"Quotenpolitik ist keine linke, sondern eine rechte Politik"

Alexander Ulfig über den Unterschied zwischen Unterrepräsentanz und Diskriminierung

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Quotenpolitik gilt zwar als emanzipatorische Antwort der Politik auf die Unterrepräsentanz von Frauen in gehobenen Wirtschaftspositionen, kommt aber in Wahrheit nur einer kleinen Lobby von ohnehin bereits privilegierten Frauen zugute und diskriminiert Männer, meint der Philosoph und Soziologe Alexander Ulfig, der den Ausbau von Kitaplätzen und Ganztagsschulen fordert. Telepolis sprach mit dem Mitherausgeber des Sammelbandes Qualifikation statt Quote.

Herr Ulfig, unter den achtzehn Autoren Ihres Sammelbandes ist nur eine Frau vertreten. Eine Frauenquote erfüllen Sie damit also nicht. Konnten Sie keine weiteren Frauen dafür erwärmen oder wollten Sie mit dieser Besetzung bewusst ein Zeichen setzen?

Alexander Ulfig: Weder das eine noch das andere. Ich und die anderen Herausgeber haben überhaupt nicht auf das Geschlecht der Autoren geachtet. Für uns war einzig und alleine die Qualität der Beiträge, genauer: die Qualität der Argumente von Bedeutung. Einer meiner akademischen Lehrer, Jürgen Habermas, sprach vom "zwanglosen Zwang des besseren Arguments". Die Gruppenzugehörigkeit der Argumentierenden sollte im "argumentativen Diskurs" keine wesentliche Rolle spielen. Das war in den 80er Jahren. Seit Mitte der 90er Jahre erleben wir einen Siegeszug der Gender-Ideologie.

Das Geschlecht avancierte zur zentralen sozialen Kategorie. Die Dichotomie zwischen Männern und Frauen bestimmt zunehmend den politischen und sozialwissenschaftlichen Diskurs. Seitdem haben wir uns daran gewöhnt, automatisch nach dem Geschlecht der sozialen Akteure, insbesondere nach der Anzahl und der Bedeutung von Frauen, zu fragen.

Somit sind wir von dem Anspruch der Aufklärung, Menschen nicht nach ihrer Gruppenzugehörigkeit, sondern nach ihren individuellen Fähigkeiten zu beurteilen, abgekommen. Ein weiterer Kollektivismus hat sich fest etabliert. Die Folge davon ist, dass Männer und Frauen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft als Repräsentanten ihres Geschlechts und nicht als Individuen betrachtet werden.

"Unterrepräsentanz muss nicht Diskriminierung bedeuten"

Was sind Ihre Hauptkritikpunkte an der Frauenquote?

Alexander Ulfig: Die Frauenquote widerspricht dem Grundgesetz, denn laut Artikel 3, Absatz 3 des GG dürfen Menschen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit weder benachteiligt noch bevorzugt werden. Hier werden die Quoten-Befürworter einwenden: Mit Hilfe der Frauenquote sollen Benachteiligungen von Frauen, genauer: die "Unterrepräsentanz von Frauen" in einigen Arbeitsbereichen, beseitigt werden.

Dabei nehmen sie als selbstverständlich an, dass diese Unterrepräsentanz eine Folge der Frauendiskriminierung sei. Faktisch ist es jedoch nirgendwo nachgewiesen, dass eine systematische und flächendeckende Diskriminierung von Frauen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft besteht. Unterrepräsentanz muss nicht Diskriminierung bedeuten. Ihre Ursachen liegen zum Beispiel in den unterschiedlichen Interessen und Präferenzen von Frauen und Männern.

Es gibt viele Belege dafür, dass sich Frauen für technische und naturwissenschaftliche Fächer weniger als Männer interessieren. Außerdem ist es ebenfalls belegt, dass Frauen andere Lebensentwürfe als Männer präferieren; sie entscheiden sich wesentlich häufiger für Teilzeitarbeit und geben ihren außerberuflichen Tätigkeiten einen viel größeren Stellenwert.

Als Rechtfertigung für die Einführung einer Frauenquote wird oft das Bestehen einer gläsernen Decke genannt, die Frauen daran hindere, Karriere zu machen. Erstens lässt sich eine "gläserne Decke" empirisch schwer nachweisen. Und etwas, was sich empirisch schwer nachweisen lässt, kann nicht als Grundlage für die Gesetzgebung, in unserem Fall die Einführung einer gesetzlichen Frauenquote, gelten.

Zweitens stoßen auch fast alle Männer an Beförderungs- sowie Karrieregrenzen und an Grenzen des sozialen Aufstiegs. Das hat unterschiedliche Ursachen, die für Männer und Frauen gleich sind. Eine dieser Ursachen liegt in dem Schichtencharakter unserer Gesellschaft.

Aber auch wenn wir annehmen, dass es in einigen Firmen Strukturen gibt, die Frauen daran hindern, Karriere zu machen, dann wäre eine Frauenquote dazu keine Alternative. Wir müssten dann vielmehr am Aufbau eines Systems arbeiten, in dem außerfachliche Faktoren wie "gläserne Decken", Vorurteile, Klischees, Seilschaften, Patronage, Vetternwirtschaft undsoweiter ausgeschlossen wären und nur die fachliche Qualifikation der Bewerber zählen würde.

