Mit Worten, Sex und Zaubertricks

Alle Bilder: Warner Bros.

Triebstruktur und Gesellschaft: Tim Burtons großartiger Vampir-Spaß "Dark Shadows" lässt "Twilight" recht blutleer aussehen

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"Blood defines us, finds us, curses us" - ein Vampir nimmt sich der missratenen Überreste seiner Familie wieder an. Ziemlich digital sind die Effekte zu Beginn; dann aber sieht dieser Film auch großartig aus: Tim Burtin dreht nie etwas anderes als Gothic Tales um kleine, unglückliche Kinder. So auch in Dark Shadows dem vagen Remake einer berühmten TV-Serie aus den späten 1960er-Jahren. Die Triebstruktur der Vampire trifft auf eine Gesellschaft im Aufbruch, der Eros erschüttert die Zivilisation.

Zu Beginn des Films erzählt Barnabas uns im Kinopublikum kurz seine Geschichte: Die britische Familie Collins zog aus Liverpool in die Neue Welt, um dort ein neues Leben zu beginnen, in "wealth and possibilities". Sie gründete in Collinsport, Maine, den Landsitz Collinwood Manor, ein prächtiges Herrenhaus mit allerlei Geheimkammern, Kellern und Separees. Dort hätten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage gelebt, hätte nicht der junge Barnabas mit dem Dienstmädchen Angelique zunächst eine Affaire begonnen, sie dann aber verschmäht.

Vielleicht war Angelique ja schon dieses junge dunkelhaarige Mädchen am Hafen, das den kleinen Barnabas ein paar merkwürdige Sekundenbruchteile zu lange anschaut?

Wir werden es nie erfahren. Was wir aber wissen, ist: Diese Angelique ist die erste von mehreren typischen Burton-Gestalten in diesem Film: Ein kleines, traumatisiertes Mädchen, eine Verschmähte, Zurückgestoßene, ein Kind, das aus seinem Kindertrauma - in diesem Fall: nicht geliebt zu werden, nicht lieben zu können - nie herausfindet.

Was wir über sie erfahren, ist, dass Angelique auch eine Hexe ist. Erfüllt von tiefer Eifersucht verflucht die Zurückgewiesene den noblen Playboy, als dieser sich statt ihrer der standesgemäßeren Josette du Pres zuwendet. Sie bringt zunächst dessen Eltern und dann die Verlobte um die Ecke, und verwandelt Barnabas selbst in einen Vampir, der bald den Großteil seiner Tage fest verpackt in einem zugeketteten Sarg im Wals von Collinsport zubringt.

Toller Übergang ins Jahr 1972

Auf diese schönste Gothic-Tale-Exposition geht alles wieder auf Anfang, es folgt der zweite Beginn, ein toller Übergang ins Jahr 1972: The Moody Blues singen ihr Sehnsuchtslied Nights in White Satin:

Nights in white satin, never reaching the end/ Letters I've written, never meaning to send … Just what the truth is, I can't say anymore … Cold-hearted orb that rules the night/ Removes the colors from our sight/ Red is gray and yellow white/ And we decide which is right/And which is an illusion?

...und ein Zug fährt über die Ebenen der US-Ostküste, darin ein Mädchen so unschuldig wie eine Frühlingsblüte, mit Haut so weiß wie Schnee, Lippen so rot wie Blut und Haar so schwarz wie Ebenholz und mit Augen so blau und endlos wie der Küstenhimmel. Sie heißt Bella Heathcote und ist die Entdeckung des Films. Eine Australierin, die in diesem Film aussieht wie eine Französin aus dem Jahr 1962 in einem Film von Jacques Demy.

Das Mädchen heißt Maggie, doch sie ändert ihren Namen in Victoria - "just call me Vicky" - Winters. Doch diese Lüge, die am Anfang ihrer filmischen Existenz steht, ändert nichts an ihrer Reinheit. Wir spüren, dass auch in ihr ein traumatisiertes Kind steckt, später werden wir begreifen, dass ihre Eltern sie ins tiefste Verließ einer Irrenanstalt werfen ließen, wo sie verwahrloste und mit Geistern sprach und wartete auf den Tag, der nun gekommen ist.

Im Hippie-VW-Bus kommt Victoria nun in Collinsport an, tritt dort ein altes rostiges Gartentor, in einen verwunschenen Park zu dem Haus Collinwood Manor, das man jederzeit viktorianisch nennen würde, wäre es nicht bereits, wie gesagt, um 1752 errichtet. Auch sonst wechselt der Film hier zwischen Franco-Pop und Sixties-Spiel sowie Film Noir hin und her, Victorias Eintritt in Haus und Familie, wo sie von nun an als Gouvernante arbeitet, lässt an "The Spiral Staircase", Robert Siodmaks Gothic-Noir, denken. Ein toller Boden, in dem schwarz-weiße Marmorbänder wie flüssig ineinander verschränkt sind.

