Namhafte Ahnungslose gegen ahnungslose Anonyme

"Mundtotmachen von Künstlern" - und "Doxxing" als legitimes Mittel? Reaktionen auf die Veröffentlichung der Adressen von "Wir sind die Urheber"-Unterzeichnern

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Künstler sollen "mundtot gemacht" und für "vogelfrei" erklärt werden. Für die Vertreter der 17 Verlage gibt es an der Aktion, die unter dem Namen Anonymous durchgeführt wurde, nichts zu deuteln. Die Veröffentlichung von Namen, Adressen, Telefon, Fax und E-Mail der Unterstützer des Aufrufes "Wir sind die Urheber" ist ein aggressiver Akt, eine Einschüchterung, ein Unter-Druck-Setzen, der "vorläufige Höhepunkt von beispiellosen kunstfeindlichen Beleidigungen und Beschimpfungen aus der Deckung des Internets".

Das steht in der öffentlichen Erklärung, die von Helge Malchow (Kiepenheuer & Witsch), Michael Krüger (Hanser), Thomas Sparr (Suhrkamp), Alexander Fest (Rowohlt) und anderen unterzeichnet wurde. Malchow spricht von einem "Jargon der Unmenschlichkeit", von einer Progromstimmung gegen Künstler; Random House will Strafanzeige stellen.

In der FAZ werden die veröffentlichten Namen und Adressen als "Datensteckbriefe" bezeichnet. Die Anonymous-Aktion wird in einer Weise geschildert, die an das methodische Vorgehen einer Terroristenzelle denken lässt:

Dass diese Daten aber nicht allein aus öffentlichen, leicht zugänglichen Quellen stammen, sondern das Ergebnis von Recherche und Aushorchung sind, kann man schon an dem Beispiel des Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff sehen. Auch er, der aufgrund seiner Arbeit besonderen Wert darauf legen muss, nicht für jedermann identifizierbar zu sein, wird von der Anonymous-Gruppe, die diese Datei angelegt hat, als Zielperson aufgeführt.

Die geistige Verbindung zum Totalitarismus wird klar benannt. Der Koordinator der angegriffenen Aktion "Wir sind die Urheber", der Literaturagent Landwehr, wird mit den Worten zitiert: "Es geht hier um Bloßstellung und Bedrohung, wie man sie aus totalitären Staaten kennt."

Totalitäre und ahnungslose "Urheberrechtsabschaffer"

So bestätigt die Anonymous-Aktion genau den Ungeist, den man von Seiten der Urheber als Gegner oder Feindbild ausgemacht hat. Netzuser, die im Schutz der Anonymität operieren, notfalls, wenn es gegen ihre Interessen geht, mit totalitären Mitteln agieren, "an den Pranger" stellen - ein kunst-und kulturfeindlicher Fun-Schwarm, der das Gespür für Qualität verloren hat, was sich darin zeige, dass diese Seite alles umsonst haben will, weil dort keine Ahnung dafür vorhanden ist, wie viel Arbeit hinter Kunst- und Kulturproduktion steht.

Dieses Feindbild kennt Abstufungen, Variationen und verschiedene Akzentuierungen, das Grundmotiv "die Ahnungslosigkeit der Urheberrechtsabschaffer" ist immer dabei. Sehr deutlich auf den Punkt gebracht heute von Sibylle Lewitscharoff:

Ausgerechnet Leute, die geistiges Gut anscheinend zum Wohle aller unentgeldlich unter die Leute bringen wollen, sind die schlimmsten Banausen, weil sie denen keinerlei Respekt erweisen, die diese Leistung erbringen, und weil sie einfach nicht wissen, wie schwierig es ist, ein wirklich gutes Buch oder ein erstklassiges Gedicht zu verfassen. Sie wissen erst recht nicht, mit welchem personellen Aufwand seriöse Verlage diese Produkte betreuen und wie schmal deren Gewinnmargen geworden sind.

Auch das richtet sich pauschal gegen eine anonyme Menge ("Leute"). Wie viel daran ist ein Gefühl, wie viel daran Kenntnis der Situation, wieviel daran Eindruck, der aus der gegenwärtig laufenden Diskussion gewonnen wird?

