Eurozone auf Crashkurs

Beim EU-Gipfel in Brüssel prallten Deutschland und Frankreich aufeinander. Neben den Eurobonds sorgen auch Griechenland und Spanien für Streit, Lösungen sind nicht in Sicht

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Die Meldung kam pünktlich zum EU-Gipfel, und sie war bezeichnend für die Lage in Euroland: Zum ersten Mal in der Geschichte konnte Deutschland sich an den Kapitalmärkten gestern Geld zum Nulltarif leihen - mit einem Zinssatz von 0,0 Prozent. Gleichzeitig müssen Italien und Spanien für vergleichbare Staatsanleihen Renditen von bis zu sechs Prozent berappen. Die beiden Mittelmeerländer gelten als Wackelkandidaten, während Deutschland bei Anlegern den Ruf eines "sicheren Hafens" genießt.

Angela Merkel mit Jose Manuel Barroso beim informellen Treffen der Regierungschefs in Brüssel. Bild: EU

"Diese Ungleichgewichte zerstören Europa", schimpfte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz am Abend beim informellen Gipfeltreffen der 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Es könne schlicht nicht sein, dass die Anleger den Deutschen Geld schenken und "die anderen versinken unter dem Spekulationsdruck". Die 27 müssten sich deshalb endlich mit der Einführung von Gemeinschaftsanleihen, den so genannten Eurobonds, beschäftigen, um ein Auseinanderdriften der Eurozone zu verhindern. Mit dieser Meinung steht der SPD-Politiker nicht allein.

Auch der neue französische Staatschef Francois Hollande setzt sich für Eurobonds ein - genau wie die OECD, der IWF und die EU-Kommission. Doch Kanzlerin Angela Merkel ist dagegen, basta. Die gemeinsame Haftung für Schulden würde den EU-Verträgen widersprechen und nichts zum Wirtschaftswachstum beitragen, sagte sie zu Beginn des Brüsseler Treffens. Damit war das Thema für sie erledigt; auch beim nächsten regulären EU-Gipfel im Juni will sie keine Konzessionen machen.

Deutschland profitiert, Südeuropa krepiert

Deutschland gegen den Rest der Welt - an diese Frontstellung hat sich Merkel schon gewöhnt. Beim G-8-Treffen in Camp David war sie ähnlich isoliert, auch mit Hollandes Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy hatte sie immer wieder Streit. Doch diesmal ist die Lage anders. Diesmal ist für alle überdeutlich, dass Deutschland von der Krise profitiert, während Südeuropa langsam aber sicher krepiert.

Die Zinsdifferenz zwischen Null für Deutschland und sechs für Spanien spricht eine deutliche Sprache. Auf Dauer wird sie für Madrid zum Verhängnis; es drohen irische oder gar griechische Verhältnisse.

Das deutsche Nein zu Eurobonds kann und wird deshalb als engstirniger Egoismus, wenn nicht als aggressiver Wirtschaftsnationalismus ausgelegt werden. Doch Hollande & Co. können nicht viel dagegen ausrichten: Gegen Deutschland geht in der Eurozone gar nichts. Das weiß natürlich auch der Franzose, weshalb viele EU-Beobachter davon ausgehen, dass er das Streitthema nur deshalb ansprach, um sich bei seinem ersten EU-Gipfel zu profilieren und Merkel bei anderen Fragen aus der Reserve zu locken.

Und andere Fragen gibt es genug. Fast alle sind strittig: Das fängt schon bei den Wachstumsinitiativen an, die Hollande auf EU-Ebene anstoßen will, um Merkels Sparkurs etwas entgegenzusetzen. Hollande möchte dafür frisches Geld in die Hand nehmen, das zum Beispiel über eine europäische Finanzmarktsteuer eingetrieben werden könnte. Merkel hingegen hält wie gewohnt die Brieftasche zu und fordert erneut Strukturreformen - wie schon im letzten Jahr, als sie gemeinsam mit Sarkozy den "Wettbewersfähigkeitspakt", auch "Euro-plus-Pakt", durchpaukte. Ergebnis dieses Pakts: keines. Macht nichts, Merkel versucht es einfach nochmal.

