"Schmuggeln ist über das Internet schwieriger als durch den Wald"

Christian Felber über Wege aus den Finanz-, Währungs- und Staatsschuldenkrisen

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Der Österreicher Christian Felber ist einer der Köpfe der Attac-Bewegung, um die es in den letzten Jahren etwas still wurde. Nun hat er zwei neue Bücher veröffentlicht: In einem geht es um das Modell einer Gemeinwohl-Ökonomie, die seiner Ansicht nach eine Ausweg aus den seit 2008 dicht aufeinanderfolgenden Krisen bietet; im anderen um die Fragen, wie man den Euro retten könnte und ob sich das überhaupt lohnt.

Herr Felber – Sie propagieren zur Lösung der Währungskrise nicht nur eine Finanztransaktionssteuer und eine automatische Anhebung der Vermögenssteuer bei einer Überschreitung von Verschuldungsgrenzen zum Abbau von Staatschulden, sondern auch eine Abgabenquote von mindestens 40 Prozent der Wirtschaftsleistung als neues Euro-Kriterium. Unter Politikern wird so etwas bislang nicht diskutiert. Warum nicht?

Christian Felber: Das hat zwei Gründe. Zum einen Ideologie: Viele Politiker glauben, dass höhere Staatseinnahmen schlecht sind und "Standortvernichtung", obwohl die Staaten mit den höchsten Sozial-, Steuer- und Staatsquoten, also die skandinavischen Staaten, sowohl bei den sozialen wie auch den wirtschaftlichen Indikatoren am besten dastehen.

Zum anderen (und dieser zweite Grund hängt mit dem ersten wesentlich zusammen) liegt das an Interessen: Bei höheren Staatsquoten müssten auch Vermögen besteuert werden. Und genau darin sind sich die griechische Regierung und die politischen Eliten der Euroländer einig, dass sie das nicht wollen. Weshalb sie es tabuisieren und in keinen Konvergenzpakt aufnehmen. Stattdessen tobt der Steuerwettbewerb in der EU, der zu einer immer weiteren steuerlichen Schonung der Binnenmarkt- und Globalisierungsgewinner führt. Und zu Defiziten in den Staatshaushalten aller Euroländer.

Christian Felber. Foto: Perikles. Lizenz: CC BY 3.0.

Ihrer Ansicht nach könnte man das Argument, dass Kapital wie ein scheues Reh ins Ausland flieht, wenn man es mit Steuerplänen erschreckt, ganz einfach dadurch entkräften, indem man Clearing-Banken verbietet. Lassen sich da tatsächlich keine anderen Wege zum Kapitaltransfer finden?

Christian Felber: Wenn an den "Hauptgrenzübergängen" des Kapitals wieder "Zollkontrollen" eingeführt würden (hier wäre das eine Änderung der Computerprogramme der Banken), könnten die Geschäftsbanken versuchen, zu schmuggeln, indem sie individuelle Grenzübergänge eröffnen. Aber das wäre erstens illegal und zweitens teurer, weshalb es ja zu den - heute privaten! - Hauptgrenzübergängen der Clearing-Banken gekommen ist. Es geht also um Effizienz. Wenn die Finanzaufsichten dies wollten, würden sie in Windeseile diese illegalen Grenzübergänge aufspüren und könnten die Banken dafür zur Verantwortung ziehen. Ich bleibe dabei: Schmuggeln ist über das Internet schwieriger als durch den Wald.

Parteien stehen im Weg

Banken, die sich nicht freiwillig strengeren Regeln unterwerfen, sollten ihrem Vorschlag nach einem echten freien Markt ohne Rettungsschirme, Guthabengarantie und Zentralbankanschluss ausgesetzt werden. Da müsste doch eigentlich grade die deutsche FDP dafür sein. Haben Sie mit der Idee schon mal bei ihr angeklopft?

Christian Felber: Ich klopfe als unabhängiger Publizist und überparteilicher Aktivist bei keiner Partei an, erlebe es aber - zu meiner Freude - dass sich bisher alle größeren Parteien für die einen oder anderen Vorschläge interessiert haben. Das ist zum einen Ausdruck meiner Unabhängigkeit (oder der von Attac) und andererseits bei tieferem Nachdenken ein Hinweis, dass Parteien uns nicht weiterbringen, sondern im Weg stehen. Die Demokratie sollte über kooperative Verfahren zu Entscheidungen finden und nicht über kontrakurrierende Lager oder Blöcke, welche die Aufmerksamkeit auf das Lager lenken und weg von der Sache, um die es eigentlich gehen sollte.