"Frauen sind in sozialen, pädagogischen und philologischen Bereichen offensichtlich besser qualifiziert"

Was werfen Sie in diesem Zusammenhang der Gleichstellungspolitik vor?

Alexander Ulfig: Das erklärte Ziel der Gleichstellungspolitik ist es, Ungleichheiten im Verhältnis der Geschlechter zu beseitigen. Dabei bedeutet Ungleichheit in erster Linie statistische Ungleichheit, also den Tatbestand, dass Frauen in einigen Arbeitsbereichen unterrepräsentiert sind. Das Ziel ist demnach nicht die Chancengleichheit, das heißt die Gleichheit von Startchancen, sondern die Besetzung von Arbeitsplätzen nach einem ganz bestimmten Geschlechterverhältnis, im Idealfall dem Verhältnis von 50:50, so zum Beispiel die Zielvorgabe im Berliner Landesgleichstellungsgesetz (§8). Anders formuliert: Das Ziel der Gleichstellungspolitik ist nicht Chancengleichheit, sondern Ergebnisgleichheit. Somit laufen Gleichstellungsgesetze auf eine Quotierung hinaus.

Dazu sollte man Folgendes anmerken: Es gibt Bereiche, in denen es mehr besser qualifizierte Männer als Frauen, und Bereiche, in denen es mehr besser qualifizierte Frauen als Männer gibt. In technischen und naturwissenschaftlichen Arbeitsbereichen gibt es offensichtlich mehr besser qualifizierte Männer als Frauen, in sozialen, pädagogischen und philologischen Bereichen offensichtlich mehr besser qualifizierte Frauen.

Versucht man in den von Männern dominierten Bereichen das Geschlechterverhältnis 50:50 herzustellen, so wird die individuelle Qualifikation als Maßstab außer Kraft gesetzt. Es zählt nicht mehr die individuelle Qualifikation, sondern das Geschlecht, besser: ein statistischer Gleichheitswert. Männer erhalten aufgrund der angestrebten Quote 50:50 nicht die Stellen, die sie eigentlich erhalten sollten. Die Gleichstellungsgesetze führen somit zur strukturellen Diskriminierung von Männern.

Zwar wird in den Gleichstellungsgesetzen hervorgehoben, dass Frauen "bei gleicher Qualifikation" bevorzugt behandelt werden. Doch "gleiche Qualifikation" kann es nur bei ganz einfachen Tätigkeiten geben. Beispielsweise sind Qualifikationen, die in der Wissenschaft benötigt werden, viel zu komplex, um in ihrem Fall von Gleichheit zu sprechen. Wissenschaftler sind immer unterschiedlich qualifiziert. Das gilt auch für die allermeisten Berufsfelder.

Tatsächlich ist die Satzung "bei gleicher Qualifikation werden Frauen bevorzugt behandelt" ein wichtiges Instrument der Quotierung und der Bevorzugung von Frauen. In vielen Einstellungsverfahren lassen sich nämlich Qualifikationsunterschiede aufgrund von bestehenden (mangelhaften) Qualifikationskriterien nicht einfach feststellen.

Oft ist man gar nicht gewillt, nach weiteren Qualifikationsunterschieden zu suchen. In solchen Fällen kann immer gesagt werden, dass gleiche Qualifikation vorliege und dass deshalb zugunsten von Frauen entschieden werden müsse. Wenn in einer Firma oder an einem Fachbereich einer Universität der feste Wille besteht, eine Frau zu haben, brauchen sich die Männer um die entsprechende Stelle eigentlich gar nicht zu bewerben.

Behaupten Sie, dass es keine biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt, die sich im Berufsleben der Frauen nachteilig gegen sie auswirken? Und wie kann der Staat anders als über Quotierung auf diese Missstände reagieren?

Alexander Ulfig: Der biologische Unterschied, auf den Sie hier offensichtlich anspielen, ist die Fähigkeit der Frauen, Kinder zu gebären. Damit verweisen Sie auf das Thema "Vereinbarkeit von Familie und Beruf". Das ist ein sehr wichtiges Thema. Der von Ihnen genannte biologische Unterschied und die daraus resultierenden unterschiedlichen Lebensbedingungen von Männern und Frauen haben einen Einfluss auf die Wahl und die Ausübung des Berufs. Das oben erwähnte stärkere Interesse von Frauen für Teilzeitarbeit ist die offenbar die Folge dieser Unterschiede.

Nicht nur der Staat beziehungsweise die Politik, sondern auch die Privatwirtschaft sollten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf mehr Aufmerksamkeit schenken. Zwecks Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf brauchen wir erstens bessere Angebote einer flächendeckenden Kinderbetreuung, in erster Linie mehr Kita-Plätze und mehr Angebote an Ganztagsschulen. Die Kita-Plätze sollten ferner kostengünstiger und die Öffnungszeiten der Kitas sollten verlängert werden. Einige Unternehmen richten ihre eigenen Kitas am Firmenstandort ein. Leider handelt es sich bisher nur um große Unternehmen, die sich das leisten können.

