Ist ein nackter Penis Pornografie?

Der Fall Ariane Friedrich weitet sich aus und lässt die Frage aufkommen, wann eigentlich was Pornografie ist.

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Ariane Friedrich ist sowohl Polizeikommissarin als auch Leichtathletin. Als Sportprominente leidet sie daher unter all den Nebenwirkungen, die Prominenz mit sich bringt. "Ich wurde in der Vergangenheit beleidigt, sexuell belästigt, und einen Stalker hatte ich auch schon", sagt sie. Und als ihr über die Facebookkontaktfunktion eine Mail eines Mannes zuging, der sie fragte, ob sie mal einen schönen Schwanz sehen wolle, frisch geduscht und rasiert (inclusive Bildanhang), hatte Ariane Friedrich, wie sie selbst sagt, genug.

In einer Aktion, die wahlweise als Vorbild oder als Prangeraktion angesehen wird, veröffentlichte sie bei Facebook nicht nur den Wortlaut der Mail, sondern auch den vermeintlichen Absender mit Realnamen sowie dessen Wohnort. Zusätzlich zu der ohnehin schon heiklen Frage, ob eine Polizeikommissarin derart vorgehen sollte, handelt es sich um einen Ort, den es öfter als einmal gibt - und in zumindest einem dieser Orte lebten auch zwei Personen mit eben jenem Realnamen.

Da die Aktion mediale Wellen schlug, dürften alle davon in Erklärungsnöte gekommen sein. Die Polizei hat mittlerweile mitgeteilt, dass Frau Friedrich den korrekten Herrn geoutet hat. Aber durch das Verhalten der Sportlerin gerieten auch Unschuldige in Verdacht. Ob Frau Friedrich die Mail vorher überprüfte, ist nicht bekannt. Eine Anfrage ans Management blieb unbeantwortet, da sowohl Frau Friedrich als auch ihr Manager derzeit möchten, dass lediglich die sportlichen Aktivitäten der Polizistin im Zentrum der Öffentlichkeit stehen, nicht jedoch die "Facebookaffäre".

Das also ist des Pudels Schwanz?

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Frau Friedrich nicht einmal die der Mail angefügte Bilddatei öffnete, bevor sie zu ihrer, wie sie es nennt, "Notwehr" griff. Der beschuldigte Herr gab im Interview an, dass sein Facebookaccount bereits mehrmals gehackt worden sei. Alle die, die auf seiner Facebookfreundesliste stehen (darunter eben auch Ariane Friedrich), seien mit einem solchen Bild bedacht worden, das jedoch kein männliches Glied, sondern vielmehr einen Pudel nach dem Besuch beim Hundefriseur zeigte.

Doch selbst wenn ein Penis eines Mannes auf dem Bild zu sehen war, stellt sich die Frage, ob hier neben (sexueller) Belästigung auch die Verbreitung pornografischer Schriften als Straftatbestand infrage kommt. Immerhin ist nicht jedes Nacktbild automatisch pornografisch. Die Polizei in Marburg scheint jedenfalls zu der Ansicht gekommen zu sein - denn die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit wegen sexueller Belästigung sowie der Verbreitung pornografischer Schriften gegen den Beschuldigten. Eine Hausdurchsuchung samt Konfiszierung von Datenträgern hat bereits stattgefunden.

Hierbei stellt sich die Frage, wie die Staatsanwaltschaft feststellen will, ob das angehängte Bild tatsächlich vonseiten des mit der Hausdurchsuchung bedachten Herrn an Frau Friedrich geschickt wurde, wenn nicht ersichtlich ist, was das Bild zeigt. Denn, wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage mitteilte, durch die Hausdurchsuchung soll zunächst herausgefunden werden, ob sich der gegen den Herrn gehegte Anfangsverdacht erhärtet. Auf Nachfrage meinte die Staatsanwaltschaft, dass ihr bislang nicht bekannt sei, ob das Bild nun ein männliches Glied oder einen Pudelschweif zeigte, dies solle ja durch die Ermittlungen erst herausgefunden werden. Ob dann, so es sich um ein männliches Glied handelt, automatisch auch der Straftatbestand der Pornografie erfüllt sei, würde sich danach zeigen.

Diese Argumentation ist insofern wichtig, als sie zeigt, dass nicht einmal klar ist, ob Frau Friedrich tatsächlich durch die Zusendung eines Penisbildes belästigt wurde. Inwiefern die Staatsanwaltschaft dann vergleichen will, ob es sich bei eventuell gefundenen Bildern um das Zugesandte handelt, wenn ihr dieses unbekannt ist, bleibt offen.

