Die fiktiven Schulden der DDR

Teil 2: "War die Wiedervereinigung viel billiger?"

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Von Taschenspielertricks des Autors bei den Tabellen des ersten Teils sprachen einige Leser - dabei stammten die Zahlen direkt aus dem Bericht der Deutschen Bundesbank vom März 1997. Auch die vom Autor bezweifelte Aussage, ein großer Teil der Schulden der Bundesrepublik Deutschland beruhe auf der Wiedervereinigung, lässt sich beispielsweise 2009 in einem Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) belegen.

400 Milliarden West-Mark Schulden?

"Ich darf das gerne noch einmal vorrechnen", sagte Norbert Schindler von der CDU, noch heute Mitglied des Finanzausschusses des Bundestages, in der 236. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Mai 2002:

400 Milliarden Mark Auslandsschulden der DDR. 400 Milliarden Mark Inlandsschulden der DDR. 1100 Milliarden Mark Transferleistung sind die Bilanz. Das sind rund 2000 Milliarden Mark.

Der keineswegs überdurchschnittliche Anstieg der gesamtdeutschen Staatsschulden von 1989 bis 1996 wirft zudem die Frage nach den tatsächlichen Kosten der Einheit auf. Fakt bleibt, dass bis 1996 im Fonds Deutsche Einheit und in den Ost-Gemeinden und -Ländern insgesamt 205 Milliarden Mark Schulden, also etwas über 100 Milliarden Euro, in den Büchern standen. Knapp 40 Milliarden Euro wurden bis 1996 aus dem 1991 eingeführten Solidaritätszuschlag erlöst und selbstverständlich sind auch im Budget der Deutschen Rentenversicherung und in der Bundesagentur für Arbeit Transferleistungen enthalten. Zwar bezuschusst der Bund seit eh und je die gesetzliche Rentenversicherung - dennoch sind Soli, Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung zu 90 Prozent durch schmerzhafte Umlagen, nicht durch betäubende Kredite finanziert.

Es lässt sich nicht leugnen, dass seit 1990 ständige Steuer- und Abgabenerhöhungen erfolgten, die in erster Linie den westdeutschen Mittelstand trafen - bis heute Gegenstand des Ärgers über die angeblich schmarotzenden Brüder und Schwestern im Osten.

Andererseits konnten im Steuerrecht erhebliche Ost-Investitionen steuerlich abgeschrieben werden, sodass die angebliche Transferzahlung oft netto ein Nullsummenspiel war. 1997 gab der Wirtschaftsforscher Rüdiger Pohl dem Spiegel ein Interview. Darin beziffert er die jährlichen Steuerausfälle durch die Sonderabschreibung Ost mit 14 Milliarden Mark - etwa ebenso hoch waren die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag.

Im hessischen Millionärs-Kreis Bad Homburg etwa musste das Finanzamt 1996 und 1997 gar netto 10 Millionen Mark Einkommensteuer zurückzahlen, machte also Verlust. Ähnlich war es in München und Starnberg.

Aber zu welchem Kurs? Die DDR-Schulden als Spekulationsobjekt

Zwischen Anfang 1989 und dem 3. Oktober 1990 variierte der Kurs der DDR-Mark zwischen 1:5 und jenen 1:1, die dann für kleinere, private Sparguthaben von DDR-Bürgern angesetzt wurden. Wenn die Aussage von Norbert Schindler tatsächlich stimmt, dass die DDR 400 Milliarden Mark Auslands- und 400 Milliarden Mark Inlandsschulden gehabt hätte, dann wären das bei einem Kurs von 1:5 zwei Billionen DDR-Mark gewesen. War die die DDR also das höchstverschuldetste Land der Welt?

Fakt bleibt: Die offiziellen Auslandsschulden in Valutamark, also D-Mark betrugen nach der Bereinigung um die Guthaben inklusive des Saldos im innerdeutschen Handel im Jahre 1989 genau 18,4 Milliarden Mark. Dieser Betrag wurde von dem Hallenser Ökonomen Karl Mai als faktenreiches Arbeitspapier 1999 an der Universität Bremen veröffentlicht und bildete auch die Grundlage seiner Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg Stiftung Sachsen 2008.

Wie Spiegel-Autor Michael Jürgs in einem heute noch lesenswerten Highlight der Spiegel-Recherchen über die Treuhand herausfand, bildete die Spekulation auf den möglichen Umtauschkurs der DDR-Mark für verschiedenste Marktteilnehmer die Möglichkeit risikoloser Geldvermehrung zulasten der westdeutschen Bundeskasse.

In der Position "Öffentliche Verschuldung in den Nebenhaushalten" setzte die Deutsche Bundesbank in ihrem bereits mehrfach hier zitierten Monatsbericht 1997 die Valutaschulden der DDR mit 28 Milliarden Mark West fest.