Welche Parteien haben sich denn konkret für welche Vorschläge interessiert?

Christian Felber: In Österreich zum Beispiel hat sich die FPÖ als erste Partei die Finanztransaktionssteuer offensiv auf die Fahnen geheftet; bei der Vermögenssteuer spricht am ehesten die sozialdemokratische Partei an, in Deutschland die Linke. Beim Bankgeheimnis mauert die Sozialdemokratie, und die Grünen sind offen; ebenso bei der Ökologisierung des Steuersystems. Und bei der Idee, Einkommen (neben Bedürftigkeit) an Arbeitsleistung zu koppeln (egal ob selbständige oder unselbständige) vernehme ich die stärkste Resonanz bei den Konservativen, wenn auch nur auf der kommunalen Ebene; weiter oben wollen die von einem echten Leistungsprinzip überhaupt nichts wissen.

Da blockieren sich die verschiedenen Parteien also in den einzelnen Punkten gegenseitig. Sieht das auf europäischer Ebene ähnlich aus?

Christian Felber: Dort sehe ich stärker, noch stärker als auch nationalstaatlicher Ebene, das Repräsentationsproblem: Die Regierungen sind sich entweder darin einig, dass sie die Interessen von mächtigen Minderheiten vertreten wollen und nicht die des Souveräns - Beispiel Biopatentrichtlinie oder Bankenrettung. Oder es gilt noch das Einstimmigkeitsprinzip z. B. in Steuerfragen, weshalb ein oder zwei Regierungen Beschlüsse blockieren können, obwohl das gar nicht der Wille der Bevölkerung ist, die sie vertreten - Beispiel Transaktionssteuer. Auch, dass das Parlament (obwohl als einziges EU-Organ direkt gewählt) der schwächste Gesetzgeber ist - es darf weder Gesetze initiieren noch in irgendeinem Politikbereich alleine beschließen - nuanciert nur das eigentliche Problem: die Impotenz des Souveräns. Die Bevölkerung müsste aus meiner Sicht die höchste Gesetzgeberin sein, sie darf aber gar nichts außer alle paar Jahre eine Partei wählen. Das ist das gegenwärtige Dilemma der Demokratie.

Keine Gleichbehandlung von Ungleichem

Welche Bedingungen müssten Staaten Ihrer Ansicht nach erfüllen, um an einem Freihandel teilnehmen zu können?

Christian Felber: Die vier wichtigsten sind: Erstens: Gleichbehandlung. Erst wenn die Länder vergleichbaren Entwicklungsstand aufweisen, können sie in einen ebenbürtigen Austausch eintreten. Zweitens: Gleiche Menschenrechts-, Arbeits-, Sozial-, Steuer- und Umweltstandards. Sonst kommt es zu Lohn-, Sozial-, Steuer- und Umweltdumping: niedrigere Marktpreise auf Kosten der eigentlichen Ziele der Wirtschaft von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und Einkommen bis intakten Ökosystemen. Das ist keine Grundlage für Entwicklung, sondern für Wohlstandskrieg. Zudem ist die Gleichbehandlung von Ungleichem Verfassungsbruch: Wenn Produkte, die unfair produziert wurden, in "freie Konkurrenz" zu Produkten von Unternehmen treten dürfen, welche die Menschenrechte mit den Füßen treten und die Natur schädigen, ist das aus meiner Sicht verfassungswidrig und nicht "effizient".

Drittens müssen andere Politikziele wie kulturelle Vielfalt, regionale Selbstversorgung, Resilienz und Demokratie schwerer wiegen als die Wirtschaftsfreiheiten wie Handel. Solche "ganzheitlichen" Handelsregeln müssten in der UNO auf Basis der Menschenrechte gebildet werden und nicht in der autistisch-neoliberalen WTO.