Derweil hat zumindest ein Teil der "Netzgemeinde" sein Urteil gefällt und fordert, dass dem "Schwein die Eier gezogen" gehören, ohne jedoch zu wissen, wer nun weshalb die Nachricht an Ariane Friedrich versandte und was auf dem Bild tatsächlich zu sehen war.

Stalking und Cybermobbing und die gefährdete Sportlerin

Mails mit anzüglichen Sprüchen und diversen Geschlechtsteilabbildungen sind nicht nur nervend und zeitaufwendig, sie sind letztendlich auch Belästigung sexueller Art. Ob jedoch die Zusendung eines Bildes bereits eine Hausdurchsuchung rechtfertigt, ist eher fraglich. Immerhin handelt es sich bei einer Hausdurchsuchung um einen erheblichen Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung sowie die Privatsphäre des Betroffenen. Begründet wird sie damit, dass die dabei mitgenommenen Datenträger Aufschluss darüber geben könnten, ob der Facebookaccount tatsächlich gehackt wurde oder nicht.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie viele Medien auf die Nachricht reagieren. Von "Cybermobbing" und "Stalking" ist die Rede - obgleich keineswegs bekannt ist, ob der Herr schon früher einmal Kontakt zu Ariane Friedrich aufgenommen oder sie auf sonstige Weise belästigt hat. Immerhin ist stets nur von einer Mail die Rede - und nicht von permanenten Belästigungen.

Stalking jedoch beinhaltet stets auch eine Kontinuität der Handlungen. Die Polizei Rheinland-Pfalz schreibt auf ihrer Homepage:

Stalking bezeichnet ein komplexes Täterverhalten, bei dem es vor allem um Belästigung, Verfolgung, Überwachung und sonstige Behelligung geht. Häufig beruht es auf dem Begehren des Täters oder der Täterin, das Opfer zu einer Beziehung mit ihm zu bewegen oder aber dieses zu schikanieren, weil es sich weigert, dem Ansinnen des Täters zu folgen.

Im weitesten Sinne kann bei STALKING von "Psychoterror" gesprochen werden, der in der Regel auf der irrigen Annahme beruht, das Opfer werde oder müsse die Zuneigung des Täters erwidern. Wenn der Täter merkt, dass sein Bemühen um Aufmerksamkeit erfolglos bleibt, kann seine Motivation in Hass, Rache oder Vergeltung umschlagen.

Die einzelnen STALKING-Handlungen

Die Tathandlungen sind vielgestaltig und daher kaum vollständig zu benennen. Charakteristisch ist, dass sie eine gewisse Kontinuität und Häufigkeit aufweisen. In manchen Fällen wird das Opfer über mehrere Monate oder gar Jahre hinweg vom Täter behelligt.

Die Zusendung einer (wenngleich auch gegebenenfalls pornografischen) Mail kann daher zwar in einen Stalking-Kontext gesetzt werden - aber nur, wenn es seitens des Täters bereits andere entsprechende Handlungen gegenüber Frau Friedrich gab. Von diesen ist bisher jedoch nirgends gesprochen worden. Die Tatsache, dass Frau Friedrich bereits einmal einen Stalker hatte, hat mit dem vorliegenden Fall nichts zu tun und rechtfertigt den Begriff Stalker hinsichtlich des vermeintlichen Täters nicht.

Auch der Begriff "Cybermobbing" ist in diesem Fall falsch gewählt, denn auch das Mobbing beinhaltet eine Häufigkeitskomponente sowie in den meisten Fällen ein asymmetrisches Kräfteverhältnis - d.h. es wird eine Person durch mehrere Personen angegriffen, schikaniert usw. (bzw. durch eine Person, was von anderen Personen geduldet oder unterstützt wird). Auch hier ist die Zusendung einer (wenn auch pornografischen) Mail oder Bilddatei nicht als Mobbing zu sehen.

Dennoch finden sich die beiden Begriffe in vielen Artikeln der Medien wieder. "Der Fall Friedrich steht beispielhaft für den Umgang mit Cyber-Mobbing" schreibt der Schwarzwälder Bote - und relativiert dann im gleichen Artikel die Annahme, es könne sich hier um Cybermobbing handeln dahingehend, dass Ariane Friedrich hier nur ein Cyber-Opfer sei. Die Süddeutsche Zeitung schreibt von Stalking und die FAZ nimmt den Fall zum Anlass, gleich auf die besondere Gefährdung von Sportlerinnen hinzuweisen - wofür sie genau einen Fall als Beispiel nennt:

Gerade Sportlerinnen bekommen diese von Fans gewünschte Nähe manchmal auf unliebsame oder sogar verletzende Weise zu spüren. Als erschreckendes Beispiel ist vielen noch der Fall der Tennisspielerin Monica Seles im Gedächtnis, die von einem glühenden Verehrer ihrer Konkurrentin Steffi Graf beim Turnier in Hamburg 1993 tätlich angegriffen wurde und danach mit bleibenden Ängsten zu kämpfen hatte.