Wir lernen nun - "You have to imagine us on better days" - die Familie kennen. Diese bizarre Verwandtschaftsversammlung bietet einigen Weltstars die Gelegenheit zu wunderbaren, überfälligen Auftritten: Michelle Pfeiffer, die lange nicht zu sehen war, spielt die zwanzig Jahre nach Catwoman in "Batman returns" wieder unter Tim Burton: die matriarchalische Familienchefin Elizabeth Collins.

"Wir haben keine Pferde. Wir haben einen Chevvy"

Helena Bonham Carter ist Dr. Julia Hoffman, Elizabeths versoffene Privat-Psychonalytikerin, Jonny Lee Miller Elisabeths debiler Bruder Roger, Chloë Moretz (spätestens seit Scorseses "Hugo Cabret" "der" US-Shooting-Star der Stunde), Elizabeths rebellische Teenie-Lolita-Tochter Carolyn, und Christopher Lee einen Fischer, der auch noch zum Inventar gehört. Hinzu kommen andere.

Vor allem aber gehört zur Familie der Vorfahr Barnabas, der nach knapp 200 Jahren von Straßenbauarbeitern wieder ausgebuddelt wird: "I am terribly sorry, but you cannot imagine, how thirsty I am", sagt er und saugt die Arbeiter aus. Dann muss Barnabas zunächst die neue Welt des Jahres 1972 kennenlernen, mit Asphaltstraßen - "Courious terrain" -, Auto - "The eyes of devil himself", Emanzipation - "By god! A woman doctor. What an age this is?" und Fernsehen - "What sorcery is this?"

"Wir haben keine Pferde. Wir haben einen Chevvy" Wenn man aus dem Jahr 1752 direkt ins Jahr 1972 versetzt wird, muss man sich in mancher Hinsicht ein wenig umstellen. Vieles hat Fortschritte gemacht, nicht nur die Zahnhygiene, ein Bereich, der in diesem Fall allerdings besonders wichtig ist, denn der Herr, um den es hier geht, Barnabas Collins, ist schließlich ein Vampir... Jetzt nimmt er sich der missratenen Überreste seiner Familie an.

Gothic-Camp und "Advokat des Absonderlichen"

Es muss schon etwas passieren, damit ein Film mit Johnny Depp in der Hauptrolle (und diversen anderen Stars; hierzu später) langweilig wird. Insofern könnte man sagen, Tim Burton gehe mal wieder auf Nummer Sicher. In der nunmehr achten Zusammenarbeit zwischen dem originellsten, versponnendsten Regisseur des amerikanischen Gegenwartskinos und dem ewig jungen schrägsten Schauspielstar der Welt zeigen sich beide ein weiteres Mal auf der Höhe ihres jeweiligen Könnens: Trotz künstlicher Zähne, um zehn Zentimenter auf "Nosferatu"-Format verlängerter Finger und blutleerer weißer Schminke gewinnt Depp seiner Rolle unzählige Facetten zwischen Komik und äußerster Tragik ab.

Filme von Burton, diesem Meister des Gothic-Camp und "Advokaten des Absonderlichen" (Alexandra Seitz), sind immer riskant, das eben aber macht sie zu wunderbaren Kinoerlebnissen. Man weiß vorher nie, was auf einen zukommen wird. Burtons Filme sind echte Fantasy, also nicht Märchen, Pubertätsallmachtsträume oder Knabenbuch-Verfilmungen, sondern phantastischer Film: Entfesselung der Sinne, der Naturgesetze, des Geistes, wilde Spinnerei, Dekadenz, verblasste Mythen und purer Glamour.

Der Witz von "Dark Shadows", dem eigenwilligen Remake einer überaus erfolgreichen TV-Serie zwischen 1966 und 1971, liegt vor allem im Kontrast zwischen einem Wesen aus dem 18.Jahrhundert und der libertären Hippie-Psycho-Kultur der wilden Post-68er-Jahre.

Aber dies ist nicht alles: Die zweite Säule ist das Drama, eine Mischung aus Liebesromantik und Tragödie. Denn nicht nur Barnabas steht aus dem Grabe wieder auf, auch Angelique kehrt aus der Unterwelt zurück. Die femme-fataleske Hexe (gespielt von einer blondgefärbten Eva Green) ist schön und charmant, und auch Barnabas kann ihren Reizen nicht völlig widerstehen, andererseits tötete sie seine ganze Familie - so beginnt ein leidenschaftlicher Beziehungskamp, der mit Worten, Sex, Zaubertricks und am Ende einer Menge Pyrotechnik ausgefochten wird.

Das ist so spannend, wie kurzweilig, wie schön anzusehen - ein Vampir-Spaß der "Twilight" blutleer aussehen lässt. Und er ist sehr lustig. Manche Wortwitze zünden allerdings nur im Original: Einmal etwa fragt Carolyn den merkwürdigen Verwandten: "Are you stoned or what?" Und der höfliche Barnabas missversteht alles: "They tried stoning me, my dear. But it did not work…"