Noch acht Jahre...

...dann wirtschaften wir auf Kosten der Entwicklungsländer und künftiger Generationen. Die Energie- und Klimawochenschau

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Die Gruppe der führenden acht Industriestaaten, die G-8, hat sich letzte Woche auf ihrem Treffen im US-amerikanischen Camp David besorgt über die Entwicklung am Ölmarkt gezeigt. Indirekt sprechen sie in einem kurzen Statement die Möglichkeit an, Bestände aus den nationalen Reserven auf den Markt zu werfen.

So ganz einleuchten mag das nicht, was Kanada, Russland, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Japan und Italien da auf Drängen der USA vorschlagen. Die Preise sind in letzter Zeit, vermutlich in Folge der Eurokrise, deutlich zurück gegangen. Lieferungen leichten Rohöls für Juli, sogenannte Futures, werden derzeit an der New Yorker Börse mit knapp 93 US-Dollar das Barrel (159-Liter-Fass) gehandelt. Juli-Futures der Nordseesorte Brent kosten 108,8 US-Dollar/Barrel.

Während vor allem Europa Probleme hat, weil sich durch die Euroschwäche das Öl verteuert und die Preise zwischen dem hiesigen Standard (Brent) und seinem US-Gegenstück (WTI) inzwischen weit auseinander klaffen, scheint es vor allem US-Präsident Barack Obama zu sein, der den Markt fluten will.

Bei der Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin lässt das die Alarmglocken schellen, wie sie am Montagabend auf einer Podiumsdiskussion in der Hauptstadt erklärte. Das Eingreifen der strategischen Reserven werde die Märkte eher verunsichern und den Preis nach oben treiben.

"Die scheinen etwas mit dem Iran vorzuhaben", war Kemferts Erklärung für die beabsichtigten Eingriffe in den Markt. Und in der Tat bereiten EU und USA die Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran (und gegen jeden, der nicht mitzieht) vor. Ab 1. Juli wird die Union die Einfuhren iranischen Öls stoppen, worunter vermutlich am meisten die ohnehin krisengeschüttelten südeuropäischen Länder leiden werden. Einige Tage zuvor, schon am 28. Juni, entscheidet die US-Regierung, ob Länder wie China, Südkorea oder Indien ihre Einfuhren iranischen Öls ausreichend reduziert haben, um nicht ihrerseits von Strafmaßnahmen Washingtons getroffen zu werden.

Klimagerechtigkeit

Eigentlich kann man ja nur hoffen, dass der Ölpreis möglichst rasch weiter steigt, im Interesse des Klimaschutzes und künftiger Generationen, die das Öl noch für die chemische Industrie gebrauchen könnten, - damit endlich mehr für Energieeffizienz und die Einführung erneuerbarer Energieträger gemacht wird. Auf dem Verhandlungsweg scheint es jedenfalls mit dem Klimaschutz nicht recht zu klappen, wie dieser Tage mal wieder in Bonn zu beobachten ist. Dort sprechen seit letzter Woche Diplomaten aus aller Welt, wie berichtet, über verschiedene Details der internationalen Klimaverträge und versuchen den nächsten UN-Klimagipfel vorzubereiten, der Ende des Jahres in Doha am persischen Golf tagen wird.

Gleich zu Beginn sind die Industriestaaten und die großen Schwellenländer heftig zusammen gestoßen. Die sogenannten BASIC-Staaten, Brasilien, Südafrika, Indien und China bestehen darauf, dass das Kyoto-Protokoll fortgeschrieben wird, die Industriestaaten orientieren sich hingegen auf ein völlig neues Abkommen.

Dahinter verbirgt sich die Absicht der BASIC, den Verhandlungsstand zu bewahren, der den Industriestaaten eine besondere Verantwortung bei der "Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem Niveau, das gefährliche menschliche Beeinträchtigung des Klimasystems vermeidet", zuschreibt, wie es in der 1992 auf dem großen Erdgipfel in Rio de Janeiro verabschiedeten Klimaschutzrahmenkonvention heißt.

In der Sache geht es um Folgendes: Wie der malaiische Ökonom Martin Khor vom in Genf ansässigen South Center letzte Woche auf einem Workshop in Bonn am Rande der Klima-Gespräche vorrechnete, hat die Menschheit zwischen 1850 und 2009 1,28 Billionen Tonnen CO2 emittiert. Auf das Konto der Industriestaaten, die etwa 25 Prozent der Weltbevölkerung beherbergen, gingen davon rund 72 Prozent. In früheren Jahrzehnten ist der Bevölkerungsanteil der Industriestaaten etwas höher gewesen, aber ihr Anteil an den Emissionen war auch zu jener Zeit weit überproportional.

