Die Fünf-Prozent-Gesellschaft

Ist die GEMA ein Selbstbedienungsladen für Mainstreammusiker?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bis vor kurzem haben vorwiegend Veranstalter wie kleinere Musikkneipen und lokal aktive Musiker über die GEMA geschimpft. Inzwischen hat der Verein zur Abrechnung von Künstlertantiemen eine kometenhafte Karriere hingelegt. Schon bald wird er in der Hitliste der Internet-Feindbilder der GEZ den Rang ablaufen.

Denn hört man sich im Netz um, ist die GEMA sehr daran interessierti, gehasst zu werden:

Noch ein paar Wochen und sie ist auch für die Benzinpreise verantwortlich.

Bloß: Wer oder was ist diese GEMA überhaupt?

Wenn Schriftsteller oder Musiker ein Werk geschaffen haben, erzielen sie damit Einnahmen, indem sie Nutzungslizenzen verkaufen. Beispielsweise an einen Verlag, der ihnen dafür einen Anteil am Verkaufspreis von Buch oder CD zahlt.

Doch was, wenn das Buch in der Bücherei ausgeliehen wird? Für diese Nutzung des Werks steht dem Autor genauso eine Vergütung zu, wie der Musiker einen Vergütungsanspruch hat, wenn sein Lied im Radio läuft.

Da weder alle Autoren mit allen Büchereien noch alle Musiker mit allen Radiosendern Honorarverträge abschließen können, gibt es praktisch weltweit gesetzlich legitimierte Verwertungsgesellschaften. In diesen organisieren sich die Urheber und einigen sich über die Konditionen, zu denen beispielsweise Radiosender Musik spielen dürfen. Die Radiosender zahlen Tantiemen an die Verwertungsgesellschaften, die wiederum verteilen das Geld möglichst gerecht unter den Urhebern.

Das Geld selbst stammt aus den unterschiedlichsten Abgaben, die am Ende wir Verbraucher finanzieren: Leercassetten werden seit den 1970ern beim Kauf mit einer GEMA-Abgabe versehen, inzwischen folgerichtig auch CD- und DVD-Rohlinge und sogar Festplatten. TV- und Radiosender zahlen genauso für die öffentliche Wiedergabe von GEMA-geschützter Musik, wie Kneipen, Kaufhäuser, Betreiber von Telefonanlagen, Schausteller, Friseure und Zahnärzte (wobei letztere nach einem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofes vielleicht bald nicht mehr zahlen müssen). Auch zur Wiedergabe und Aufzeichnung genutzte Geräte werden mit der "GEMA-Steuer" belegt: Für CD-Recorder, MD-Player, Computer und Smartphones fallen unterschiedliche Gebühren an, die von der GEMA (und anderen Verwertungsgesellschaften) an Urheber und Verlage ausgeschüttet werden.

Die Rechtsgrundlagen der Verwertungsgesellschaften finden sich im Urheberrechtsgesetz und im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz. Die Gesellschaften werden von den Urhebern gegründet und selbst verwaltet. In Deutschland vertritt zum Beispiel die VG WORT alle Autoren, die GEMA alle Musiker. Das britische Pendant zur GEMA ist die PRS for Music.

Rechtsverständnis von Veranstaltern und Musikern strapaziert

Bislang wurde die GEMA-Kritik zum größten Teil von Veranstaltern und Musikern, die nicht Mitglied sind, befeuert. Und Kritikpunkte gibt es viele.

Neben den Gebührensatzungen, die durch eine Vereinfachung ab dem 1.1.2013 anscheinend vielen Clubs finanziell die Luft abdrücken werden, ist die GEMA-Vermutung ein Hauptärgernis.

