Sparen, bis der Euro kracht

Thilo Sarrazin mit seinem Buch vor der Präsentation. Bild: S. Duwe

Sarrazins aktuelles Buch soll Politik gegen die Bevölkerung populär machen

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Wer auf einen neuen Skandal gehofft hat, der dürfte von der Präsentation des neuen Buchs von Thilo Sarrazin enttäuscht worden sein. Anders als noch in seinem vorigen Buch "Deutschland schafft sich ab" (Sozialdarwinismus wird hoffähig) kommt sein neuestes Buch "Europa braucht den Euro nicht" ohne krude Ausflüge in die Vererbungslehre aus, wenngleich Sarrazin es auch diesmal nicht lassen kann, unterschiedliche Mentalitäten in Nord- und Südländern für die derzeitige Euro-Krise mitverantwortlich zu machen. Sein Ziel ist ein anderes: Sarrazin möchte mit seinem Buch die harte Sparpolitik zu Lasten der Bürger, die schon heute von neoliberaler Seite als einziger Ausweg aus der Krise verkauft wird, populär machen und für deren weitere Verschärfung werben. Die Logik könnte aufgehen, denn mit seiner Marketingstrategie zieht er Medien und Leser auf seine Seite.

Wenn Sarrazin auftritt, dann gehören spätestens seit "Deutschland schafft sich ab" auch immer Proteste gegen seine Thesen zum Straßenbild. Das war bei der Präsentation seines Vorgängerbuches so, und natürlich auch bei seinem Auftritt bei Günther Jauch zwei Tage vor der Veröffentlichung seines aktuellen Buches.

Auch für die Buchpräsentation hatte ein linkes Bündnis mit dem Namen Zusammen Handeln! zu einer Demonstration vor dem Hotel Adlon aufgerufen, in dem Thilo Sarrazin in edler Kulisse sein neuestes Werk vorstellte. Gekommen waren hingegen nicht einmal ein Dutzend Demonstranten, die ein wenig verzweifelt ein einzelnes Transparent mit der Aufschrift "Nein zu Rassismus" aufspannten. Dirk Stegemann, der sich in Berlin immer wieder mit Demo-Anmeldungen gegen Rechtspopulismus engagiert, erklärt das mangelnde Interesse an der Demo damit, dass Rechtspopulismus bereits in der Gesellschaft angekommen sei. Sein Verlag, die Deutsche Verlagsanstalt (DVA), Bertelsmann und auch Günther Jauch hätten bereits mitbekommen, dass man damit Geld verdienen kann und versuchten deshalb, Sarrazin entsprechend zu hypen.

Für Dirk Stegemann, Sprecher des Bündnisses Rechtspopulismus stoppen, ist der Rechtspopulismus schon in der Gesellschaft angekommen. Bild: S. Duwe

Mit einem Hype scheint die DVA tatsächlich zu rechnen. Statt wie beim letzten Mal das Buch in einem kleinen Nebenraum im Haus der Bundespressekonferenz vorzustellen, hat der Verlag einen geräumigen Saal im Berliner Nobelhotel Adlon angemietet. Thomas Rathnow, der Verlagsleiter der DVA, verspricht den Journalisten ein "eminent politisches Buch", dem es darum gehe, Alternativen zur gegenwärtigen Politik aufzuzeigen. Etwas Neues hat Sarrazin in seinem Buch jedoch nicht zu sagen.

Das ist kein Wunder, denn Sarrazin nennt in seinem Buch eine ganze Reihe bekannter Euro-Kritiker, deren Positionen er oft teilt, darunter Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn, den ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel und den CSU-Politiker Peter Gauweiler. Wer diese drei bereits in einer Talkshow über die Euro-Krise gesehen hat, der kennt weitestgehend die Versatzstücke, mit denen Sarrazin in seinem neuen Buch arbeitet.

Sarrazin unterstützt harte Sparmaßnahmen und stellt sich als subversiv dar

Die wohl originellste Passage aus dem gesamten Buch wurde zu Marketingzwecken bereits vorab gestreut: Darin geht es um den Zusammenhang zwischen dem Wunsch, den Euro zu retten und den deutschen Schuldgefühlen aufgrund des Holocausts. Seit 1945, erläuterte Sarrazin auf der Pressekonferenz, habe Deutschland ein schlechtes Gewissen wegen seiner Stärke und seines Erfolgs. Um sich dieser Schuldgefühle zu entledigen, möchte Deutschland Stärke und Erfolg teilen, so Sarrazin. Dem Ex-Bundesbanker zufolge ist seit Helmut Kohl die gemeinsame Währung das Mittel, um dies zu erreichen.

Einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Euro kann Sarrazin nicht erkennen, weder für Deutschland, noch für irgendein anderes Land der Euro-Zone, schon gar nicht für die Euro-Zone insgesamt. Mit Fakten belege er in seinem Buch, dass keine der Hoffnungen, die man mit dem Euro verbunden habe, erfüllt worden sei. Für Sarrazin ist die Euro-Einführung insgesamt nichts weiter als ein romantisches Experiment, nutzlos, wenn es gut geht, gefährlich, wenn es schief geht. Die steigenden Exporte Deutschlands in die Euro-Zone will er nicht gelten lassen. Der Anteil der deutschen Exporte in die Euro-Zone an den gesamten Exporten sei rückläufig, argumentiert Sarrazin.

Was er nicht sagt: Zwischen 1999 und 2008 haben sich die deutschen Exporte in die Euro-Mitgliedsstaaten nahezu verdoppelt. Wenn Sarrazin bei seiner Buchvorstellung also behauptet, es könne niemand mit Fakten seine Position wiederlegen, da seine Thesen wohlbegründet seien, dann nimmt er den Mund eindeutig zu voll. Sarrazins Buch ist nicht ausgewogen, sondern einseitig. Und genau deshalb dürfte es die Debatte in Zukunft prägen.

Denn Sarrazin unterstützt vor allem die Position jener, die schon heute auf harte Sparmaßnahmen und den europäischen Fiskalpakt zur Krisenlösung schwören, schafft es aber zugleich, diese bekannte Position als subversiv und gegen den herrschenden Mainstream gerichtet zu verkaufen. Möglich ist dies wohl nur, weil er sich ein entsprechendes "Man wird doch wohl noch sagen dürfen"-Image bereits mit seinem letzten Buch erarbeitet hat. Dabei gibt Sarrazin in seinem Buch, wie er selbst immer wieder betont, keinen Lösungsvorschlag an, wie die Krise gemeistert werden könnte.

Das ist geschickt, immerhin ist es so kaum möglich, ihm hier in der Rückschau grobe Fehler zu unterstellen. Dazu passt auch seine Begründung, warum er nicht schon eher öffentlich vor der derzeitigen Form der Krisenbewältigung gewarnt hat: Er sei als Bundesbank-Vorstand bereits sehr engagiert gegen den ersten Rettungsschirm, den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB und die Griechenland-Hilfe gewesen. Um der Aufregung um sein Buch "Deutschland schafft sich ab" keine sachfremde Nahrung zu geben, habe er sich aber nicht dazu öffentlich geäußert.

Dabei hat Sarrazin bis heute keine Probleme damit, seine Rassentheorien vor laufenden Fernsehkameras zu verbreiten und damit auch der Aufregung um sein Buch immer wieder neue Nahrung zu geben. "Stellen sie sich vor, dies sei ein Gestüt mit Lipizzanerpferden. Und irgendwie wird in jeder Generation ein belgischer Ackergaul eingekreuzt. Völlig klar, die genetisch bedingte Fähigkeit zum Laufen sinkt" - die Lipizzaner, das sind dabei die Deutschen. Einen derartigen Vergleich bringt Sarrazin bei einer Lesung, wohlwissend, dass ein Kamerateam des RBB den Aufritt für eine Dokumentation über ihn filmt.

Der Stapel mit den Rezensionsbüchern, der Verlag hofft auf gutes Geschäft. Bild: S. Duwe

Trojanisches Pferd für die Massen

Erst auf Nachfrage äußert sich Sarrazin dazu, wie er die Krise bewältigen würde, dürfte er Finanzminister unter Kanzlerin Merkel sein. Bedingung eins ist für ihn die Garantie, dass er seine Politik so durchsetzen kann, wie er sich das vorstellt. Dazu gehört, dass der ESM nur ratifiziert werden soll, wenn die Franzosen und alle übrigen Beteiligten den Fiskalvertrag ohne Abstriche unterschreiben. Der Fiskalvertrag enthält zwar laut Sarrazin nur Banalitäten, ist aber als Beweis des guten Willens unabdingbar - und vor allem verpflichtet er die Staaten zum Sparen.