2020 auf Nulldiät

Wenn man also über Klimagerechtigkeit redet, die nicht nur von den BASIC-Staaten, sondern auch vielen anderen Entwicklungsländern und den dortigen sozialen Bewegungen immer wieder eingefordert wird, dann wäre zunächst festzustellen, dass die Nutzung der Atmosphäre allen Menschen zu gleichen Teilen zusteht. Entsprechend müssten die Industrieländer eigentlich dafür zahlen, dass sie sich einen größeren Teil vom Kuchen abgeschnitten haben.

Die nächsten Fragen sind: Wie groß der noch zu verteilende Kuchen ist, und wie dieser aufgeteilt wird. Wenn die Erwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzt werden soll, wie von der Mehrheit der Staaten in bisher unverbindlicher Form auf den letzten Klimakonferenz beschlossen und auch von der G-8 gerade bestätigt, dann müssen die globalen Emissionen in der Periode 2010 bis 2050 auf 750 Milliarden Tonnen CO2(-Äquivalente) beschränkt werden. Genauer: Das Ziel würde mit 67prozenintiger Wahrscheinlichkeit erreicht. Soll diese auf 75 Prozent erhöht werden, wären die Emissionen auf 600 Milliarden Tonnen zu begrenzen. (Zum Vergleich: Die globalen Emissionen betragen zur Zeit knapp 37 Milliarden Tonnen, Deutschlands Ausstoß etwas weniger als eine Milliarde Tonnen.) Die Industriestaaten gehen davon aus - auch wenn sie es nicht so direkt sagen würden -, dass dieser Rest-Kuchen wie bisher nach dem Recht des Stärkeren verteilt wird. Das widerspricht natürlich geltendem internationalen Recht und nicht zuletzt dem Geist der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Aber anders als in den vergangenen Jahrzehnten stellt sich, wie nicht nur die Klimaverhandlungen zeigen, immer mehr die Frage, wie lange die alten Industriestaaten sich diese Selbstherrlichkeit noch leisten können. Immer lauter werden die Stimmen, die eine Verteilung der Emissionsrechte auf Pro-Kopf-Basis fordern.

Schauen wir uns an, was das für Deutschland bedeuten würde, um zu ermessen, wie heftig dieser Streit in den kommenden Jahrzehnten noch werden wird. Der deutsche Anteil an der Weltbevölkerung beträgt 1,17 Prozent, entsprechend stehen uns für die Periode 2010 bis 2050 7 bis 9,12 Milliarden Tonnen Emissionen zu. 2010 und 2011 haben wir davon allerdings bereits knapp 1,9 Milliarden Tonnen verbraucht. Geht es in diesem Tempo weiter, werden wir ab dem Jahr 2020 über unsere Verhältnisse leben. Die Folgen werden nur dadurch etwas abgemildert werden, dass einige arme Staaten - und vielleicht einige ganz wenige Musterschüler - auch dann noch nicht ihren Anteil ausschöpfen. Das Wenigste wäre, dass Deutschland sie dafür entschädigt. Und zwar angemessen und nicht in Form von umgewidmeten Entwicklungshilfekrediten, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel es 2009 auf dem Klimagipfel in Kopenhagen versuchte.

Preisverfall

Immerhin geht es hierzulande auch auf einigen Gebieten voran, wenn auch in letzter Zeit eher trotz und nicht wegen den Eingriffen der Regierung. Die Großhandelspreise für Solarmodule haben auch im April weiter nachgelassen. Seit Jahresbeginn haben sie sich bereits um 6,7 (Kristallin Japan und Dünnschicht a-Si) bis 10,7 Prozent (Dünnschicht a-Si/µ-Si) verbilligt. Im Vorjahr waren die Preise um bis zu 50 Prozent gesunken. Der Preiskampf geht also angesichts erheblicher Überkapazitäten (Solar: Globaler Markt wächst weiter) weiter.