Noch brisanter ist das Thema Griechenland. Hollande möchte die Hellenen unbedingt im Euro halten, Merkel will sie - wenn auch uneingestanden - loswerden. Der Franzose schlug auf dem Gipfel vor, Griechenland mit neuen Konjunkturhilfen entgegenzukommen, um sie für die wohl entscheidenden Wahlen am 17. Juni milde und EU-freundlich zu stimmen. Merkel hingegen ließ eine Erklärung verbreiten, die zwar den Verbleib Griechenlands in der Eurozone fordert, zugleich aber die vollständige Umsetzung aller Spar- und Reformauflagen verlangt. In der Praxis liefe diese Erklärung auf einen Rausschmiss raus, denn selbst Pasok und Neo Dimokratia, die als EU-freundlich gelten, fordern Nachverhandlungen.

Und dann war da auch noch Spanien. Das stand zwar offiziell gar nicht auf der Tagesordnung, wurde von den meisten Journalisten auch ignoriert. Doch die Bankenkrise ist hinter den Kulissen in Brüssel längst ein Topthema. EZB und EU-Kommission würden der Regierung in Madrid gern unter die Arme greifen, um eine Eskalation der Krise zu verhindern. Im Gespräch ist, dafür Gelder aus dem Eurorettungsschirm EFSF anzuzapfen - doch Deutschland ist bisher strikt dagegen. Man habe volles Vertrauen in die spanische Regierung, heißt die Berliner Sprachregelung zu diesem Thema. Demgegenüber ließ Hollande durchblicken, dass er für direkte EU-Hilfen sei.

Vorbereitungen auf den "Grexit"

Noch während des Gipfels gingen Gerüchte um, dass sich Merkel und Hollande auf eine Art Einlagensicherungsfonds verständigt hätten. Damit wäre nicht nur den spanischen Banken geholfen, so ließe sich auch der drohende Bankrun in Griechenland verhindern. Doch eine Bestätigung ließ sich dafür ebenso wenig finden wie für die Meldung, die EU denke über ein 50 Milliarden Euro schweres Abschiedsgeschenk für Griechenland nach. Immerhin verdichteten sich die Hinweise darauf, dass sich die Eurozone auf einen Abgang Athens aus der Währungsunion vorbereitet. Jedes Land solle nationale Notfallpläne ausarbeiten, hieß es am Rande des Gipfels in Brüssel.

Sollte es tatsächlich zum "Grexit" kommen, wäre die erste Bresche in die Eurozone geschlagen, wahrscheinlich käme dann auch Portugal unter Druck. Doch schon jetzt ist das Auseinanderdriften unübersehbar. Wirtschaftlich trennen Nord- und Südländer mittlerweile Welten, wie die enormen Zinsdifferenzen ("Spreads") zeigen. Nun ist auch noch eine politische Spaltung zwischen Deutschland und Frankreich hinzugekommen. Merkel und Hollande versuchten zwar gestern, sie durch nette Worte zu übertünchen. Doch sie lagen in zu vielen Fragen zu weit auseinander.

Die große Frage ist nun, ob sich die Differenzen schnell überbrücken lassen. Spätestens am 17. Juni, bei der schicksalshaften Parlamentswahl in Athen, müssen Merkel und Hollande zum Thema "Grexit" auf einer Wellenlänge sein. Und spätestens Ende Juni, beim nächsten EU-Gipfel, müssen sie Beschlüsse zu allen anderen Fragen der Eurokrise fassen. Vor allem die Wachstumspläne müssen dann ausgereift sein. Andernfalls könnte auf die Drift ein Crash folgen, und der könnte dann endgültig sein.