Nach dieser Vermutung, die auch vor Gericht Bestand hat, dreht sich die Beweislast um. Wer auf einer öffentlichen Veranstaltung nur Musik von Urhebern spielt, die nicht der GEMA die Wahrnehmung übertragen haben, muss das für jeden einzelnen Song nachweisen. Gelingt das nur für einen einzigen Song nicht, fallen für die gesamte Veranstaltung Gebühren an - eine Situation, die schon oft das Rechtsverständnis von Veranstaltern und Creative-Commons-Musikern strapaziert hat

Auch, wer GEMA-geschützte Werke legal auf seiner Homepage zum Download bereitstellt, muss an die GEMA zahlen - und das sogar dann, wenn er selber der Urheber ist. Lediglich das technisch aufwändigere Streamen eigener Musik ist kostenlos möglich. Und sogar für den Eigenvertrieb hergestellte Tonträger mit eigener Musik muss der Urheber bei der GEMA kostenpflichtig lizensieren:

Sind bei einer Tonträgervervielfältigung der Auftraggeber und der beteiligte Urheber als GEMA-Mitglied identisch, ist auch für diese Produktion eine urheberrechtliche Lizenz zu erwerben. Das GEMA-Mitglied hat die betreffenden Nutzungsrechte entsprechend dem Berechtigungsvertrag an die GEMA zur ausschließlichen treuhänderischen Wahrnehmung übertragen. Aus diesem Grund und aus Gründen der Gleichbehandlung der Rechtsnutzer ist die GEMA zu einem Inkasso verpflichtet.

(GEMA-Homepage)

Mit anderen Worten: GEMA-Mitglieder, die das Marketing selber betreiben wollen, müssen für die Demo-CDs, die sie an Sendeanstalten schicken, Tantiemen zahlen.1 Im Gegensatz zur VG WORT, die sich nur um die Werke kümmert, die ich ihr ausdrücklich melde, haben GEMA-Mitglieder mit dem Unterschreiben der Beitrittserklärung nämlich ihr gesamtes Schaffen den Verwertern übertragen.

Begründet wird dies damit, dass öfter Songs vergessen würden und den Künstlern dadurch Einbußen entstünden - eine zur GEMA-Vermutung kongruente Demenzvermutung. Klar, dass im aktuellen Aufwind des GEMA-Bashings auch Musiker laut werden.

Der "Isarmatrose" Tobias Schwarz berichtet über eine Podiumsdiskussion, in der die Berliner Musikerin Zoe Leela mit der GEMA ins Gericht geht und Musiker zur Nutzung von Creative Commons Lizenzen anstelle der GEMA-Mitgliedschaft aufrief.

Ich fragte mich schon vor Wochen, warum keine Graswurzelrevolution der GEMA-Mitglieder stattfindet - sollten die Mitglieder etwa an einer Art Stockholm-Syndrom leiden?

Tatsächlich ist es so, dass bei der als Verein organisierten und daher demokratisch zu führenden GEMA nur rund 5% der Personen, für deren Musik Tantiemen kassiert werden, stimmberechtigt sind. Durch die Satzung dürfen überhaupt nur Mitglieder, die innerhalb von drei Jahren 30.000 EUR an Ausschüttung erhalten, den Antrag auf eine solche "ordentliche Mitgliedschaft" stellen.

Da die 5% stimmberechtigten "ordentlichen Mitglieder" im vergangenen Jahr 64,2% der Ausschüttungen auf sich gebündelt haben, ist der Unmut vieler alternativer Musiker vorprogrammiert. Selbst die zur Neutralität selbstverpflichtete Wikipedia schreibt über die Entwicklung der Tantiemen:

Des Weiteren wird sichtbar, dass die innervereinliche Verteilung der Bezüge der Statusgruppe der ordentlichen Mitglieder zu Lasten der außerordentlichen Mitglieder kontinuierlich zugenommen hat.

Vergleiche mit Strukturvertrieben, bei denen man durch Umsätze in der Hierarchie aufsteigt, liegen nah. Zoe Leela vergleicht die GEMA mit einem Staat, bei dem alle Steuern zahlen aber nur die reichsten 5% wählen dürfen:

Sind die Einteilungen in ordentliche, außerordentliche und angeschlossene Mitglieder in der heutigen Zeit überhaupt noch adäquat? Und braucht ein Künstler den Staat GEMA denn überhaupt, sofern er einer wäre?