Für die beteiligten Unternehmen ist das natürlich nicht besonders erfreulich - letzte Woche hat in Sachsen-Anhalt die Sovello GmbH den Pleite-Reigen fortgesetzt -, aber für die rasche globale Verbreitung der Solarenergie und auch die Stromversorgung vieler entlegener Gegenden in den Tropen und Subtropen ist der Preisverfall eine gute Nachricht. Die billigen Preise sorgen längerfristig zudem dafür, dass der globale Absatz von Solaranlagen weiter kräftig zunimmt. Insofern wird nach der derzeitigen Pleite- und Konzentrationswelle ein neuer Aufschwung der Branche kommen.

Fragt sich nur, wer das Rennen macht. Aber angesichts der allgemeinen Stärke des deutschen Maschinenbaus und anderer Exportindustrien gibt es eigentlich keinerlei realistischen Anlass für das nationalistische Gejammer, das hier und da angestimmt wird. Ein Problem wäre halt nur gegebenenfalls der Verlust der Arbeitsplätze - schlecht bezahlter übrigens, die zudem oft mit gesundheitsschädlichem Schichtbetrieb verbunden sind -, aber meist schaut es eher danach aus, dass die Betriebe von Konkurrenten übernommen werden und weiterarbeiten.

Kein Anschluss

Derweil plagen China Wachstumsschmerzen. Das Land ist seit einigen Jahren Weltmeister in Sachen Windenergie mit rund 62 GW Ende 2011 installierter Leistung, und wird sich wahrscheinlich auch bei der Fotovoltaik bald an die Spitze setzen. Windkraftanlagen mit einer Leistung von 18 Gigawatt wurden 2011 im Land der Mitte errichtet, was 43 Prozent des Weltmarktes entsprach. Doch bei dem raschen Wachstum haben die Netzgesellschaften erhebliche Probleme die neuen Kapazitäten zu integrieren.

Das hat unter anderem mit großen Entfernungen zwischen Produzenten und Verbrauchern zu tun. Einige Schwerpunkte der Windenergienutzung sind zwar in der Nähe von Bevölkerungszentren, wie in den Provinzen Hebei (7 GW), Shandong (4,6 GW) in der Nähe Beijings sowie Heilongjiang (3,4 GW) und Jilin (3,6 GW) im Nordosten, der alten Schwerindustrieregion. Andere Zentren der Windenergie sind namentlich im Norden die Innere Mongolei (17,6 GW) und im Westen die Provinz Gansu (5,4 GW) und noch weiter westlich die an Kasachstan grenzende Autonome Region Xinjiang (2,3 GW).

Verbraucht wird die elektrische Energie hingegen hauptsächlich im Innern des Landes und vor allem in den stark industrialisierten Küstenregionen im Osten und Südosten. Dort gibt es seit rund einem Jahr erhebliche Probleme mit der Stromversorgung, bis hin zu Netzzusammenbrüchen und Rationierungen (alle Angaben über Windenergiekapazitäten aus dem neuesten Bericht des Global Windenergy Council).

Um Abhilfe zu schaffen, sollen nun mehrere Höchstspannungsleitungen gebaut werden, um die elektrische Energie in die Verbrauchszentren zu führen. Wie die Nachrichtenagetur Xinhua berichtet, begannen Mitte Mai die Bauarbeiten an einer Hochspannungsgleichstromleitung, die den Osten Xinjiangs mit der Stadt Zhengzhou nordwestlich von Shanghai verbinden soll.

Die Leitung wird neue Rekorde brechen. Über eine Entfernung von 2210 Kilometern soll sie bei einer Spannung von 800 Kilovolt eine Leistung von 8 GW transportieren. Pro Jahr sollen ab 2014 37 Milliarden KWh übertragen werden. Zum Vergleich: Das entspräche immerhin gut sechs Prozent des deutschen Verbrauchs. Kosten soll die neue Leitung 2,9 Milliarden Euro, was auf 20 Jahre gerechnet 0,4 Cent pro Kilowattstunde wären.

Die neuen Kabel werden in Spannung, Länge und Übertragungskapazität vermutlich mal wieder neue Weltrekorde aufstellen - und dennoch das eigentliche Problem des chinesischen Netzes wohl kaum beheben. Erst kürzlich hatte ein Bericht des in den USA und China arbeitenden Energy Transition Research Institute gezeigt, dass die Netzstrukturen im Land der Mitte zu stark zentralisiert und auf die großen Wasser- und Kohlekraftwerke zugeschnitten sind. Mächtigen Netzgesellschaften stünden schwachen Aufsichtsbehörden gegenüber, weshalb die Autoren auch nicht glauben, dass das Land seine ehrgeizigen Ziele bei der Steigerung der Energie-Effizienz erreichen wird.