Viertens: Ökologische Kostenwahrheit. Es müssten alle Externalitäten in die Preise eingerechnet werden. Das leistet die Gemeinwohl-Bilanz näherungsweise, indem sie abfragt, wie sozial, ökologisch und demokratisch die Unternehmen agieren. Unser Vorschlag: Unternehmen mit guten Gemeinwohl-Bilanz-Ergebnissen sollten tendenziell zollfrei gestellt werden, während die Zollaufschläge mit sinkendem Bilanzergebnis zunehmen. Dann wäre jedes Dumping beendet, ohne dass China oder Brasilien ihre Gesetze ändern müssten. Und die Verfassung wäre geschützt.

Welche Staaten erfüllen Ihrer Meinung nach aktuell diese Kriterien?

Christian Felber: Die Antwort ist hier sehr differenziert. Drei Beispiele:

  • Bolivien und Venezuela sind aus dem ICSID ausgetreten, das ist ein völkerrechtliches Abkommen, das nur Klagen von Konzernen gegen Staaten bei Investitionskonflikten entgegennimmt; alle anderen Parteien haben dort keine Rechte. Bisher haben mehrheitlich die Konzerne gewonnen; aktuell verklagt z. B. gerade Philipp Morris Uruguay auf zwei Milliarden US-Dollar Schadenersatz, weil dort der Nichtraucherschutz verschärft wurde.
  • In bilateralen Freihandelsabkommen haben ausgerechnet die USA Umwelt- und Arbeitsschutzklauseln aufgenommen. Das ist zwar die Ausnahme, zeigt aber, dass es möglich ist, wenn der politische Wille da ist.
  • Die EU kooperiert mit den USA in Angelegenheit der Strafverfolgung, aber nur unter der Bedingung, dass die USA die - schärferen - Menschenrechte der EU achtet: Dass die Ausgelieferten weder gefoltert noch der Todesstrafe zugeführt werden. Droht dies, kommt es nicht zur Kooperation. Das ist zwar kein Beispiel für Handel, aber vom Prinzip her müsste es beim Handel genau so gemacht werden.

Sie fordern den "Abschied vom Zinsanspruch", weil das Finanzvermögen immer größer werde als die Wirtschaftsleistung. Können Sie uns den Zusammenhang näher erläutern?

Christian Felber: Es gibt drei schwerwiegende Argumente. Die beiden ersten hängen mit Umverteilung zusammen: Der Zins ist ein Umverteilungsmechanismus von mindestens 85% der Bevölkerung, die weniger Sparzinsen erhalten, als sie über den Konsum an Kreditzinsen bezahlen, zu höchstens 15% der Bevölkerung, bei denen es sich umgekehrt verhält. Zweitens zwingt der Zins zu Wachstum, weil Geld beim Verleihvorgang mehr werden muss.

Das dritte Argument ist ein mathematisches: Die Finanzvermögen wachsen weltweit sehr viel schneller als die Wirtschaft: Lag das Finanzvermögen in den Nachkriegsjahrzehnten nur bei einem Bruchteil der damaligen Wirtschaftsleistung, so nähert es sich heute weltweit dem Dreifachen der Weltwirtschaftsleistung. Es handelt sich hierbei weit überwiegend um "reales" Vermögen, keine Fiktivwerte! Dieses Vermögen wird zu einem immer höheren Anteil professionell verwaltet, was die Renditeansprüche des Kapitals immer höher werden lässt, obwohl es im Verhältnis zur "Nachfrage" der realen Wirtschaftsleistung immer mehr wird. Bei genauerer Betrachtung ist das ein fundamentales Marktversagen, das sich mit der zunehmenden Macht des Kapitals erklären lässt.

Wenn ein Finanzvermögen, das dreimal so groß ist, wie die Wirtschaftsleistung, mit zehn Prozent verzinst werden möchte, müssten allein dafür 30% der Weltwirtschaftsleistung - als arbeitslose Kapitaleinkommen - aufgewendet werden. Ist das Finanzvermögen dereinst zehnmal so groß, müsste bereits die gesamte jährliche Wertschöpfung an die Kapitalbesitzenden zur Befriedigung ihrer Ansprüche gehen - früher oder später ist mathematisch selbst der kleinste Verzinsungsanspruch des Kapitals (egal, ob als Zins, Dividende oder profitable Mehrwertaneignung) nicht mehr möglich. Darauf weise ich hin und begründe - unter anderem damit - das Ende aller Kapitaleinkommen.