Von der Verbesserung der Kinderbetreuung hängt im Wesentlichen der Ausmaß des beruflichen Wiedereinstiegs ab. Seit 1998 gibt es bei den Ämtern spezielle Ansprechpartner, ferner Programme für Wiedereinsteigerinnen. Und schließlich sollte der Prozess der Flexibilisierung von Arbeitszeiten schneller vorangetrieben werden. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Abkehr von der Präsenzkultur und die Hinwendung zu einer Leistungskultur, bei der das Arbeitsergebnis und nicht die in der Firma verbrachte Zeit zählt.

Ihrem Buch zufolge kommt nur wenigen Frauen eine Quotierung zugute. Um welche Personengruppen handelt es sich dabei?

Alexander Ulfig: Die Forderung nach einer Frauenquote wird nur in Bezug auf prestigeträchtige Stellen in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, in Bezug auf die sogenannten "Führungspositionen", erhoben. Das zeigt, dass die Quotenpolitik inkonsequent ist und eine Rosinenpickerei darstellt. Sie zielt auf eine Privilegierung für eine relativ kleine Gruppe von Frauen ab. Von einer Frauenquote in den Vorständen der DAX-Unternehmen würden circa 300 Frauen profitieren.

Die Millionen von Frauen aus der Unterschicht hätten überhaupt nichts von einer solchen Quote. Übrigens haben auch die Millionen von Männern aus der Unterschicht nichts davon, dass ihre „Geschlechtsgenossen“, besser: Klassenfeinde, die Mehrheit in den Vorständen bilden. Trotzdem wird die Dominanz von Männern in den Vorstandsetagen von feministischer Seite als Beweis für die Macht der Männer angesehen.

Einer unserer Autoren, der Wirtschaftswissenschaftler Günter Buchholz, hebt hervor, dass die Gleichstellungs- und Quotenpolitik aus den oben genannten Gründen keine linke, sondern eine privilegierende, also eine rechte Politik ist. Sie ist eine Klientelpolitik für einen relativ kleinen Kreis von Frauen aus oberen Schichten.

Die Frauenquote wird von einer starken Lobby in der Politik gefordert, die parteiübergreifend ist. Ihre Vertreterinnen haben sich in der Initiative Berliner Erklärung" organisiert. Unterstützung erhält diese Lobby von den Mainstream-Medien, die bereitwillig eine Hurra-Propaganda für die Frauenquote betreiben, wobei gebetsmühlenartig immer wieder dieselben Parolen und Phrasen geäußert werden.

Kritische Artikel zu diesem Thema werden dort äußerst selten veröffentlicht. Erstaunlicherweise sind es auch linke Medien, die sich an dieser unreflektierten und unkritischen Propagierung der Frauenquote beteiligen. Somit wurde eine unabhängige Diskussion zu diesem Thema geradezu tabuisiert. Mit unserem Sammelband möchten wir hier Abhilfe schaffen, indem wir erstmals auf breiter Basis unabhängige Wissenschaftler und Publizisten zu Wort kommen lassen.

"Bessere Qualifikationsstandards anstatt diskriminierender Quotenpolitik"

Nun haben die nachgewiesenen Doktorarbeits-Plagiate von Politikern den Beweis erbracht, dass es zumindest auf der gehobenen Führungsebene scheißegal ist, welche Qualifikation man mitbringt. Ist das nicht ein letztendlich Argument für die Quote?

Alexander Ulfig: Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass nicht viel Kompetenz dazu gehört, eine Führungsposition zu bekleiden. Das gilt insbesondere für die Posten in den Vorstandsetagen großer Unternehmen. Auch wenn es so ist, wie Sie sagen, sollte es doch sicher nicht so sein. Ich bin am Aufbau eines gerechten und gut funktionierenden gesellschaftlichen Systems interessiert. Ein solches System kann nur dann entstehen, wenn wir eine konsequente "Politik der Qualifikation" betreiben.

Das bedeutet, dass in Einstellungsverfahren Bewerber nach ihren individuellen Qualifikationen und nicht nach ihrer Gruppenzugehörigkeit und außerfachlichen Faktoren beurteilt werden sollten. Die Bemühungen von Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sollten sich darauf richten, bessere Qualifikationsstandards zu erarbeiten, anstatt eine diskriminierende Quotenpolitik zu betreiben. Insofern liefern die von Ihnen genannten negativen Phänomene kein Argument für, sondern gegen die Quote.

Außerdem würde eine Frauenquote in den Vorständen der DAX-Unternehmen die Forderung nach Quoten in anderen Bereichen nach sich ziehen. Unlängst haben Journalistinnen eine Frauenquote für die Redaktionen großer Zeitungen gefordert. Die rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen plant die Einführung einer Frauenquote an Hochschulen. Wir müssen uns fragen, ob wir in einer von oben durchquotierten und durchregulierten Gesellschaft leben möchten und welche Alternativen es dazu gibt.

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