Auch mit den Verteilungsschlüsseln der Radiotantiemen geht sie ins Gericht:

Newcomer werden nicht pro Airplay abgerechnet, sondern kollektiv über die 31 größten Stationen. Dann werden die Ergebnisse dieser Mainstream- und Schlagersender einfach auf ambitionierte Anbieter wie Flux FM, Star, Fritz etc. umgelegt. Ein realitätsferner und ungerechter Verteilungsschlüssel, der wieder ausschließlich den Dieter Bohlens dieser Welt dient.

Für Newcomer sieht sie daher keinen Grund mehr, sich bei der GEMA anzumelden, da man ohne Chartbreaker gar keine nennenswerten Ausschüttungen erwarten kann. Und durch den kompletten Ausverkauf aller Werke an die GEMA wird man zudem im eigenen, zeitgemäßen Marketing per Netz behindert. Sie fasst es zusammen:

Die GEMA fördert Mainstream und zerstört Karrieren, bevor sie begonnen haben.

Die GEMA selber beruft sich auf das Vereinsrecht, und dass die (ordentlichen) Mitglieder das alles halt so beschlossen hätten. Bloß haben ordentlichen Mitglieder möglicherweise gar kein Interesse an Veränderungen, denn die Einnahmen aus einem Werk können bei entsprechender Reichweite durchaus zu 40% und mehr aus GEMA-Gebühren bestehen. Wer es geschafft hat, zu den 5% Stimmberechtigten zu gehören, ist mit großer Wahrscheinlichkeit wirtschaftlich von den GEMA-Zahlungen abhängig. Jeder Euro an Tantiemen, der unter den 95% ohne Stimmrecht aufgeteilt wird, fehlt in der eigenen Kasse. Parallelen mit Abgeordnetendiäten, bei deren Erhöhung fast alle Medien den Begriff "Selbstbedienung" nutzen, sind unübersehbar.

Viele Musiker, die zu den 95% ohne Stimmrecht gehören, sind daher unzufrieden. Da sie aber kein Stimmrecht haben, können sie sich nicht in Entscheidungsprozesse einbringen. Die GEMA selber scheint kaum zum ernsthaften Dialog bereit. Johnny Haeussler zum Beispiel lud sie in den letzten Jahren immer wieder zur re:publica ein. Der Vertreter, der dieses Jahr auf dem Panel "Copyriots" mit diskutieren sollte, war jedoch kurzfristig "wegen einer wichtigen Besprechung" verhindert.

Andere Verwertungsgesellschaften sind da demokratischer und transparenter. Zwar gibt es auch bei der VG WORT stimmberechtige Mitglieder und Personen, die nur ihre Rechte wahrnehmen lassen. Der Schritt zum stimmberechtigten Mitglied ist jedoch leichter - nur je 1000€ Einnahmen in drei aufeinanderfolgenden Jahren sind erforderlich, und dazu reichen schon regelmäßige Publikationen in wissenschaftlichen Magazinen. Zudem entsenden auch die persönlich nicht stimmberechtigten Autoren der VG WORT stimmberechtigte Vertreter in die Mitgliederversammlung und können so Anträge stellen und ihren Forderungen Stimme verleihen.

In England geht es gerechter zu

Wie viel flexibler, gerechter und transparenter auch Musiktantiemen abgerechnet werden können, zeigt das Pendant der GEMA aus Großbritannien. Die PRS for Music hat nahezu die gleichen Aufgaben wie die GEMA, aber nicht ihren Ausschließlichkeitsanspruch.

Roxanne de Bastion ist eine in Berlin aufgewachsene Musikerin, die in London lebt. Sie ist der PRS for Music beigetreten, obwohl sie auch GEMA-Mitglied werden könnte:

Roxanne, you are member of PRS for Music. How does PRS know that you have published a new song?

Roxanne de Bastion: As an independent musician and songwriter, it is my responsibility to register my songs with PRS or a similar collection agency. I can do this via my online account. If my publishing information changes (say I signed a new publishing deal), it would be my responsibility to inform PRS.

What if you want to give away a song, e.g. to support a pro bono project, without royalties?

Roxanne de Bastion: That’s an interesting question! In the UK, it is not quite so much an "either or" as it seems to be with the GEMA in Germany. I have released my song "One Morning" under creative commons. As it’s my responsibility to register my songs with PRS, there’s nothing stopping me from choosing to give away a song for free.