Nach dem Preisbildungsgesetz mit Angebot und Nachfrage hätten Rediteerwartungen mit dem Aufblähen des Finanzmarktes eigentlich sinken müssen. Warum war dem nicht so?

Christian Felber: Es ist eine Machtfrage: Das professionell verwaltete Kapital tritt nüchtern betrachtet als Angebotskartell auf: Alle Fonds und Eigentümer wollen eine maximale Rendite - und wenn sie die nicht erzielen können, investieren sie woanders. Das gilt sowohl für Aktiengesellschaften als auch für Staatsanleihen. Eigentlich sollten die Unternehmen und Staaten ihre Schuldtitel ja negativ auktionieren können: Wer unter den immer zahlreicheren Investoren bietet weniger Zins/Dividende? Durch die immer zahlreicheren Anlage-Alternativen, welche politisch mit der "Liberalisierung" der Finanzmärkte geschaffen werden, bleiben den Anlegern zu viele Auswege - und dadurch entsteht die Erpressungsmacht.

Daher meine Forderung, dass Geld ein "öffentliches Gut" sein soll. Als Tauschmittel darf es zum Privateigentum zählen. Als Kredit (Fremd- oder Eigenkapital) muss es jedoch der Regel folgen, dass es nicht verzinst wird. Damit stünde allen sinnvollen Investitionsvorhaben immer ausreichend und günstiges Kapital zur Verfügung. Damit kein besinnungsloses Wachstum geschürt wird, müssten aber alle öffentlichen und privaten Investitionsvorhaben auch einer "Gemeinwohlprüfung" (welche die Schaffung von ökologischen und sozialen Mehrwert prüft) unterzogen werden. Die Demokratische Bank, die wir in Österreich gerade gründen, wird dies tun, anhand der ersten Gemeinwohl-Bilanzen der Pionier-Unternehmen der Gemeinwohl-Ökonomie. In Deutschland praktizieren Alternativbanken wie die GLS ähnliche Ansätze.

Sie bringen den Begriff einer "Demokratischen Mitgift" via Erbschaftssteuer zur Unternehmensgründungsfinanzierung ins Spiel. Was darf man sich darunter genau vorstellen?

Christian Felber: Beim Erbrecht gibt es nüchtern betrachtete zwei extreme Ansätze: Ansatz eins ist das feudale Prinzip: Allein die Geburt entscheidet, wer was erbt und wer nichts. Das ist extrem ungerecht und leistungsfeindlich. Die unqualifiziertesten Kinder können Großunternehmen entweder selbst weiterführen oder weiterführen lassen und die Profite einstreichen, während sie in der Hängematte pennen. Extrem zwei ist der liberale Ansatz: Nur die Leistung soll entscheiden (ich hoffe, ich muss jetzt nicht schon wieder bei der FDP ankopfen). Alle sollen dieselbe Chance erhalten, aus eigener Leistung ein Vermögen zu erwerben. Das setzt die Abschaffung des Erbrechts voraus, damit die Startbedingungen die gleichen sind.

Die Gemeinwohl-Ökonomie schlägt einen Mittelweg vor: Das Erbrecht bleibt für kleine Vermögen, Einfamilienhäuschen, kleine Familienbetriebe und landwirtschaftliche Betriebe erhalten; ab noch zu definierenden Grenzen jedoch geht der Überhang über einen "Generationenfonds" an diejenigen Mitglieder der jungen Generation über, die nichts von den Eltern oder Verwandten erben, damit auch sie mit einem Mindeststartkapital ausgestattet sind und weniger abhängig von Banken, Börsen oder Kindern reicher Eltern (der feudale Zustand).

In Deutschland wäre eine solche "Demokratische Mitgift" von 100.000 - 200.000 Euro je volljähriger in das Erwerbsleben eintretender Person möglich. Wenn sich fünf zusammentun, hätten sie eine halbe Gründungsmillion. Der Generationenfonds wiederum würde den Generationenvertrag stärkten, damit der endlich in beide Richtungen funktioniert: für die Finanzierung der Renten gehen die Zahlungsströme von der jungen zur älteren Generation; für die Feinerverteilung der Erbmasse fließt das Vermögen von Tot zu Lebendig.

Im Teil 2 des Interviews, der in den nächsten Tagen erscheint, wird es vor allem um den Euro gehen.

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