"Künstler bedrohen ist wirklich dumm"

Die Aktion von Anonymous hat viel Kritik erzeugt. Auch bei Frank Rieger, der findet, dass das Label Anonymous schon mal für sinnvollere Aktionen benutzt wurde: "Künstler bedrohen ist wirklich dumm." Wenn stimmt, was laut oben genanntem FAZ-Artikel tatsächlich in "Anonymous"-Veröffentlichungen zu lesen war, dann weisen sich die Akteure, die sich den Anonymous-Mantel umgehängt haben, wirklich als "Dumpf&Stumpf" aus:

"Fuck your copyright blah blah blah". Falls die Unterzeichner von ihrem Vorhaben nicht abließen, heißt es (in primitiv drohender Gossensprache), würden sie weiterhin verfolgt, verfolgt und verfolgt - und man werde weitere Daten offenlegen.

Zweifel: Filesharer = Anonymous?

Doch gibt es Zweifel daran, ob die Sache so einfach liegt. Einen eher hypothetischen Zweifel und einen, der durch ein Dokument gestützt wird. Der hypothetische Zweifel hält es angesichts der aufgeheizten Stimmung in der Debatte für nicht ganz ausgeschlossen, das Vieles miteinander vermengt wird, was eigentlich unterschieden gehört - etwa der Aufruf der "Wir sind Filesharer" von der Anonymous-Aktion. Im Aufruf der Filesharer finden sich tatsächlich Textstellen, die der oben zitierten sehr ähneln:

Wir sind Filesharer!
Wir scheissen auf euer Urheberrecht.
Wir scheissen auf eure Gesetze.
Wir scheissen auf euer geistiges Eigentum.
Wir scheissen auf eure Anwälte.
Wir scheissen auf euer Copyright.

Und das Ende dieses Textes hat Ähnlichkeiten mit dem "We are Legion", das sich bei Anonymous-Veröffentlichungen findet:

Wir sind viele.
Wir werden immer mehr.
Wir gehen nicht mehr weg.

Der Aufruf selbst wird aber nicht mit Anonymous autorisiert. Das ist ein Text, der aus einer eigenen Position kommt, die ein eigenes Thema wäre, der aber nichts mit der Veröffentlichung von Adressen durch ein Anonymous-Kollektiv zu tun hat. Solche Unterscheidungen sind wichtig, wenn es um Qualität geht. Und zur Qualität gehört vielleicht auch die Mühe, sich die Position der Gegenseite genauer anzuschauen, zum Beispiel die Erklärung der "Wir sind die Urheber"-Kampagne von Anonymous im Namen von AnonPress. Dieser Text ist auf Pastebin mit einem Suchbegriff leicht zu finden.

Die Erklärung der Anonymous-Aktivisten

Dieser Text, der doch auf einem anderen Niveau argumentiert, als man das nach dem Lesen der oben zitierten Entrüstung annimmt, legt zunächst offen, woher die Daten kommen:

Mehrere Aktivisten des losen Kollektivs "Anonymous" (mit dem sich jeder identifizieren kann), haben sich die "Mühe" gemacht, Adressen, Geburtsdaten und Telefonnummern einiger Künstler zu sammeln und zu veröffentlichen. Diese Daten wurden NICHT auf "kriminellem" Wege beschafft, ebenso wenig wurde irgendeine Datenbank gecracked. Die Daten wurden laut den Aktivisten, aus online Telefonbüchern, Wikipedia-Profilen und Impressen der Künstler-Webseiten kopiert.

Und nimmt dann Bezug auf die Bedrohung:

Laut den Aktivisten, welche auch den Twitter Account benutzen, sollte die Aktion keine Bedrohung oder Untergrabung der Meinungsäußerung darstellen. Dieses sogenannte "doxxing", wurde in diesem Fall als Druckmittel gegen die Kampagne verwendet.