Zudem würde Sarrazin die Erhöhung aller wie auch immer gearteten Rettungsfonds sowie alle Schritte in eine Transferunion ablehnen. Im Buch selbst gibt Sarrazin allerdings zu, dass diese Schritte durchaus bereits unternommen worden sind. Sobald das Wort Eurobonds auftauche, würde er jedes Meeting sofort verlassen, denn da brauche man gar nicht zuhören. Zudem würde er durchsetzen, dass die Europäische Zentralbank sich künftig aus der Staatsfinanzierung heraushält, notfalls mit einer Politik des leeren Stuhls. Um zu signalisieren, dass Deutschland zur Not auch aus dem Euro austritt.

Das allerdings ist laut Buch für Sarrazin eher keine Option. Dort spricht er sich vielmehr dafür aus, die Währungsunion trotz aller Probleme möglichst aufrecht zu erhalten, allerdings unter strikter Beachtung der Maastricht-Kriterien. Das Zurückfahren der Neuverschuldung und die Konsolidierung der Haushalte sind Sarrazins oberstes Gebot, obwohl er durchaus einräumt, dass selbst unzureichende, also zu geringe Konsolidierungsbemühungen bereits das Wachstum beeinträchtigen. Sarrazin macht sich denn auch in der Pressekonferenz keine Illusionen darüber, dass dieser Weg tatsächlich eingeschlagen werden kann. Vielmehr, so klingt bei ihm an, hofft er, dass ein Land nach dem anderen unter diesen Bedingungen freiwillig aus dem Euro austritt, weil es die Sparpolitik nicht verkraften kann. Zur Not bleibt dann eben Deutschland alleine übrig. Am Aus für den Euro wäre dann nicht er, sondern die sparunwilligen Staaten selbst schuld, so offenbar das Kalkül.

Sarrazin signiert sein Buch auf Bitte einiger Journalisten nach der Buchvorstellung. Bild: S. Duwe

Dass Sarrazin mit seinem neuesten Buch in neoliberalen Kreisen nicht auf Ablehnung stoßen wird, zeigt auch die Einschätzung des Chefvolkswirtes der Deutschen Bank, Thomas Mayer. "Es ist eine durchaus saubere Analyse, die Schlussfolgerung kann man auch unterschreiben. Herr Sarrazin möchte, dass wir auf die Grundlage des Maastricht-Vertrages zurückkehren, das ist ja auch die Linie der Bundesbank", erklärte Mayer gegenüber den Tagesthemen. Damit zeigt sich auch, dass Sarrazin nicht der Querdenker ist, als der er sich gerne darstellen würde, sondern dieses Image vielmehr nutzt, um den bereits eingeschlagenen politischen Kurs auch in der einfachen Bevölkerung populär zu machen.

Dabei ist das Volk Sarrazin eigentlich recht egal. Gefragt, ob er für die Arbeit an seinem Buch einmal in einem der Krisenländer, wie beispielsweise Griechenland, unterwegs war, antwortete er abfällig. Um Zahlen zu beurteilen, müsse man nicht an Orte fahren, so Sarrazin. Den Sanierungsfortschritt auf der Akropolis zu betrachten bringt seiner Meinung nach nicht mehr Erkenntnisse, als in Berlin Statistiken zu lesen. Für Griechen, die unter der Last der Lohn- und Staatsausgabensenkungen ächzen, hat er ausschließlich Worte des Unverständnisses über.

Thilo Sarrazin, so scheint es, ist damit eine Art trojanisches Pferd mit der Mission, den Massen eine gegen ihre Interessen gerichtete Wirtschafts- und Finanzpolitik, bestehend aus sinkenden Löhnen, Sozialleistungen und staatlichen Ausgaben zu verkaufen, als unterscheide sich ein derartiges Programm fundamental von dem, was ohnehin bereits geschieht.

Auch bei einigen Medienvertretern schwindet derweil die nötige Distanz bei der Berichterstattung. So kam es nach der Buchpräsentation zu einem Ansturm auf den Autor: Einige Reporter wollten auf ein Autogramm in ihrem Rezensionsexemplar nicht verzichten. Für eine kritische Auseinandersetzung mit Sarrazins Buch ist das keine gute Ausgangsbasis.