hier soll das sogenannte "Smart Borders"-Paket greifen, das die EU derzeit auf verschiedenen Ebenen berät (Milliarden zur "Abschreckung illegaler Einwanderer"). Gemeint sind die geplanten Vorhaben eines "Ein-/Ausreiseregisters" ("Entry-Exit-System") und eines "Programms für registrierte Reisende" ("Registered Travellers Programme"). Zusammen mit den Niederlanden hatte der dänische EU-Ratsvorsitz dazu im Februar eine Konferenz zu "Innovation Border Management" in Kopenhagen veranstaltet, an der auch innenpolitische "Experten" aus Australien und den USA teilgenommen hatten. Mit beiden Ländern hat die EU Abkommen zur Weitergabe von Passagierdaten ("Passenger Name Records") an die jeweiligen Innenbehörden geschlossen.

Doch die USA haben noch mehr Interesse an der Zusammenarbeit mit Polizeien der EU: Deshalb nehmen laut der Antwort der Bundesregierung die Heimatschutzministerin Janet Napolitano und der Generalbundesanwalt Eric Holder am Treffen in München teil. Besonderes Interesse gilt der "Bekämpfung der Piraterie" sowie der Ausforschung der "Reisebewegungen von Terrornetzwerken". Gemeint ist unter anderem das bereits erwähnte PNR-Abkommen zur Weitergabe von Passagierdaten transkontinentaler Flüge in die USA. Jetzt will die EU ein eigenes System errichten, das auch innereuropäische Reisebewegungen protokollieren soll. Zu klären ist, inwiefern die USA Zugriff auf diese immense neue Datenbank erhalten sollen.

Umstrittene Abkommen zum Datentausch zwischen EU und USA eingefädelt

Schließlich wollen die hochrangigen Gäste aus den USA aber auch die bessere "Aufdeckung der Finanzströme" vermeintlich terroristischer Netzwerke erörtern. Hierfür hat die EU bereits vorletztes Jahr unter heftigem Protest ein Abkommen zur Weitergabe von Daten aus Finanztransaktionen verabschiedet. In diesem sogenannten "SWIFT"-Abkommen fungiert Europol als Vermittlungsstelle. Gleichzeitig erhält die EU-Polizeiagentur vom US-Heimatschutzministerium Informationen über "Treffer", also in US-Datenbanken gefundene Auffälligkeiten mit den aus der EU gelieferten Überweisungsdaten (Europol wird internationaler Daten-Marktplatz). Wie im Falle des PNR-Abkommens will die EU auch für die Finanztransaktionen ein eigenes "Terrorist Finance Tracking System" errichten.

Der Abschluss des PNR-Abkommens zwischen der EU und den USA zeigt die Problematik des undurchsichtigen Geheimtreffens der "Gruppe der Sechs": Der Inhalt des Vertrages, um den eigentlich 27 Mitgliedstaaten verhandeln, war zuvor im Rahmen der "G6" hinter verschlossenen Türen thematisiert worden. Dort hatte die US-Delegation bekräftigt, einen im Mai 2011 vorgelegtem Abkommensentwurf nicht weiter diskutieren zu wollen. Stattdessen solle die Kommission den Vertrag ohne weitere Verhandlungen dem Rat der Europäischen Union zur Billigung vorlegen.

Strittig war unter anderem die Speicherfrist: Die Datensätze über Reisebewegungen und in diesem Zusammenhang anfallenden Personen- und Sachdaten sollen bis zu 15 Jahre lang gespeichert werden. Die Geheimverhandlungen des "G6"-Treffens waren von zahlreichen ausgeschlossenen Mitgliedstaaten kritisiert worden. Geholfen hat das wenig: In nahezu allen strittigen Verhandlungsfragen konnte sich die US-Delegation durchsetzen.