Gegen "Doxxing" spricht eine ganze Menge. Das "Spiel" mit dem Schutz der Privatsphäre, die durch die Veröffentlichung von Privatdressen brüchig wird, kann für die betroffenen Person sehr unangenehme Konsequenzen haben. Wieso bei solchen Aktionen andere Privatschutz-Maßstäbe angelegt werden als beim Datenschutz, wo dergleichen Enthüllungen als Skandal herausgestellt werden, ist nicht jedermann verständlich.

Bedrohung durch Verstärkung des Schutzes der Urheberrechte

Doch verdienen die Antworten, die in dem AnonPress-Dokument auf die Frage gegeben werden, warum dieses "Druckmittel" verwendet wurde, einige Aufmerksamkeit:

Diese Leute lassen sich mit solchen Kampagnen von der Lobby vor den Karren spannen und merken es noch nicht mal. Gerade in Zeiten wo hitzige Debatten rund um ACTA, VDS uvm. anstehen, macht man sich mit dieser Art von Kampagne nicht viele Freunde. Meinung hin oder her, wir haben als neutrale Bürger dem Verantwortlichen dieser Aktion mehrere Mails geschrieben, was man damit bezwecken möchte und ob man nicht bitte genauer über diese Kampagne aufklären könne. Wir haben keine Antworten erhalten und wurden ignoriert.

So ist auch hier von einer Bedrohung die Rede, welche die Unterzeichner von "Wir sind die Urheber" nicht richtig verstanden haben. Deren Appell fordert eine härtere Durchsetzung von Urheberrechten, ohne dies zu präzisieren.

Es gilt, den Schutz des Urheberrechts zu stärken und den heutigen Bedingungen des schnellen und massenhaften Zugangs zu den Produkten geistiger Arbeit anzupassen.

Gedankenlosigkeit? Oder Unwissen darüber, wie Urheberrechte durchgesetzt werden, mit mehr Überwachung, mehr Abmahnungen?

Man könnte vermuten, dass die "Urheber" sich im Sanktions-und Überwachungsbereich des Urheberrechts - eindrücklich von Frank Schirrmacher beschrieben -, so wenig auskennen wie die "Netzanonymen" im Verlagsbereich. Man kann Hanser und Bertelsmann nicht in einen Verwerter-Topf werfen, wie dies pauschal in Diskussionen praktiziert wird.

Frage: Wie würden sich Schriftsteller zum Urheberrecht äußern, wenn ihnen ein Zeitungsverlag eine Lizenzforderung in dreistelliger Höhe in den Briefkasten wirft, weil sie eine Zeitungsrezension ihres Buches auf ihrer Website veröffentlichen? Der Axel Springer Verlag macht so etwas tatsächlich (300 bis 500 Euro pro Zitat aus der Welt oder der Bild-Zeitung. Nur hat es offenbar noch keinen von den Unterzeichnern erwischt.

Würden auf Abmahnungen erpichte Anwälte, die von einer härteren Durchsetzung von Urheberrechten sicher deutlicher profitieren als Autoren, Webveröffentlichungen von Schriftstellern genauer durchsehen, würden sie wahrscheinlich bei mancher Verwendung von Fotos oder Texten fündig werden, so wie bei Politikern. Der Teufel steckt auch hier häufig im Detail. Auch das ist in der Verlagsarbeit zu spüren.

Im AnonPress-Schreiben wird behauptet: "Fakt ist bei dieser Geschichte, dass niemand bedroht wird und Anonymous auch niemals dazu aufrufen würde, jemanden zu bedrohen."

Das ist nur halb richtig, denkt man an die Möglichkeit von Eiferern, Stalkern und anderen Irren, die die Adressen als Gelegenheit zum Terror nutzen könnten. Und doch, ohne diese Gefahr zu relativieren: Zwischen einer Mundtotmach-Hetzkampagne gegen Künstler und dem, was im Schreiben der Anonymen vorgebracht wird, liegt ein Abstand. Kann man den nicht anders überbrücken als mit einer Kommunikation, die sich für das größere Feindbild neben den tatsächlich geäußerten konkreten Argumenten entscheidet?