Hier wird letztendlich ein andauerndes Schikanieren und Belästigen mit einem einmaligen Vorfall gleichgesetzt. Die Gleichsetzung des Zusendens einer Mail mit gegebenenfalls obszönem oder pornografischem Inhalt mit einem langfristigen Verhalten, das insbesondere auch auf eine Einschränkung der Lebensumstände gerichtet ist, verharmlost tatsächliches Stalking und Mobbing.

Ich will dazu gar nichts mehr sagen

Geradezu naiv mutet es an, wenn sich die Leichtathletin nunmehr kategorisch abschottet und nur noch über den Sport sprechen will. Wie jemand (und insbesondere jemand mit einer Ausbildung in der Strafverfolgung) Prangermethoden gutheißen kann (noch dazu, wenn sie auch Unschuldige in Verdacht bringen) ist selbstverständlich für die Öffentlichkeit interessant. Auch die Details hinsichtlich des Absenders sowie des Inhaltes der Mail und des Anhangs: Wieso konnte Frau Friedrich wissen, dass es sich tatsächlich um die Abbildung des männlichen Gliedes handelte, wenn sie doch den Anhang selbst gar nicht öffnete. Hat sie vor ihrem Outing selbst überprüft, ob der Absender nicht gefälscht war? Hier ist auch zu erwähnen, dass es Frau Friedrich nach dem Outing noch einmal ausführlich dazu Stellung nahm:

Liebe Followers [...] ich habe mir eure Kommentare sehr genau durchgelesen. Natürlich ist es ein großer Schritt, solch eine unverschämte Email öffentlich zu machen - aber es ist nicht das erste Mal, dass Mich [sic] persönlich so eine Email erreicht. Es gibt einfach einen Punkt, an dem Schluss ist. Anzeigen zu stellen, ist natürlich immer der richtige Weg, den ich zusätzlich gehen werde. Ich bin allerdings nicht mehr bereit, mich doppelt zum Opfer zu machen und stets zu schweigen - ich bin es schlicht leid. (...) Ich wurde in der Vergangenheit beleidigt, sexuell belästigt, und einen Stalker hatte ich auch schon. Es ist Zeit, zu handeln, es ist Zeit, mich zu wehren. Und das tue ich.

So wird Ariane Friedrichs Posting in der Süddeutschen Zeitung zitiert. Sich nunmehr der Debatte, die von einem selbst angestoßen wurde, nicht zu stellen (bzw. sich davon irritiert zu fühlen, dass eine solche Debatte stattfindet), ist etwas, was gegebenenfalls bei minderjährigen, eher unbedarften Betroffenen glaubwürdig wäre - nicht jedoch bei einer Polizeikommissarin, die sich einen solchen Schritt samt Konsequenzen durchaus überlegen kann und sollte.

Laut Süddeutscher Zeitung hat auch die hessische Bereitschaftspolizei als Dienstherr Ariane Friedrichs ihr Verhalten als nicht per se legitim angesehen und denkt über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach. Wieso aber aufgrund ein paar anzüglicher Zeilen sowie eines Bildes, von dem nicht einmal die Staatsanwaltschaft weiß, was es wirklich zeigt, eine Hausdurchsuchung anberaumt wird, dürfte ungeklärt bleiben.

Die Argumentation, hier ginge es um Beweismittelsicherung, greift nicht, wenn der Strafverfolgung kein vergleichbares Beweismaterial vorliegt. "Ich wurde sexuell durch ein paar Zeilen plus ein Foto belästigt, von dem ich nicht weiß, was darauf zu sehen ist" dürfte bei vielen Polizeidienststellen eher Gelächter hervorrufen. Insbesondere dann, wenn das Foto nicht einmal vorgelegt wird. Hätte dies vorgelegen, müsste aber zumindest die nun ermittelnde Staatsanwaltschaft wissen, was darauf zu sehen ist. Dass dem hier nicht so ist und dennoch das schwere Geschütz der Hausdurchsuchung aufgefahren wird, lässt zumindest ein Geschmäckle aufkommen, wenn man bedenkt, dass es sich beim "Opfer" um eine Prominente und Polizistin handelt.

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