Die Kraft-Lektion

Die Persönlichkeitswahl in NRW macht deutlich, dass die SPD sich für die Bundestagswahl schleunigst von der Troika der Schröder-Ära trennen muss

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Die großen Zugewinne der SPD hat die Partei in hohem Maß der Spitzenkandidatin Hannelore Kraft zu verdanken. Das sollte den Sozialdemokraten zu denken geben. Zwar wird Kraft in den Medien schon als mögliche Kanzlerkandidatin gehandelt, zumindest für 2013 dürfte dies aber ausgeschlossen sein, will sie sich nicht als vertrauenswürdige Politikerin schädigen. Schließlich hatte sie den Wählern versichert, anders als der wankelmütige, nur an seiner Karriere orientierte Norbert Röttgen, in NRW zu bleiben.

Dass die Wahl in NRW - abgesehen wahrscheinlich von den erfolgreichen Piraten und den abgestraften Linken - weniger um Themen ging als um Personen ging, machen Umfrageergebnisse der Tagesschau deutlich. Bei einer Direktwahl hätten nur 26 Prozent Röttgen, aber 68 Prozent Kraft gewählt. 69 Prozent sagen, dass der Erfolg der FDP sich Christian Lindner verdankt, der aber eine Partei führt, die eigentlich keine Kompetenz mehr hat. Gerade noch 4 Prozent schreiben den Liberalen Kompetenzen in Wirtschaft, Schuldenabbau oder Bildung zu. Das dürfte zeigen, dass viele der enttäuschten CDU-Anhänger die FDP gewählt haben, weil sie Lindner irgendwie besser als Röttgen fanden und für sich keine andere konservative Alternative sahen.

Kraft wird als stellvertretende Parteivorsitzende, als Regierungschefin des bevölkerungsreichsten Bundeslands und als Parteichefin des größten SPD-Landesverbands für die künftige Ausrichtung der SPD eine wichtige Rolle spielen. Das wird sich auch auf die Kür des künftigen Kanzlerkandidaten auswirken, den die Partei bzw. die Parteiführung noch nicht bestimmen will, um die bislang dominante Troika nicht zu spalten.

Kraft hat auch deswegen so viele Stimmen erhalten, weil sie sich von der Schröder-SPD und deren Kurs ferngehalten hatte, die noch immer wie ein Gespenst und vor allem in Form von Steinmeier und Steinbrück, in gewissen Sinne auch von Parteichef Gabriel die Partei beherrschen. Gabriel hat sich in der Jauch-Talkshow gestern allerdings schon einmal gehörig von Schröder und dessen Empfehlung von Steinbrück abgesetzt. Kraft hat die SPD in NRW wieder an die Wurzel der sozialdemokratischen Politik mit dem Thema der sozialen Gerechtigkeit, Arbeit und Bildung zurück- und von der einseitigen neoliberalen Schröder-Politik mit Steuersenkungen und Hartz IV weggeführt. Kraft ist bieder, sie reißt die Jungen sicherlich nicht mit, aber sie macht eine deutlich andere Politik als Schwarz-Gelb. Immerhin wählten am meisten Erstwähler - aber auch meisten der Über-70-Jährigen - die SPD, danach kamen Grünen und Piraten. Bei den Alten schnitten Grüne und vor allem Piraten am schlechtesten ab. Das Problem der SPD - wie das der CDU - ist gleichwohl, dass die Partei desto mehr Anklang findet, desto älter die Wähler sind. Die FDP findet bei allen Altersgruppen etwa gleichen Anklang, Grüne punkten bei den 18-65-Jährigen und die Piraten bei den 18-34-Jährigen.

Aber zurück zur SPD auf der Bundesebene. Kraft hat klar gemacht, dass es auf die Person ankommt, aber auch auf eine Abkehr von der Politik der Agenda 2010 und dem Versuch, noch mittiger als die Mitte zu sein, um die auch Union und FDP buhlen. Wenn die SPD und damit Rot-Grün eine Chance bei den Bundestagswahlen haben wollen, dann muss sie sich von der Troika und dem, was sie verkörpern, trennen und einen Schlussstrich mit den Schröders, Clements, Schilys etc. ziehen. Wowereit ist spätestens seit dem Flughafen-Fiasko kein Kandidat mehr, Gabriel ist wohl zu unbeliebt, Kraft und Helmut Schmidt können es nicht sein. Wen also haben die Sozis zu bieten, der unbelastet von der Schröder-Dynastie ist und persönlich als auch politisch für einen Neubeginn glaubhaft einstehen kann? Solange die SPD hier bockt, kann sich Merkel relativ sicher sein, doch noch irgendwie weiterwursteln zu können, es sei denn, die Piraten entern das Staatsschiff.