It is exactly this kind of flexibility artists need more of. I would like to be able to put my songs up online for fans to download for free, but do not want to miss out on royalty payments should this song get played on radio stations that pay PRS either way.

When you publish a new song on myspace, do you get royalties for people listening? Or do you have to pay yourself?

Roxanne de Bastion: I do not get royalties from any of the social media pages like Soundcloud or Myspace (is anybody still using that?) and I do not need to pay anything. By uploading your songs to these streaming sites you forfeit your right to get royalties for them: I’m sure it’s somewhere in the small print.

Are you feeling comfortable with the decisions made by the board? Can you tell us how the directors are elected?

Roxanne de Bastion: There is a hierarchical structure within the PRS that I do not agree with. You only get to be nominated for election to the board if you are a "full member". Also, your vote counts ten times as much as that of an "associate member". Those who do not reach the financial threshold to be an associate member are lovingly referred to as "provisional members", of which I am one. We do not have the right to vote. The board then elects the directors of PRS.

PRS do try to inform members and send out regular newsletters and are almost always quick to reply to personal queries. The reporting also is more detailed than that of the GEMA. However, there is still much room for improvement and I hope to see independent musicians and songwriters get together in order to change the structures of collection agencies to be more transparent and more egalitarian.

Die GEMA, so scheint es, ist im vergangenen Jahrtausend stecken geblieben. Dabei ist die Debatte über neue und im Internet tragfähige Vergütungsmodelle wie die Kulturflatrate, die derzeit von vielen politischen und gesellschaftlichen Gruppen diskutiert wird, so überfällig, dass es schon fast fünf nach zwölf ist.

In seinem Panel "Mashup - Lob der Kopie" hat Dirk van Gehlen auf der re:publica die Thesen seines gleichnamigen Buches vorgestellt und diskutiert. Eine seiner Thesen: Wir haben bereits eine Art Vorstufe der Kulturflatrate, nämlich die Verwertungsgesellschaften. In der Tat kann ich bei der VG WORT auch "Internettexte" abrechnen - sogar Blogposts über 1.500 Anschlägen in meinem und Partnerblogs werden mit einem Zählpixel versehen und lassen bei ausreichenden Klickzahlen die Kasse klingeln.

Nur die GEMA mit ihrem kafkaesk anmutenden Konzept, dass Musiker ihre Songs nicht ohne selber Tantiemen zu zahlen zum Download anbieten dürfen, verweigert sich den neuen Vertriebs- und Marketingmodellen. Mehrere Versuche, eine weitere Verwertungsgesellschaft für Musik zu gründen, scheiterten am Einspruch des Deutschen Patent- und Markenamtes, das als Aufsichtsbehörde fungiert.

Ob eine konkurrierende Verwertungsgesellschaft überhaupt gut für die Branche wäre möchte man bezweifeln. Auf Wikipedia ist eine grobe Zusammenfassung der Zeit vor Gründung der GEMA (ausgerechnet) 1933 zu lesen. Ab 1909 gab es mehrere konkurrierende Verwertungsgesellschaften, was im Grunde den Interessen von Urhebern und Nutzern zuwider lief. Käme diese Situation zurück, müssten Radiosender mit mehreren Verwertungsgesellschaften Nutzungsverträge abschließen, die zur Verteilung der Tantiemen notwendigen Playlists aufteilen und an mehrere Stellen melden. Rechtsunsicherheit und ein noch größeres Tarifdurcheinander als heute wären die Folge.

Veranstalter und andere Zahlungspflichtige versuchen längst, rechtlich gegen die Gebührenstrukturen vorzugehen und scheitern regelmäßig vor Gericht. Petitionen an den Bundestag brachten keine spürbaren Erfolge. Und obwohl die Ruhrbarone schon vor vier Jahren den Tod der GEMA weissagten, zeigt sie nach wie vor unbeeindruckt von der Kritik an ihrem Geschäftsmodell.

So bleibt wohl nur die harte Reform der GEMA durch ihre Mitglieder auf juristischem und politischem Wege.