Die Zahlen passen nicht zusammen

Die von Norbert Schindler erwähnten Auslands- und Inlandsschulden der DDR lassen sich in dieser Höhe in den Berichten der Deutschen Bundesbank nicht finden. Erst 1995 wurde der Großteil dieser Schulden zusammen mit den Treuhandschulden in den nunmehr 332 Milliarden starken Erblasttilgungsfonds umgebucht. Der größte Posten darin: 205 Milliarden Mark Schulden der Treuhandanstalt. Diese konnten eigentlich rein rechtlich keinerlei DDR-Schulden enthalten, hatte die Treuhand doch die Möglichkeit, ein überschuldetes oder aus anderen Gründen nicht zukunftsträchtiges DDR-Unternehmen "abzuwickeln", sprich zu schließen. Dennoch bilanzierte die Treuhandanstalt 73 Milliarden Mark übernommene "Altkredite" und nahm satte 129 Milliarden Mark Neukredite zur Finanzierung von "Defiziten" auf. Zusammen mit 2 Milliarden Mark für "Sonstiges" entspricht das genau jenen 205 Milliarden Mark, die 1995 unter dem Posten "Treuhand" im Erblasttilgungsfonds endgelagert wurden.

Weitere 102 Milliarden Mark tauchten erst 1994, vier Jahre nach der Wiedervereinigung als "Kreditabwicklungsfonds" auf, der dann gleich 1995 wiederum in den Erblastentilgungsfonds überführt wurde. Es handelte sich dabei um Kredite ehemaliger DDR-Unternehmen bei DDR-Banken und DDR-Lieferanten, die ja wohl vollständig in DDR-Mark notiert gewesen sein müssen. Bei einem Kurs von 1:4 wären das vielleicht die 400 Milliarden Mark (Ost) von Schindler gewesen?

226 Millionen für 15 Milliarden - Das Geschäft mit der Deutschen Wiedervereinigung

Für insgesamt 226 Millionen Mark West übernahm die in Frankfurt ansässige DG-Bank Deutsche Genossenschaftsbank die DDR-Landwirtschaftsbank. Interessante Frage: Welches Geschäftsmodell sollte diese nach der Auflösung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und der Rückgabe von Grundstücken an die Alteigentümer noch haben?

Die Antwort darauf sind 15,5 Milliarden Mark Forderungen, die die Landwirtschaftsbank an DDR-Schuldner hatte.

Die Berliner Bank AG erwarb für 49 Millionen Mark die aus DDR-Staatsbank hervorgegangene Berliner Stadtbank mit Altforderungen von 11,5 Milliarden Mark. Da durfte auch die West LB nicht fehlen: Die 430 Millionen teure Deutsche Außenhandelsbank brachte sozialistische Schuldner in Höhe von 7 Milliarden Mark (West) ein.

In seinem "Bericht über die Abwicklung von Altkrediten der ehemaligen DDR und die Übernahme von Geschäften ehemaliger DDR-Kreditinstitute durch andere

Geschäftsbanken" vom 27. September 1995 (Az.: VII 3 - 208004), bemängelte der Bundesrechnungshof die Praxis von Banken, sich Altschulden zulasten der Bundeskasse zu kaufen. Selbst Ost-Gemeinden fanden sich auf einmal als Schuldner wieder und sollten noch 1995 8,73 Milliarden Mark West an ihre neuen Gläubiger bezahlen.

Fazit: Das Ergebnis heiligt die Mittel

Die tatsächlichen Schulden der DDR in Valutamark waren erheblich niedriger, als oft dargestellt. Die Fantasiezahl von 400 Milliarden D-Mark des CDU-Finanzexperten Schindler konnte nicht bestätigt werden. Der Blick auf die Entwicklung einheitsbedingter Schulden bis 1996 zeigt, dass ab 1991 überhaupt erst die richtige Schuldenaufnahme begann. Dabei wurden in erheblichem Ausmaß Schulden im Kurs 1:2 in die Bundesrepublik übernommen, die eigentlich mit der Einführung der D-Mark nichtig waren, da ihre Gläubiger und deren Organe nicht mehr als rechtsfähige Einheiten existierten.

Artikel 10 des Vertrages über die Wirtschafts- und Währungsunion verlangte von der Noch-DDR jedoch die sofortige Einführung eines "marktwirtschaftlichen Kreditsystems". Die Umstellung "aller Forderungen und Verbindlichkeiten" zum Fantasiekurs von zwei DDR-Mark für eine Westmark widersprach zwar einer marktwirtschaftlichen Bewertung - die wäre bei 1:5 gelegen - bot aber Geschäftsmodelle ohne Ende.

Wie gegenwärtig in Griechenland zu beobachten, führt dies zu dem paradoxen Anreiz, Altschulden möglichst mit hohen Zinssätzen immer weiter umzuschulden - und damit die eigenen Bilanzen durch angebliche "Forderungen" zu entlasten: Ost-Schulden trugen so zur Sanierung von Westbilanzen bei.

Dass die Gesamtbilanz der Deutschen Einheit 2012 dennoch als nicht nur historisch herausragend gelten kann, mildert die im Vertrag von 1990 enthaltenen Straftatbestände der Veruntreuung, Urkundenfälschung und des Kreditbetruges. 2012 übersteigen die Privatvermögen des vereinten Deutschland die Staatsschulden um das Vierfache. Die 1990 bis 1996 zu Unrecht kassierten, nach Schätzung des Autors etwa 100-150 Milliarden Euro, wurden letztlich auch in den großen Topf einer föderal organisierten Mittelstands- und Wohlfahrtsgesellschaft geworfen. Die erwies sich als erstaunlich resistent gegen anderswo desaströs verlaufende Kapitalismuskrisen. Dass aber die uferlose Schuldenmacherei der Deutschen seit 1990 einmal mit einem Zinssatz von null Prozent honoriert werden würde, haben weder die Apologeten noch die Skeptiker der deutschen Einheit je zu träumen gewagt.

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